Von den Epochen der irdischen Geschichte scheint keine den Geist der Fantasy-Autoren mehr zu beflügeln als das Mittelalter. Das mag unter anderem an den zahllosen Bilderbuch-Klischees liegen, die unsere Vorstellung von jenem doch recht langen Zeitabschnitt prägen, wobei der Teufel auch hier meistens im Detail steckt. Genau gesagt in den Kleinigkeiten des Alltags.
Information tut also Not, am besten aus möglichst authentischen Quellen.
Auch wenn uns die wirkliche Gedankenwelt jeder vergangenen Zeit letztlich immer verschlossen bleiben wird und niemand je wird nachvollziehen können, was irgendjemand vor 50 oder 500 Jahren tatsächlich empfunden hat, gibt es doch eine Menge Fakten, aus denen man zumindest gewisse äußere altägliche Bedingungen rekonstruieren kann.
Von Interesse für Fantasy-Autoren ist offenbar hauptsächlich das späte Mittelalter, also die Zeit vom ausgehenden 13. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts. Als recht umfassende Orientierungshilfe über diesen Zeitabschnitt kann ich das Buch "Alltag im Spätmittelalter" nur empfehlen, herausgegeben von Harry Kühnel und zuletzt erschienen 1996 als Sonderdruck im Verlag Styria.
Dem Vorwort des Herausgebers zufolge stellt dieses Buch den Versuch dar, "das Alltagsleben des Spätmittelalters mit wissenschaftlicher Methode zu erschließen". Dabei herausgekommen ist eine umfassende und informative Sammlung der verschiedensten mittelalterlichen Zeugnisse.
Das Buch ist aufgeteilt in verschiedene Themenbereiche, die ich kurz auflisten möchte:
- Arbeit
- Nahrung
- Kleidung
- Wohnen
- Kunst
- Zeitbegriff und Zeitmessung
- Probleme innerhalb der städtischen Gemeinschaft (Wasserversorgung, Müllbeseitigung, Versorgung mit Lebensmitteln, Gesundheitspflege)
- Ökonomische Fragen (Häuserbau, Preisregelung, Normierung von Maßeinheiten, Kontrolle der Produktion, Laster und Lust, Luxus)
- Frömmigkeit/Religion
- Einstellung zu Tod und Leben
Die einzelnen Kapitel befassen sich zunächst kurz mit dem geistigen Hintergrund der jeweiligen Themen, beispielsweise wird zum Thema "Zeit" knapp und übersichtlich auf die Bedeutung des Zeitbegriffs für die Menschen der damaligen Zeit hingewiesen, den Tagesablauf und die Verknüpfung von Kirche/Gebet und Tageszeit und auch die aus der Antike überkommenen Vorstellungen. Dann wird anhand zahlreicher mittelalterlicher Texte auf den "technischen" Aspekt der Themen eingegangen, also auf die Entwicklung der exakten Räderuhr, um bei dem Beispiel zu bleiben, oder die technischen Möglichkeiten zum Häuserbau usw.
Diese "technischen" Erläuterungen werden von sehr anschaulichem und zahlreichem Bildmaterial begleitet, das sich aus mittelalterlichen Darstellungen sowie Fotos von erhaltenen Gegenständen, Gebäuden usw. zusammensetzt, wobei die ebenfalls vorhandenen Farbtafeln gleichzeitig auch Aufschluß über den mittelalterlichen Farbgeschmack (oder Farbensymbolik) geben.
Alles in allem würde ich sagen, daß in diesem Buch tatsächlich mit wissenschaftlicher Methode, nämlich Verarbeitung aller verfügbaren Originalquellen, gearbeitet wurde. "Alltag im Spätmittelalter" ist ein allgemein verständliches und übersichtliches Nachschlagewerk zu allen wichtigen Bereichen des spätmittelalterlichen Alltagslebens.
Styria Verlag, Graz Wien Köln |