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Wie kann ich „Gut und Böse“ am besten handhaben? Darf ich in die Perspektive des Bösen wechseln? Und kann der Tod auch als „Guter“ dargestellt werden?

Ich bin gerade dabei, mein Fantasy-Buch zu schreiben. Anfangs hatte ich eine Story wie jede andere auch. Da die Guten, da die Bösen und ein Krieg dazwischen. Aber mir ist aufgefallen, dass dieser Part doch irgendwann nicht mehr so viel Neues bringen kann, außer man heißt Tolkien.

Und dann ist mir in den Sinn gekommen, wie es in Realität eigentlich ist. Kein Staat ist wirklich gut, alle führen Krieg und das auch mal mit nicht legalen Mitteln. Vielleicht kann man das ja in ein Buch übertragen? Sprich, die Guten handeln manchmal mehr als fragwürdig, und die Bösen fangen plötzlich an, die Welt zu retten.

Außerdem wollte ich das auch auf den Tod anwenden, der ja meist als das absolute Chaos und Ende beschrieben wird. Kann er denn auch zu den Guten gehören? In meinem Fall mit eingeschränkter Handlungsfreiheit, weil er ja nicht einfach seinem Kollegen (Leben) in die Arbeit pfuschen kann.

Frage 1: Kann ich das so machen, oder sollte ich lieber bei dem bleiben, was es bisher gibt? Mein Plan war, hin und wieder in den Perspektiven zu den „Bösen“ zu wechseln und dann einmal deren Sicht, Gefühle und Antrieb zu zeigen, also eben auch, dass selbst sie eigentlich ganz normal sind.

Frage 2: Soll ich das hin und wieder so einspielen oder bis zum Ende warten und das dann als große Überraschung enttarnen?

Frage 3: Wenn ich Tod als einen Guten darstelle, wie kann man das am besten machen? Da habe ich nämlich überhaupt keine Idee. Als Menschen? Oder als nicht sichtbare Macht? In Gestalt von Tieren? Ich weiß wirklich nicht, wie.

Zwar hat Tolkien meist schwarz-weiß gezeichnete Charaktere geschaffen, aber auch etliche, die sich entweder nicht gleich Gut oder Böse zuordnen lassen (Bombadil) oder die Seiten wechseln (Saruman) oder aus Verbitterung das Falsche tun (Denethor, der Verwalter von Minas Tirith). Im Krieg müssen sie natürlich alle Position beziehen, weil sie sonst nicht handlungsfähig (im Sinne der Story) wären.

Viele Geschichten handeln vom Kampf Gut gegen Böse oder umgekehrt. Die Lager können jedoch ganz unterschiedlich repräsentiert sein: Könige gegen Magier, zwei sich bekriegende Völker, Heilerin gegen einen Heerführer, Priester gegen Dämon, guter Dämon gegen bösen Teufel ... mit Einzelfiguren oder Figurengruppen. Wobei immer die Frage bleibt, ob sich nicht alle für „gut“ oder im Recht halten. Erst wie du deine Geschichte von Gut gegen Böse ausgestaltest, kann originell sein (oder auch nicht). Das heißt: Auch aus alten Erzählmustern und Figurenkonstellationen kann man etwas Originelles machen.

An der Realität sollte man sich als Autorin nicht unbedingt orientieren, es sei denn, man schreibt einen Gegenwartsroman. Wichtig ist jedoch Glaubwürdigkeit. Glauben wir heutzutage noch, dass jemand nur gut oder böse ist? Was ist das Böse überhaupt? Außerdem sind Figuren mehrdimensional und viel interessanter, wenn sie als Gute auch ihre dunklen Punkte haben und als Böse ihre lichten Momente – eine Frage des Kontrastreichtums (schau mal ins Tempest-Archiv, 2007, Juni und Juli, 9-6 und 9-7, da gibt es einen ausführlichen Artikel von mir zur Figurenkonzeption).

Und die Figuren müssen sich in der Logik der Story glaubwürdig verhalten. Wenn in der Storywelt Magie funktioniert, dann wird ein Magier andere verzaubern. Zum Guten oder Schlechten. Unglaubwürdig wäre aber, wenn er statt mit Zaubersprüchen plötzlich mit einer Panzerfaust loszieht. Logischerweise würde er jedoch einen Soldaten mit Zaubersprüchen so weit bringen können, seine Panzerfaust zu benutzen.

