von Crawford Kilian (übers. von Ramona Roth-Berghofer)
Glaubwürdige und komplexe Personen sind entscheidend für erfolgreiches Romanschreiben. Du kannst solche Personen auf verschiedene Weise entwickeln.
Konkretisierung
Die Personen in einem Roman haben ein bestimmtes Zuhause, Besitztümer, eine Krankengeschichte, einen speziellen Möbelgeschmack oder besondere politische Neigungen. Abgesehen von diesen erfundenen Möglichkeiten, sollten die konkreten Aspekte, die man für seine Personen wählt, begleitende Informationen für die ganze Geschichte sein. Raucht unser Held Marlboros, weil er ein rauher Außenseiter ist, oder gehört das Rauchen dieser Marke zu den Menschen seiner Gesellschaftsschicht? Oder rauchst Du selbst Marlboros?
Symbolische Zusammenhänge
Man kann das Wesen einer Person bildlich durch besondere Objekte oder einen bestimmten Hintergrund ausdrücken (ein rostiges Schwert, ein blühender Obstgarten, ein gewaltiger Sturm ). Das mag zwar für den Leser (und vielleicht auch für den Autor) auf Anhieb nicht ganz verständlich sein, unterbewußt jedoch greift ein Rädchen ins andere und läßt alles richtig erscheinen.
Auch symbolische Assoziationen können in Anlehnung an bekannte literarische Figuren bewußt archetypisch sein (siehe "Tempest" 03/96, "Symbolismus und Schreiben", Seite 7). Oder man verwendet persönliche Symbole, welche der Leser bewußt oder auch nur unterbewußt fassen kann. Schon alleine der Name einer Person kann symbolische Zusammenhänge formen, obwohl diese Praxis in der modernen Literatur (abgesehen von Comic- und ironischer Literatur) an Popularität verloren hat.
Sprache
Art und Umfang der Sprache einer Person helfen eine bestimmte Persönlichkeit heraufzubeschwören: scheu und schweigsam, agressiv aber aufrichtig, humorvoll, zurückhaltend Dabei sollten beide Aspekte den sozialen und ethnischen Hintergrund einer Person wiederspiegeln, und das ohne Stereotypen. Wenn eine Person "alltäglich" spricht, sollte ihr Background das auch rechtfertigen. Ferner sollte eine Person nur aus einem guten Grund heraus "unklar" erscheinen.
Verhalten
Von den Tischmanieren bis hin zum handfesten Kampfstil sollte jeder neue Verhaltensaspekt einer Romanfigur mit dem übereinstimmen, was wir bereits über sie wissen. Nichtsdestotrotz sollten im Handlungsverlauf auch neue Persönlichkeitsaspekte enthüllt werden. Gerade das Verhalten einer Person in unteschiedlichen Streßsituationen sollte Wesentliches über den Charakter sagen.
Motivation
Die Personen sollten nicht nur gute und ausreichende Gründe für ihre Handlungen haben, sondern diese auch mit überzeugendem Können durchführen. Wenn der Leser nicht glauben kann, daß eine Romanfigur so handelt, wie es der Autor ihm weismachen möchte, hinkt der ganze Roman.
Wandel
Romanfiguren durchleben während des Storyverlaufs bestimmte Erfahrungen, und sie sollten auf diese Erfahrungen mit einer angemessenen Veränderung der Persönlichkeit reagieren. Ganz gleich wie diese Romanfiguren ihren Alltag bewältigen, wie sie in Konflikte geraten, diese bewältigen oder an ihnen scheitern, oder wie sie mit neuen Problemen umgehen sie werden nicht dieselben Persönlichkeiten bleiben. Wenn ein Charakter nach all diesen Dingen am Ende einer Story noch immer dieselbe scheint wie zu Beginn, sollte zumindest der Leser eine kleine innere Wandlung vollzogen haben und erkennen können, welche Ereignisse die Entwicklung der Figuren verhindert haben.
Charakter-Checkliste
Eine brauchbare Methode, mehr über die Personen eines geplanten Romanprojektes zu erfahren, liegt im Anlegen einer Charakterskizze. Zumindest empfiehlt sich diese Methode für die wichtigsten Personen in einem Roman. Folgende Informationen könnte diese Skizze beeinhalten:
- Name
- Adresse und Telefonnummer
- Geburtsdatum und -ort
- Körpergröße / Gewicht / Physische Beschreibung
- Staatsangehörigkeit / Ethnischer Ursprung
- Namen der Eltern / Beruf
- Andere Familienmitglieder
- Ehestand
- Namen von Freunden / Beruf
- Gesellschaftsschicht
- Ausbildung
- Beruf / Arbeitgeber
- Höhe des Gehaltes
- Status in der Gemeinde
- Berufsbezogene Fähigkeiten
- Politische Neigungen / Mitgliedschaften
- Hobbies
- Ambitionen
- Ängste / Komplexe
- Persönliche Fähigkeiten (Imagination, Geschmack )
- Intelligenz
- Art des Humors
- Schmerzliche Rückschläge / Enttäuschungen
- Besonders aufschlußreiche / bedeutungsvolle Erfahrungen
- Gesundheit / Körperliche Verfassung / Besondere Merkmale / Gebrechen
- Sexualität
- Vorlieben hinsichtlich Essen, Trinken, Kunst, Musik, Literatur, Mobiliar, Kleidung
- Standpunkt gegenüber dem Leben
- Standpunkt gegenüber dem Tod
- Lebensphilosphie (in einem Satz)
Es mag sein, daß man nicht all diese Informationen benötigt, oder daß man eigene Kategorien für seine Charakterskizze entwickelt. In jedem Fall aber hilft ein solcher Überblick dem Autor, seine Romanfiguren lebendiger im Kopf zu haben, ganz zu schweigen davon, daß die Charakterskizze in vielerlei Hinsicht auch zu nützlichen Ideen führen wird. Ob es um die Motive der Romanfiguren geht oder um die Entwicklung der dramatischen Ereignisse, die schließlich die persönlichen Charakterzüge der Figuren demonstrieren
Dieser Überblick sollte in keiner Projektbibel fehlen, erinnert er doch an die zahlreichen Details, die ein Autor ständig für seinen Roman parat haben muß (s. auch "Schreibgewohnheiten").