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Scheidt, Jürgen vom: Kurzgeschichten schreiben

Am Anfang war das Wort, nein, die Selbsttherapie. Am Ende vielleicht die Heilung. Es gibt drei Gründe, die jemanden zum Schreiben veranlassen können: Seelischen Druck loswerden wollen; Freude am schreibenden Gestalten und Formulieren, für sich allein (so etwas wie die erwachsene Version der Funktionslust kleiner Kinder); und für andere Leute stellvertretend etwas verarbeiten.

Schreiben aus reinem Selbstvergnügen, aus reiner Freude am Erzählen und Fabulieren? Undenkbar! Es muß schon ein meditativer Zustand sein, in dem es sich fast wie von selbst schreibt, in dem unterbewußt verankerte Schreibblockaden mittels einer gezielten Therapie überwunden werden. Dabei muß der Schreibende selbstredend über eine gewisse Lebenserfahrung verfügen, sonst hat er ja nichts zu sagen. Erst gelebte Geschichten, erst die Integration gelebter, unverarbeiteter Erfahr-ungen legitimiert zu wahrhaftem Schreiben... So in etwa das Geleit und einige weitere Textstellen von Jürgen vom Scheidt in seinem im Fischer-Verlag erschienen Taschenbuch »Kurzgeschichten schreiben - Eine "praktische" Anleitung«.

Offengestanden befremdete uns dieses kategorische Vorwort, war doch weder im Titel noch im Untertitel des VLB ein Hinweis darauf zu finden gewesen, daß vom Scheidt als studierter Psychologe und Soziologe eine Schreib-Werkstatt leitet, in der das Schreiben vor allem therapeutischen Zwecken dient. Es schien in seinem Werk kein Platz für einen Autor, der sich ohne handfeste psychische Probleme - und ohne eine gewisse Lebenserfahrung - an das Verfassen einer Geschichte macht. Ja, es klang sogar, als solle ein Mensch, der das Schreiben nicht von vorneherein als ein Therapeutikum betrachte, das Schreiben am besten gleich ganz sein lassen. Nun denn, den meisten von uns ist wohl klar, daß es neben der reinen Freude am Formulieren und Geschichtengestalten auch noch so etwas wie eine Bewußtseinserweiterung und Selbsterfahrung während des Schreibprozesses gibt. Schwerlich läßt sich das eine vom anderen trennen. Stories sind immer eine Mischung aus Realem und Fiktivem, wie vom Scheidt letztendlich in der Mitte des Buches dann doch noch relativiert.

Von diesem ersten Eindruck einmal abgesehen gibt »Kurzgeschichten schreiben« eine gute Antwort auf die Frage: »Was macht das Wesen einer Kurzgeschichte aus?« Anhand eines praktischen Beispiels stellt vom Scheidt zunächst die drei unabdingbaren Grundelemente einer Kurzgeschichte vor - »Person(en), Raum und Zeit« -, aus denen sich die Konflikte und Handlungen der Story schrittweise ergeben. Das Konzept der Inneren Bühne ist dabei ein Grundmodell für die Seminare vom Scheidts. Mittels eines inneren Films entfaltet sich für den Autor das Szenarium seiner Idee, sozusagen die Rohfassung seiner Story, die es zu Papier zu bringen gilt. Vier existentielle Bereiche, maßgebend für die Qualität und Atmosphäre der Geschichte, fließen schließlich in den Rahmen der Story ein: »Beziehungen, Arbeit und Beruf, Selbst und Trans«. Diese Meta-Faktoren sind, je nach Schwerpunkt, ausschlaggebend für den Grundcharakter einer Geschichte, für Rhythmus und Flair.

Vom Scheidt läßt nichts aus, um seinem Leser das Wesen einer Kurzgeschichte nahezubringen. Und dabei scheint er sich in jedem Genre auszukennen. Hammetts »Malteser Falke« und Hoegs »Fräulein Smillas Gespür für Schnee« sind ihm dabei ebenso vertraut, wie Ecos »Der Name der Rose« oder George Lucas´ »Star Wars«, anhand derer er über Erzählkunst, Unterhaltsamkeit, Spannung und das Geheimnis von Metaphern und Symbolen in der geschriebenen Sprache aufklärt. So setzt sich der Vorname Darth Vader ganz bewußt aus den beiden englischen Begriffen to dare (wagen) und death (Tod) zusammen, während der Familienname Vader sich als eine Abwandlung von Vater entpuppt, »was die an father gewohnten englisch-sprachigen Zuschauer kaum nachvollziehen konnten«.

Auch vom Scheidts Checklisten und Regeln sind für jeden Autor unbedingt wissenswert; ganz gleich, ob es um die Checkliste der Personenbeschreibung, um die 5 goldenen Regeln für den Erfolgsautor oder die 17 Tips für mehr Spaß beim Überarbeiten geht.

Kurzgeschichten schreiben ist eine gute praktische Anleitung für das Schreiben von Kurzgeschichten, und läßt sich weitgehend auch auf andere Erzählformen anwenden.

Zum Autor

Jürgen vom Scheidt, geboren 1940, betreibt in München eine eigene psychologische Praxis und ist Leiter der »Münchner Schreibwerkstatt«. Neben »Kurzgeschichten schreiben - eine praktische Anleitung« sind weiter die Titel »Handbuch der Rauschdrogen« und »Kreatives Schreiben« im Fischer Taschenbuch-Programm erschienen

 

Besprochen von: Ramona & Thomas Roth-Berghofer
Stand: 2002-08-06

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