Der Begriff Genre bezeichnet einfach jene Literaturgattung (meist Romanliteratur), die sich mit einem besonderen Thema beschäftigt, anerkannt und veröffentlicht ist. Besonders die sogenannte Mainstream-Literatur hat ihre Genres: Zum Beispiel die sogenannte Erwachsen-werden-Literatur. In letzter Zeit verbindet man in Nord-Amerika (Anm. d. Übers.: Auch in Deutschland wird der Begriff in diesem Zusammenhang benutzt). mit dem Begriff »Genre« jenen Romantyp, der aufgrund seiner vorhersagbaren Handlung von bekanntem Material, kommerziell erfolgreich ist: Königliche Romanzen, knochenharte Detektiv-Geschichten, gewaltige Science-Fiction-Epen.
Einige Leser, Autoren und Kritiker lehnen solche Literatur wegen ihrer Berechenbarkeit entschieden ab, und sie haben damit meist recht.
Übersehen wird dabei jedoch, daß gerade das anspruchslosere Schreiben ein gewisses Maß an Geschicklichkeit erfordert, was nichts anderes heißt, als daß Du die Regeln Deines Genres ganz genau kennen mußt, wenn Du Erfolg haben willst. Noch wichtiger wird diese Regel, wenn Du beabsichtigst, die Botschaft Deiner Geschichte durch gezieltes Experimentieren mit diesen Konventionen zu verbreiten. Genauer gesagt, müssen sich sowohl Autor als auch Leser über ganz bestimmte Details der Story ohne den geringsten Zweifel im Klaren sein.
Zum Beispiel müssen wir als Leser die Geschichte des mexikanisch-amerikanischen Krieges nicht kennen, um zu verstehen, warum ein junger Mann aus Ohio im Jahre 1871 Rinder in Texas brandmarkt. Wir brauchen die über Einstein hinausgehende Physik nicht zu verstehen, die Überlichtgeschwindigkeit erlaubt und damit die Gründung interstellarer Imperien begünstigt. Und wir sind uns einig, daß die Heldin einer königlichen Romance heterosexuell sein sollte, ungebunden, und darüber unglücklich, ihre Probleme durch das Lernen von Karate lösen zu müssen.
Als ein Jungautor solltest Du Dir der Konventionen Deines Genres bewußt sein, und sie nicht nur als ein Mittel ansehen, das Dir hilft, eine gute Abenteuergeschichte zu untermauern. Im Grunde bist Du ein Kochlehrling, der den Geschmack von Tomatensuppe nicht unkritisch hinnehmen kann, sondern wissen muß, welche Zutaten nötig sind, um diese dann mit einiger Virtuosität zu gebrauchen.
So kann es hilfreich für Dich sein, in einem Deiner Briefe an Dich selbst - und natürlich in Zusammenhang mit Deiner Story -, Dein eigenes Verständnis und Deine eigene Einschätzung bezüglich der Methode, mit der Du arbeitest, herauszustellen. Bei einigen meiner früheren Bücher - sie fallen in das Genre des Naturkatastrophen-Thrillers - fand ich es sehr hilfreich.
Deine Genre-Analyse muß keinen Essay-Charakter haben. Sie sollte lediglich die Schlüsselelemente des Genre, so wie Du sie selbst siehst, festhalten, und Dir zu Ideen verhelfen, die zum Tüfteln mit den Konventionen des Genre anregen. Und das sollte Deine Story reizvoller machen, als die sklavische Imitation Deines Lieblingsautors.
Als Beispiel hier meine eigenen Betrachtungen zum Thema Thriller:
1. Der Thriller portraitiert Personen mit Problemen konfrontiert, die sie nicht durch Zuflucht zu etablierten Institutionen und Behörden lösen können.
2. Die Probleme bedrohen nicht nur die physische und geistige Sicherheit der Personen, sondern drohen auch deren Gesellschaft zu zerstören: ihre Familien, ihre Gemeinschaften, ihre Nationen. Das ist der Kern des Thriller, der auch baldmöglichst heraustreten sollte.
3. Die Problemlösung der Charaktere umfaßt für gewöhnlich einige Grade der Gewalt, Gesetzwidrigkeiten, technische Expertisen und dramatische Aktion. Aber nicht mehr, als wir von den Personen, die wir portraitieren, glaubwürdig machen können.
4. Der politische Thriller schildert Charaktere, die sich außerhalb der gesellschaftlichen Norm bewegen müssen, wenn sie dieselbe schützen wollen, und deshalb machen sich diese Charaktere eine bestimmte ironische Qualität zueigen. Nicht zuletzt müssen sie ebenso erfahren und umbarmherzig sein, wie ihre Gegner, motiviert durch Werte, die wir verstehen und bewundern können, auch wenn wir diese nicht teilen.
5. Der Katastrophen-Thriller zeichnet Charaktere nach, die weder von ihrer Gesellschaft isoliert sind, noch riskieren, isoliert zu werden, wenn sie versagen. Im großen und ganzen läuft es darauf hinaus, daß diese Charaktere oder auch ihre Gesellschaft (oder gar beide) sterben werden. In einer Geschichte mit einer Naturkatastrophe ereignet sich die Katastrophe früh. Strittig ist, wer überleben wird und wie.
6. Die dargestellten Personen müssen höchst glaubwürdig und komplex sein. Wo sie grotesk oder zweidimensional erscheinen, müssen wir ihnen einige stichhaltige Gründe für diese Verhaltens- und Wesensmerkmale geben. Es müssen angemessene Motive für die extremen und risikoreichen Aktionen unserer Personen existieren, und sie müssen mit plausiblem menschlichem Handeln auf Ereignisse reagieren. Nicht zuletzt sollte dieses Handeln dem entspringen, was wir Persönliches über die Charakteren wissen, wobei gleichzeitig ein neues Licht auf diese persönlichen Aspekte geworfen werden sollte.
7. Das Ziel der Hauptfiguren liegt darin, die bedrohte Gesellschaft zu schützen oder wiederherzustellen. Es ist selten, daß man eine vollkommen neue Gesellschaft kreiert. In diesem Sinn ist der Thriller normalerweise konservativ, obwohl Ironie diesen Konservatismus überlagern kann.
8. Zu Beginn reagiert die Hauptfigur einzig auf die Geschehnisse. Ab einem bestimmten Zeitpunkt jedoch ergreift sie Gegenmaßnahmen und macht einen Versuch, die Sache in die Hand zu nehmen und das äußere Schicksal zu bewältigen.
9. Die Entwicklung des Haupdarstellers geht den beschwerlichen Weg von Ignoranz zum Erkennen, begründet durch eine Folge von immer intensiver-en und bedeutenderen Konflikten. Das alles führt zu einem stürmischen Konflikt und zur Lösung der Geschichte.
10. Mit dem Höhepunkt des Romans erreicht die Hauptfigur Selbsterkenntnis bezüglich ihrer Lebensumstände, und das im Rahmen ihrer bislang erworbenen Erkenntnisfähigkeit (oder wir selbst erreichen letztendlich eine solche Erkenntnis). Dieses Erkennen kann gut gestaltet, ein völlig neues Licht auf die Ereignisse des Romanes und die Charakteren werfen. Ein Mord kann sich als nutzlos herausstellen oder Loyalität kann verraten worden sein. Auf solche Einblicke sollten wir im Roman früh vorbereitet werden, so daß Wandel und Entwicklung des Hauptdarstellers logisch und glaubhaft sind.