Dieses Buch will untersuchen und erklären, "was im heutigen Verlagsgewerbe als ,kommerzieller Bestseller" gilt (S. 18). Der Autor Albert Zuckerman ist Lektor und hat, in seinen eigenen Worten, "bei über einem Dutzend von Welterfolgen gewissermaßen die Hebamme gespielt" (S. 19). Er ist also jemand, der Manuskripte zuhauf gelesen hat, und genau weiß, welche Elemente an einem Roman wichtig sind und was ein Manuskript zu einem potentiellen Bestsellerroman macht.
Die Techniken zur Produktion eines Erfolgsromans verdeutlicht Zuckerman durch Beispiele und Zitate aus verschiedenen Romanen, hauptsächlich aus den folgenden fünf Werken:
- Margaret Mitchell: "Vom Winde verweht",
- Colleen McCollough: "Die Dornenvögel",
- Mario Puzo: "Der Pate",
- Ken Follet: "Der Mann aus St. Petersburg" und
- "Im Garten der Lügen" von Eileen Goudge, (die er als seine "begabte Ehefrau" vorstellt).
Wer diese fünf Romane, oder einen Großteil davon, nicht kennt, braucht Albert Zuckermans Buch gar nicht erst zur Hand zu nehmen, oder er sollte sich erst einmal mit ihnen ins stille Kämmerlein zurückziehen.
Die wichtigen Elemente eines "großen Wurfes" sind, - neben viel Arbeit, Energie, Willensstärke, Durchhaltevermögen und Entschlossenheit - wie er in Kapitel 2 darlegt, dass es ums Ganze geht (um das Leben einer Hauptperson - wobei diese Person nicht alleine steht, sondern eine Gemeinde Stadt oder Land vertritt oder es geht um persönliche Erfüllung), Ausnahmecharaktere auftreten (die das Außergewöhnliche tun), eine "dramatische Frage", anspruchsvolle Konzeption (d.h. eine extreme oder leicht abwegige Ausgangssituation. Nach Zuckermans Ansicht basieren Erfolgsromane auf extremen Ausgangssituationen und erfordern bizarre und unerwartete Wendungen des Handlungsverlaufs, die zu immer neuen, ausgeprägten Konflikten führen), unterschiedliche Perspektiven (point of views), spannender Hintergrund (exotisches Ambiente). In den darauf folgenden Kapiteln geht er detailliert auf diese einzelnen Punkte ein.
Ein spannender Hintergrund etwa soll dem Leser einen Hintergrund nahebringen, von dem er keine oder sehr wenig Ahnung hat, ein aktuelles Beispiel dafür ist die Gentechnologie. Voraussetzung für eine glaubwürdige Umsetzung ist entweder eigene Milieuerfahrung des Autors oder intensive Recherche, am besten durch Befragung von Personen, die sich mit der Materie oder dem Milieu auskennen. (Kapitel 3) [siehe auch den Artikel "Recherche" von Barbara Slawig auf Seite 12, Anm. der Red.]
Einen großen Teil des Buches, genauer gesagt etwa 100 Seiten und damit ein Viertel, widmet Zuckerman in Kapitel 4 dem Entwurf eines Romanes. Er zeigt die Entwicklung von Plot und Charakteren eines Romanes anhand der vier Entwürfe, die Ken Follett für die Entwicklung seines Romans "Der Mann aus St. Petersburg" benötigte. In diesen Entwürfen lässt sich verfolgen, wie handelnde Charaktere entwickelt werden, Personen hinzukommen und Beziehungen gestrafft werden. Die Handlung wird Schritt um Schritt verändert und entwickelt, bis das Endkonzept erreicht ist. Dieses Kapitel muss der Leser entweder aufmerksam durcharbeiten oder gleich überspringen. Zuckerman streicht dabei, wie überhaupt während des ganzes Buches, heraus, wie wichtig die ständige Überarbeitung und Veränderung des Manuskriptes ist. Ein Autor, der sich an seine Personen und Handlung klammert und nicht bereit ist, an ihnen zu arbeiten und sie immer wieder zu ändern, wird auf seinem Manuskript sitzenbleiben.
In Kapitel 5 geht Zuckerman auf die überlebensgroßen Charaktere ein, die jeder Bestseller aufweist. Der Autor muss tief in sie eindringen, so dass er den Leser ihre Gefühle miterleben und das Umfeld durch die Augen und Empfindungen der Gestalten betrachten lassen kann. Wichtig auch, dass die großen Charaktere ein Ziel, eine Ambition haben, die der Leser nachempfinden kann, und mit denen der Leser sich identifizieren kann. Auch andere Personen des Romans sollten durch ein persönliches Anliegen, ein Verlangen charakterisiert werden.
Bei der Perspektive (point of view, POV) befürwortet er die Erzählung eines Romans aus der eingeschränkten Perspektive mehrerer Personen, auf keinen Fall weniger als drei oder vier, aber nicht mehr als sechs bis sieben. Seiner Ansicht nach sollten in den verschiedenen Kapiteln die Handlung aus der Perspektive von jeweils einer Hauptperson erzählt werden, nämlich derjenigen, die die Handlung am meisten vorantreibt. (Kapitel 6) Das Hauptziel des Autors ist, eine enge Bindung des Lesers an die Person zu schaffen, daher sollte der Autor nur die Personen für POV nehmen, mit denen er selbst sympathisiert, nur dann kann er sie dem Leser nahebringen.
