Kritik ist es, was Menschen beim Schreiben weiterbringt - das leuchtet uns in der Regel vor allem dann ein, wenn wir die Texte anderer kritisieren. Mit Kritik an den eigenen Werken umzugehen ist da schon etwas anderes. Am schwierigsten scheint es aber zu sein, die eigenen Texte mit ungetrübtem Auge zu analysieren.
Kein Problem ist das für Barry B. Long-year, der den meisten wohl zumindest durch "Enemy mine" bekannt sein wird. Nicht nur deutet er gnadenlos auf die - zum Teil fatalen - Schwächen eigener Stories, nein, er scheut sich nicht einmal, all das in einem Buch für andere AutorInnen zu tun. Hier breitet ein Autor am Anfang seiner Karriere (das Buch erschien 1980) vor den staunenden LeserInnen die Produkte seiner Arbeit aus - ob sie nun erfolgreich und preisgekrönt oder aber abgelehnt oder von ihm selbst verworfen worden sind.
Wahnsinn? Übersteigertes Selbstbewußtsein? Masochismus? Keineswegs. Vielmehr führt Longyear mit diesem Buch deutlich vor, was eine professionelle Arbeitshaltung für Schreibende ausmacht und wie notwendig sie ist, wenn man Fortschritte machen will. Denn nur die klare Analyse eigener Fehler macht es möglich, zu lernen und eben diese Fehler in Zukunft zu vermeiden.
Von all den -zig Büchern übers Schreiben, die ich kenne, ist für mich dieses das mit Abstand ergiebigste. Denn hier äußert sich ein Autor, der genau sieht, wo etwas nicht stimmt, und der das dann auch auf den Punkt bringen und benennen kann - eine Fähigkeit, die man bei den eigenen "KritikpartnerInnen" nicht hoch genug schätzen kann. (Als er das Buch schrieb, tat er das übrigens mit Absicht zu Beginn seines Schriftstellerlebens, weil er fürchtete, später nicht mehr den gleichen Zugang zu den Schwierigkeiten von AnfängerInnen zu haben.)
Ein weiterer Aspekt, der dieses Buch von allen anderen, die ich kenne, positiv abhebt, ist, daß Longyear mit vollständigen Stories arbeitet - glücklicherweise hatte er schon 1980 eine Menge kurzer und sehr kurzer Kurzgeschichten geschrieben. Das schärft das Auge für Zusammenhänge, Strukturen und Erzählperspektive und erlaubt die Einordnung von Einzelelementen in den größeren Zusammenhang.
Nach dem ersten Kapitel hatte ich bereits mehr über Storystrukturen und wie man damit spielen kann gelernt als in jedem anderen Buch zuvor. Überprüfen kann man die eigene gesteigerte Analysefähigkeit übrigens daran, daß man Longyears Aufforderung bei zahlreichen Stories folgt, indem man versucht, das zentrale Problem zu finden, bevor man seine Kurzanalyse liest.
Ein besonderes Bonbon ist das Kapitel, in dem Longyear die Entstehung von "Enemy mine" offenlegt - von den ersten notierten Ideenfetzen bis zur Überarbeitung.
Wer im allgemeinen wenig Lust hat, sich "theoretisch" mit dem Schreiben zu beschäftigen, und - mal angenommen - nur ein einziges Buch zu diesem Thema lesen möchte, sollte genau dieses nehmen. Es ist spannend, einfach, klar, extrem hilfreich und (bei Longyear eigentlich selbstverständlich) oftmals ausgesprochen amüsant (bzw.: echt komisch). Der einzige Wermutstropfen: Der Band II ist entweder nie erschienen, oder aber er ist heute nicht mehr zu bekommen ... (ich lasse mich da aber nur zu gerne einer Lüge überführen!).
Ich habe das Buch übers Internet bezogen, und zwar beim amazon bookstore, (Anm. d. Red.: Zur Zeit nicht mehr im Handel erhältlich)
OWLSWICK PRESS,1980 |