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Standardfehler beim Schreiben (Teil 1)

von Roger MacBride Allen (übers. von Thomas Roth-Berghofer)

 

[übersetzt mit Genehmigung des Autors; Originalartikel

 

Vor einigen Jahren hatte ich ein Gespräch mit einem Mann, der Zeit seines Lebens Fax-Geräte repariert hatte, und zwar zu einer Zeit, als Fax-Geräte für die meisten Menschen noch etwas Geheimnisvolles waren. Er erzählte mir von der erschreckenden Tatsache, daß 95% seines Service-Dienstes vollkommen unnötig war, weil die Benutzer ihre Geräte sehr leicht selbst hätten reparieren können. Neunzehn von zwanzig Anrufen betrafen solch technische Herausforderungen wie das Nachfüllen von Papier, das Anschließen an die Steckdose bzw. an die Telefondose und das Einschalten des Geräts. 

Mit ein wenig gutem Willen und ein wenig gesundem Menschenverstand hätten all diese Leute mit Hilfe der Bedienungsanleitung sehr leicht auf den Service-Ruf verzichten können. Das irrwitzige an der Sache war natürlich, daß die wirklich berechtigten Service-Rufe nur 5 % der zur Verfügung stehenden Zeit und Aufmerksamkeit der Techniker ausmachten. Denjenigen, die am ehesten Hilfe benötigt hätten, wurde Hilfe verweigert, zum Glück für jene, die keine Hilfe brauchten und trotzdem ausflippten.

Im Sinne des Vermeidens von solch nutzlosen Hilferufen, biete ich diese Liste von Fehlern (die in den nächsten Ausgaben des "Tempest" fortgesetzt wird, die Red.) an, die typisch für´s Schreiben sind. In dem Maße, in dem Du diese Standardfehler vermeiden kannst - und das betrifft auch Deinen Verleger und Deine Workshop-Partner - wirst Du mehr Zeit mit storytechnischen Fragen von größerer Tragweite verbringen können.

Lies diese Liste durch und mache Dir die Art dieser Fehler klar. Versuche zu verstehen in welche Schwierigkeiten sie Dich bringen können. Wenn diese Fehler Deiner Vergangenheit angehören, ist die halbe Schlacht zum Werden eines Schriftstellers schon geschlagen! Das Handwerk des Schreibens besteht zu einem großen Teil darin, zu lernen, wie man diese Fehler "nicht" macht!

Ich habe mich an vielen Orten durch eine Menge Manuskripte von Schülern gearbeitet. Und ich würde schätzen, daß die gemachten Fehler zu 90% immer die gleichen sind. Die meisten von ihnen können leicht vermieden werden, wenn man sich ihrer erst einmal bewußt ist, und ebenso leicht kann man sie entdecken, wenn man weiß, wonach man zu suchen hat.

Stilfehler

Die ersten Fehler, auf die ich eingehen werde, beschäftigen sich mit dem "Wie" eine Story geschrieben ist. Tatsächlicher ist das "Wie" für eine Story entscheidender als das meist überschätzte "Worüber". Wir könnten diese Fehler auch Konstruktionsfehler nennen, denn es sind Fehler, die die ganze Struktur einer Story betreffen: Wie wurde sie zusammengebaut, und welche Teile wurden für den Zusammenbau verwendet.

1. Das Passiv

Dies ist der weitaus häufigste Fehler. Viele Menschen machen diesen Fehler, und sie machen ihn häufiger, als irgendeinen anderen Fehler beim Schreiben einer Story. Lassen Sie mich diese Feststellung wiederholen und anschließend an einem Beispiel demonstrieren: Dies ist der am häufigsten von allen gemeinsam gemachte Fehler. Er wird gemacht, einfach so! Und es ist keinem klar, daß er ein Fehler beim Romanschreiben ist. Natürlich kann man sich auf den Standpunkt stellen, der Fehler liege beim Leser und nicht beim Autor. Aber um es im Passiv auszudrücken: Nichts ist immer irgendjemandes Schuld, weil Menschen Dinge nicht tun. Dinge passieren Menschen! "Irving aß seine Mahlzeit" ist aktiv. "Die Mahlzeit wurde gegessen" hingegen ist passiv. Beachte hierbei, daß Irving im Passiv komplett in den Hintergrund getreten ist. Die Mahlzeit und die Aktion des Essens sind wichtiger als die Person, die sie "tut". Oftmals fallen Autoren in den passiven Stil, wenn sie unsicher sind, wenn sie nicht wollen, daß ihren Figuren etwas Schlimmes geschieht oder wenn sie nicht wollen, daß ihre Figuren etwas Schlechtes tun.

