Damit Deine Erzählung funktioniert, muß sie die richtigen Zutaten enthalten. Werden diese Zutaten ohne Phantasie und Gefühl benutzt, ist das Ergebnis nur der Form nach eine Erzählung. Wie ein guter Koch kannst auch Du mit den richtigen Zutaten und einem guten Rezept schöne Überraschungen kreieren.
Viele Schriftsteller müssen, genauso wenig wie gute Köche, bewußt darüber nachdenken, was im Kochtopf landet. Als Anfänger solltest Du jedoch einmal darüber nachdenken, inwieweit Deine Erzählung mit dem vorgeschlagenen Aufbau übereinstimmt. Im Prinzip haben diese Vorschläge alle damit zu tun, Deine Charaktere aus dem Dunkel des Unbekannten ins Licht zu holen: Kann unsere Heldin ihr Glück als Journalistin machen? Wir wissen es nicht, aber wir werden es herausfinden. Kann unser Held in der Wildnis von Nevada eine Dynastie gründen? Wir wissen es nicht, aber wir werden es herausfinden.
Eröffnung
Stelle uns Deine Hauptfiguren vor oder laß sie uns zumindest erahnen: Wir sehen die Hochzeit von der Mutter unserer Heldin. Wir sehen ein Verbrechen, das unseren Helden mit seinen Ermittlungen ins Spiel bringt.
Zeige eine oder mehrere Figuren in einer geeigneten Notlage. Wenn der Held sich am Ende des Romans unter Feindbeschuß bewähren muß, dann laß ihn im ersten Kapitel verwundet werden und versagen. Wenn die Heldin am Ende einer Versuchung widerstehen muß, zeige, wie sie oder eine andere Person dieser Versuchung erliegt.
Stelle uns vor, wer der Gute und wer der Böse ist. Wir wollen wissen, für welche Person wir uns emotional engagieren sollen, auf wessen Seite wir sind? Auch wenn der Held unsere Moralbegriffe verletzt, sollte er Charakterzüge haben, mit denen wir uns identifizieren können. Der Bösewicht kann uns gefallen, aber er muß auf einen Kurs gesetzt werden, den wir ablehnen (müssen).
Zeige uns, was auf dem Spiel steht. Lektoren und Leser wollen dies von Anfang an wissen (Siehe Klappentext eines jeden Romans: "Nur eine Person ist in der Lage, den Westen zu retten / das galaktische Imperium zu verteidigen / die Vampire zu besiegen..."). Was kann der Held gewinnen bzw. verlieren? Was passiert, wenn das Böse gewinnt?
Lege Ort und Zeit der Handlung fest. Wie sieht das Konfliktfeld aus? Liegt der Handlungsort beispielsweise bei den Nanaimo Kohlenminen um die Jahrhundertwende, so könnte das Kon-fliktfeld die Beziehungen zwischen Minenarbeitern und Minenbesitzern sein.
Ein anderes Konfliktfeld könnte in den Familien der Minenarbeiter zu suchen sein, oder in der Person eines einzelnen Minenarbeiters...
Laß das Ende erahnen. Wenn der Held in einem Schneesturm am Schluß des Romans umkommt, sollte die erste Schneeflocke bereits im ersten Kapitel fallen.
Lege die Grundstimmung, den Ton des Romans fest: ernst oder aufgeregt, humorvoll oder tragisch.
Hauptteil
Erzähle die Handlung in Szenen und nicht in Erklärungen. Jede Szene hat einen Zweck und enthält ein Hindernis, einen Konflikt und eine Auflösung, die uns etwas Neues über die Figuren und ihre Lebensumstände erzählen.
Entwickle Deine Figuren durch Handlung und Dialoge. Zeige uns, was passiert und warum. Auf keinen Fall darf dies direkt geschehen.
Nicht: Er war laut und unhöflich.
Sondern: "Geh mir aus dem Weg, Du Blödmann!", brüllte er.
Füge alle Elemente, die für die Lösung nötig sind, in die Handlung ein. Wenn alles vom Niederschießen einer Person mit einem Gewehr abhängt, zeige uns das Gewehr, lange bevor der Schuß fällt.
Motiviere die Handlungen und Worte der Figuren.
Wenn Menschen etwas Außergewöhnliches aus einem guten Grund tun, dann ist dies dramatisch. Tun die Figuren dasselbe aus schlechtem oder gar keinem Grund, ist die Tat melodramatisch.
Entwickle den Handlungsablauf als Folge immer größerer Probleme: Die Heldin entkommt dem Bösewicht im Kapitel 5 durch Flucht in die verschneiten Berge. In Kapitel 6 riskiert sie den Tod in einer Lawine. Erzeuge Spannung dadurch, daß die Lösung eines Problems unsicher bleibt. Wie wird die Heldin der Lawine entkommen? Wie entkommt sie dem Erfrierungstod?
Die Lösung eines Problems muß immer zu der entsprechenden Figur passen! Gut, daß die Heldin in Kapitel 1 ein Überlebenstraining für die Wildnis mitgemacht hat...
Schluß
Präsentiere einen endgültigen, entscheidenden Konflikt, in dem alles bisher Erreichte Gefahr läuft, durch ein falsches Wort oder eine falsche Tat verloren zu gehen. Das ist die Klimax, der Höhepunkt, der dem Leser und eventuell auch den Figuren etwas enthüllt. Diese Enthüllung muß bereits implizit im Roman enthalten sein, darf aber weder offensichtlich noch vorhersagbar sein.
Im ganzen Roman
Erinnere Dich immer daran, daß nichts zufällig geschieht. Warum heißt die Heldin Sophia? Warum ist sie blind? Warum ist ihr Hund ein schwarzer Neufundländer?
Die einfache Antwort lautet: Du bist der Schöpfer Deines Romans und Du hast es so, und nicht anders erschaffen. Aber wenn Du einen guten Grund für diese Elemente hast, wird die Handlung interessanter, weil nun mehr Bedeutung darin liegt. Sophia bedeutet beispielsweise Weisheit und kann so dem Leser einen Hinweis geben.
Benutze Bilder, Metaphern und dergleichen bewußt und zielgerichtet. Benutze sie nicht nur, weil sie gut klingen.
Behalte einen gleichen Stil, Ton und Blickwinkel bei.
Beachte die Konventionen des Genres, in dem Du zu schreiben beabsichtigst. Regeln des Genres solltest Du nur mit gutem Grund brechen. Wenn es zu den Konventionen gehört, daß ein Privatdetektiv aggressiv, trinkfreudig und Single ist, verwirrst Du den Leser mit einer Privatdetektivin, die Joghurt liebt und schüchterne Mutter von drei Schulkindern ist.
Noch mehr wirst Du den Leser erschüttern, wenn diese Frau sich mit schießwütigen Kriminellen abgibt. Als Privatdetektivin hängt ihr Verhalten von ihrer Persönlichkeit und den Grenzen ihres Charakters ab.