Konflikte ergeben sich nicht nur aus dem Zusammenprall von Gut und Böse. Gegensätzliche Ziele, Wünsche, Motive können sogar einen Charakter in Konflikt mit sich selbst bringen, nicht nur zwei Figuren, zwei Völker, zwei Welten. (Im Tempest 2000, November und Dezember, 2-11 und 2-12, und im Tempest 2005, Juni, 7-6, findest Du ein paar hilfreiche Werkzeuge, um Konflikte zu basteln.) Konflikte können zwischen Mensch und Natur auftreten (ist ein Schneesturm böse?), zwischen Vater und Sohn oder Mutter und Tochter (Generationenkonflikt), zwischen Konkurrenten, Liebenden oder Fabelwesen – ohne dass eine Partei gut / böse sein muss.

Ist der Tod bei dir eine handelnde Figur? Dann ist er personifiziert, statt eine abstrakte Kraft zu bleiben. Abstrakte Kräfte jedoch sind weder gut noch böse; die Menschen empfinden ihr Wirken nur so, weil sie es hineininterpretieren. Bei vielen Autoren ist der Tod als Figur auch weder gut noch böse, weil er einfach keine moralische Kategorie ist, sondern ein Fährmann, ein Katalysator und neutraler Mittler. Nur weil er das Lebensende begleitet, heißt das nicht, dass er gut oder böse sein muss. Er kann es natürlich in deiner Konzeption sein, je nachdem, was er als Aufgabe in deiner Story hat: Helfer oder Gegner des Protagonisten? Wie du ihn gestaltest, musst du selber wissen, denn du bist die Einzige, die weiß, was er in deiner Geschichte leisten soll. Wozu ist er denn als handelnde Figur da? Was soll er bewirken? Bei Terry Pratchett (der ja satirische Fantasy schreibt) ist der Tod eine eigenständige Figur, die ihren Job macht. Dabei hat er sehr wohl einen Gerechtigkeitsbegriff, aber keine Gut-Böse-Ausrichtung.

Bedenke: Wenn der Tod eine Figur in deiner Story ist, heißt das, dass andere abstrakte Kräfte ebenfalls Figuren sein können: Schicksal, Glück, Ruhm, Zufall ... Passt das in dein Konzept? Ich empfehle dir, Bücher zu lesen, in denen der Tod bereits personifiziert wurde, und solche, die Gedankenkonzepte zum Tod bieten (philosophisch z. B.). Dann kannst du deine Frage selbst beantworten, wie du den Tod darstellen möchtest, ob als Kraft, unpersönlich und neutral, oder als personfizierte Figur.

Perspektivwechsel (von Kapitel zu Kapitel) vom Protagonisten (gut?) zum Antagonisten (böse?) sind nichts Neues. Viele Krimis machen das so, um die Taten des Gegners plausibler und nachvollziehbarer zu gestalten. Es kommt sehr stark auf deine Geschichte an, ob sie solche Wechsel verträgt, sogar fordert, ob es aufgesetzt wirkt oder sich verbietet. Keinesfalls solltest du nur am Ende deiner Erzählung einen einzigen Perspektivwechsel schreiben, um den „Bösen“ erklären zu lassen, warum er das alles tut. Soll der Leser die böse Figur verstehen, benötigt er Zeit und Handlung, die er mit ihr verbringt.

Mir persönlich sind Antagonisten (Gegner) lieber, die ich verstehen kann, z. B. einer, der die Heldin gnadenlos verfolgt und vernichten will, weil sie ihm etwas ganz Übles angetan hat. Oder einer, der gegen meine Heldin arbeitet, weil er sie nicht versteht, der andererseits aber sein Reittier liebt und hegt. Kurz: Meine Antagonisten haben nicht nur vor sich selbst, sondern überhaupt gute Gründe, um gegen meine Heldin zu sein. Heißt ja nicht, dass sie Recht haben müssen. Frage dich, welche Motive deine Figuren haben, das zu tun, was sie tun – selten hat das etwas mit Gut oder Böse zu tun. Und dann nimm das, was deine Geschichte voranbringt.

Falls du dich nicht entscheiden kannst, dann schreib verschiedene Versionen. Probier Figuren einfach aus, lass sie handeln, leben, leiden und lieben. Das geht auch schon auf einer Seite.

beantwortet von: Stefanie Bense (15-3)

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