Erinnere Dich deshalb stets daran, daß Deine Story ausschließlich auf dem Papier geschieht. Du kannst hinterher mit einem einzigen Strich Deiner Feder alles ändern. Habe keine Angst. Sei zuversichtlich und abenteuerlustig. Wenn Du einen Fehler machst, kannst Du ihn später korrigieren. Wenn Du eine Romanfigur tötest, kannt Du sie in der nächsten Szene schon wieder von den Toten auferstehen lassen. Wenn Deine Figur in einen Mord verwickelt wird, kannst Du ihr jederzeit einen guten Anwalt zu Seite stellen.

Beachte bei all dem, daß das Passiv nicht gänzlich eliminiert werden kann und muß. Hin und wieder funktioniert es ganz gut.

2. Der unangemessene Gebrauch von Aufzählungen

Meist geht der unangemessene Ge-brauch von Aufzählungen mit dem Passiv einher. Die beiden Fehler überlagern sich oft. Zusammenfassendes (oder indirektes) Erzählen ist die Kehrseite der Medaille von direktem Erzählen. Du faßt Ereignisse zusammen, erzählst über sie. Wie jeder weiß, der einmal einen Schreibkurs besucht hat, sollte man sich bemühen, so viel wie möglich, zu zeigen (siehe "Tempest", Ausgabe 02/97, "Emotionalisieren oder beschreiben?", S.4, die Red.) und so wenig wie möglich zu erzählen.

Direktes Erzählen:
Henry ging zum Geschäftsviertel. An der Smith Street bog er nach links, kehrte in Joe´s Diner ein und setzte sich auf seinen Stammplatz. Er bestellte ein Sandwich zum Mittagessen und lächelte der Kellnerin zu…

Zusammenfassendes Erzählen:
Henry ging zum Mittagessen. Dann kehrte er zur Arbeit zurück…

Direktes Erzählen ist dann angebracht, wenn Du über alle Aktivitäten Henrys berichten willst, und sein Gang zu Joes Dinner auf den weiteren Verlauf der Story einigen Einfluß haben wird. Das Zusammenfassende Erzählen ist dann geeignet, wenn der Gang und das Essen - und vielleicht die Figur - von sekundärer Bedeutung sind. Vielleicht möchtest ja nur Du, der Autor!, daß Henry das Büro verläßt, damit Bob dort in Ruhe in Henrys Akten schnüffeln kann.

3. Perspektivenfehler und mangelhafte (oder zufällige) Perspektivenwahl

Eine gute, solide Faustregel sagt: Eine Szene, ein Perspektive-Charakter!

Das Springen von einer Perspektive zur anderen ist absolut verwirrend. Wenn der Leser gerade noch während einer ganzen Szene in Neds Kopf war, dann verwirrt es ihn richtig, wenn er plötzlich in Teds Kopf steckt, dessen Gedanken hört und Ned aus Teds Sicht sieht. Verschiebt sich die Perspektive und spricht der Perspektive-Charakter zu Ed, hat der Leser keine Chance zu erkennen, "wer" jetzt spricht.

Eng verbunden mit diesem Fehler ist das Versäumnis, eine geeignete Figur für eine Szene auszuwählen. Beginne keine Szene (keine Story, kein Buch!) ohne angemessene und sorgfältige Erwägung des Perspektive-Charakters. "Wer" ist der geeignetste Charakter? "Wer" wird die "schillerndste" Reaktion heraufbeschwören? "Wer" hat die brauchbarsten und wichtigsten Dinge an dieser Stelle zu sagen? Kurzum: "Wessen" Gedanken sind es in einer vorgegebenen Szene am ehesten wert, gehört zu werden?

Zum Autor:


Roger MacBride Allen ist ein erfolgreicher Autor in den Vereinigten Staaten. Zu seinen in Deutschland aktuellen Romanen gehört der kürzlich bei Heyne erschienene Science Fiction-Roman "Angriff auf Selonia", der im "Star Wars Universum" angesiedelt ist.

"Angriff auf Selonia", Verlag: Heyne TB, ISBN 3-453-11685-2

 
Stand: 2002-09-22

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