In Kapitel 7 geht es um die Straffung der Beziehungen zwischen den einzelnen Personen. Enge Bindungen und Beziehungen zwischen den wichtigen Charakteren des Romanes sind essentiell, da auf diese Weise erst Konflikte entstehen. Es ist wichtig, dass zwischen den Konfliktparteien eine enge Beziehung herrscht, wenn dies nicht möglich ist, müssen andere Bindungen geschaffen werden, etwa dass sie einmal eng befreundet waren. Andernfalls muss es starke Beziehungen zwischen Haupt- und Nebenpersonen geben. Nur durch Beziehungen lassen sich starke Emotionen schaffen, deren Miterleben den Leser in die Handlung zieht.
Kapitel 8 befasst sich mit dem Szenenaufbau. Zuckerman empfiehlt, geziehlt am Anfang einer Szene Spannung aufzubauen und damit die Erwartungshaltung des Lesers, um dann seine Aufmerksamkeit zu halten, wenn im folgenden Hintergrundinformationen eingestreut werden, bevor die Szene auf den Höhepunkt zusteuert.
Wichtig für den Erfolg eines Romanes sind natürlich auch die großen Szenen, von denen es in jedem Roman einige geben sollte. Große Szenen sind solche, in denen es zu dramatischen Zuspitzungen, schweren Konflikten oder überraschenden Wendungen kommt, die schon lange vorher vorbereitet werden und sich über sehr viele Seiten hinziehen können (Kapitel 9). Dabei muss die Spannung aufrechterhalten und ständig gesteigert werden, bis sie am Ende unerträglich ist.
Daneben dürfen, wie er in Kapitel 10 schreibt, Nebenhandlungen und Hintergrund nicht vernachlässigt werden. Diese nebeneinander herlaufenden Handlungsstränge, wie z.B. Rückblenden in die Vergangenheit der Protagonisten, die ihre Haltung, ihre Ambitionen, ihre Ängste erklären, müssen sorgsam verknüpft werden. Dabei muss zuerst die eigentliche Handlung in Gang kommen, bevor der Hintergrund geschildert wird. Nicht zu vergessen schließlich ist der Rhythmus der Erzählung, idealerweise ein ständiges Auf und Ab zwischen Spannung und Ruhe. Höhen und Tiefen im Schicksal der Helden müssen das Buch durchziehen! Auf Höhepunkte folgen Szenen relativer Ruhe, Ablenkung für den Leser, bevor sich wieder ein Höhepunkt aufbaut. (Kapitel 11)
In Kapitel 12 analysiert Zuckerman die Wandlungspunkte, die etwas verändern, neue Fragen aufwerfen, den Plot in eine neue Richtung lenken, neue Verwicklungen erzeugen, den Status einer Figur verändern etc. Erst durch ständige Wandlung wird Tempo erzeugt und die Handlung vorangetrieben.
Am Ende widmet er noch einmal ein langes Kapitel der Überarbeitung. Jeder erfolgreiche Autor schreibt sein Manuskript mehrmals um. So wird empfohlen, das fertige Manuskript ein bis zwei Wochen liegenzulassen, und es dann möglichst objektiv durchzulesen und auf Schwächen abzuklopfen.
Das Buch zeigt tatsächlich, wie Zuckerman ankündigt, was die heutigen kommerziellen und äußerst erfolgreichen (amerikanischen) Bestseller kennzeichnet. Die Romane von John Grisham beispielsweise dürften sich problemlos auf Zuckermans Bestsellerkriterien hin analysieren lassen. Ein Leser, der die Ambition hat, einen derartigen Bestseller zu schreiben, sollte sich das Buch auf alle Fälle zu Gemüte führen, ob er dann allerdings in der Lage ist, einen derartigen Megaseller zu schreiben, ist eine ganz andere Frage.
Ich fand das Buch durchaus informativ und nützlich, auch wenn ich nicht allen seinen Hinweisen zustimme. Für mich sind drei bis vier POVs schon die Obergrenze an Perspektiven, da dadurch das Geschehen zerrissen wird, und man in manchen Romanen eher den Eindruck hat, die Hauptgeschichte sei nicht tragend genug, um sie aus ein oder zwei POVs zu erzählen.
Auch die Spannung in einem Roman und in den einzelnen Kapiteln ist natürlich wichtig, der Leser will Spannung, das allein treibt ihn an, immer weiter zu lesen. Dennoch sollte das nicht dazu führen, dass Romankapitel wie amerikanische Fernsehserien aufgebaut werden, in denen ein Zuschauer vor der Werbepause in Spannung versetzt wird, damit er keinesfalls umschaltet. Von einem Leser, der sich auf ein Buch einlässt, sollte man erwarten können, dass er auch das fünfte Kapitel liest, selbst wenn das vierte nicht mit einem Knalleffekt geendet hat.
"Bestseller. Wie man einen Erfolgsroman schreibt" ist relativ einfach und unkompliziert zu lesen, jedenfalls wenn man darauf verzichtet, die Entwürfe durchzuarbeiten. Wer jedoch nicht gleich mit dem Bestseller anfangen will, sondern mit einem soliden Roman ist meiner Meinung nach mit "Wie man einen verdammt guten Roman schreibt" von James N. Frey besser bedient.
Meinem Gefühl nach könnte Zuckermans Werk einem Autor dann am meisten nützen, wenn er bereits ein fertiges Manuskript in der Schublade liegen hat und nach der Lektüre dieses Buches anhand der von Zuckerman vorgestellten Techniken sein Manuskript auf Schwächen und Fehler hin abklopft. Gleichzeitig könnte das aufmerksame Durcharbeiten der Entwürfe einem jungen Autor zeigen, wie man eine Handlung auf den Punkt bringt.
Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach, 1995 |
Englische Version "Writing the blockbuster novel": Writers Digest Books, 1994 |