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12 Nicht behaupten, sondern zeigen!

von Crawford Kilian (übers. von Stefanie Pappon)

Schreibanfänger (und manchmal professionelle Autoren) begehen häufig den Fehler einfach nur die Dinge zu erzählen, anstatt den Sachverhalt dramatisch aufzubereiten. Manchmal ist eine Beschreibung unumgänglich oder sogar erstrebenswert. Beispielsweise hat Lloyd Abbey eine SF-Geschichte geschrieben, die gerade eine Zeile menschlichen Dialogs aufweist. Da seine Helden allesamt Wale sind, die nicht in der meschlichen Sprache miteinander reden können, muß der Erzähler uns beschreiben, was sie denken und tun. Auch Gabriel Garcia Marquez ist ein Meister seitenlanger, außergewöhnlich guter Beschreibungen.

Wir Normalsterblichen müssen uns allerdings erst klar machen, daß wir die Gefühle unserer Helden in Worten dramatisieren müssen, sonst zerreißen die Leser unsere Manuskripte aus lauter Verzweiflung in der Luft.

Vergleichen wir doch einmal die folgenden beiden Beispiele zu diesem Sachverhalt und stellen uns die Frage, welches der Beispiele die dramatische Intenstion des Autors trifft:

Beispiel 1 (beschreibend):
Vanessa war eine vierunddreißigjährige große Frau mit schulterlangem roten Haar und blassem Teint. Sie verlor leicht die Geduld und fluchte oft. Wenn sie das tat, errötete ihre feine Haut in einem tiefen Rosa. Sie barst vor Energie und verlor die Geduld, sobald sich auch nur die kleinste Abweichung von ihren Tagesplänen ergab. Marshall, ihr Assistent, ein kahlköpfiger Leisetreter von vierundfünfzig Jahren, hatte des öfteren Angst vor ihr. Es ärgerte ihn, daß sie immer wieder ihr Mütchen an ihm kühlte.

Beispiel 2 (zeigend):
Vanessa sprang von ihrem Schreibtisch auf. Ein Sonnenstrahl, der durchs Fenster fiel, schien ihr rotes Haar Feuer fangen zu lassen, als sie heftig den Kopf schüttelte.
"Nein Marshall! So geht es gottverdammt nicht! Habe ich mich nicht glasklar ausgedrückt?"
"Ja, Vanessa, aber…"
"Du hast doch verstanden, was ich dir sagte, oder?"
Ihre bleiche Haut stand in flammendem Pink, und Marshall sah sich die Zeichen eines klassischen Wutaus-bruchs entwickeln. Sie trat einen Schritt auf ihn zu, zwang ihn, zu ihr aufzublicken (sie war mindestens zwanzig Zentimeter größer als er). Er warf die Hände flehentlich in die Höhe, dann strich er sich verzweifelt den Schweiß von der Kahlheit seines Schädels.
"Vanessa, es war ein…"
"Du hast wieder einmal Mist gebaut, Marshall! Wir müssen bis Mittwoch den Karren aus dem Dreck gezogen haben. Ich werde diesen Termin halten, gleichgültig, ob du mir hilfst oder nicht. Wirst du jetzt deinen Arsch hochkriegen und mich unterstützen?"
Marshall nickte und verfluchte sich im Stillen selbst für seinen sklavischen Gehorsam gegenüber dieser Hure, die gerade einmal zwanzig Jahre jünger war als er. Warum brachte er nicht den Mut auf, ihr zu sagen, daß sie das alleine durchstehen mußte.
"Ist in Ordnung, Vanessa. Wir werden das schon hinkriegen."
"Verdammt! Das ist schon besser." Ihre Stimme klang schon weicher, das Pink verschwand von ihren Wangen. "Okay, laß uns die Sache angehen."

Kommentar:
Eine Beschreibung (Beispiel 1) wurde zur Szene (Beispiel2) umgeschrieben: das Porträt eines Konfliktes und dessen Lösung. Diese Szene hat auch das Potential in sich den Leser auf weitere Szenen vorzubereiten. Vielleicht arbeitet sich Marshall für Vanessa zu Tode oder er vergiftet sie. Vielleicht lernt Vanessa auch, sich besser zu benehmen. Das, was der Autor erreichen will, nämlich die Emotionalisierung eines Sachverhalts, spielt sich innerhalb dieser Szene und in den Köpfen der Leser ab, die sich entweder auf die Seite Marshalls oder Vanessas schlagen.

Beispiel 3 (beschreibend) :
Jerry war neunzehn. Seit er vor einem Jahr die Higschool verlassen hatte, war er so gut wie keiner Beschäftigung nachgegangen. Selbst in den wenigen Halbtagssjobs, die er angenommen hatte, war er nie mehr als ein paar Wochen beschäftigt gewesen. Seine Freundin Judy jedoch rackerte sich in zwei Ferienjobs ab, um sich ihr zweites Jahr am College zu finanzieren. Jerry kontrollierte sie mit einer Kombination aus extravertiertem Charme und schikanöser Eingeschnapptheit. Insgeheim bewunderte er ihren Ehrgeiz und fürchtete, daß sie ihn verlassen würde, verlöre er je seinen Einfluß auf ihre Entscheidungen.

Beispiel 4 (zeigend):
"Hey, Traumfrau," sagte Jerry, als er in den Coffeeshop schlenderte und sich an seinen üblichen Platz am Fenster setzte.
"Hallo," sagte Judy.Sie nahm ihren Bestellblock heraus.
"Hey, es tut mir leid, was ich letzte Nacht gesagt habe. Irgendwie hatte ich ein Rad ab."
"Möchtest du was bestellen?"
"Hast du nicht gehört? Ich habe mich entschuldigt. Würdest du das zur Kenntnis nehmen?"
"Hab´ ich hiermit getan! Aber Murray sagt, daß Privatleben und Job zwei verschiedenen Dinge sind. Also willst du jetzt etwas bestellen?"
Er schnaubte verzweifelt.
"Baby, ich bin am Rande eines Nervenzusammenbruchs!"
Sie starrte auf den Verkehr, der am Fenster vorbeizog.
"Du kannst hier nicht den ganzen Tag zum Preis von einer Tasse Kaffee herumhängen. Nicht noch mal! Murray sagt, daß er mich rauswirft, wenn du das tust."
"Toll! Sag ihm, daß er sich schon mal nach ner´ neuen Bedienung umsehen soll."
"Jerry, sei vernünftig. Das wäre schlimm für mich. Ich brauche diesen Job!"
"Verdammt, du hast doch noch den Job beim Kino."
"Das ist abends und ich verdiene kaum etwas dabei. Ich muß mein zweites Jahr am College in diesem Sommer finanzieren. Jerry, können wir darüber nicht nach der Arbeit reden?"
"Okay, ich seh dich dann am Tag der Arbeit."
"Jerry, ich bitte dich! Wir treffen uns um vier, ja?"
Er stand schulterzuckend auf.
"Ja, ist okay. Ich glaube, ich geh´rüber zur Busstation und lese bis dahin Comics."
Er fixierte sie scharf:" Sei nicht zu nett zu den anderen Kerlen, die hier rein kommen. Ich find´ es sofort heraus. Daß du in Schwierigkeiten bist, weißt du dann?"
"Ja, Jerry, es tut mir wirklich leid. Ich sehe dich dann später."

Kommentar:
Wieder geht es hier um einen Konflikt, der wohl in andere Konflikte und deren Lösung münden wird. Wir möchten natürlich wissen, ob Judy Jerry verlassen wird oder ob Jerry sie an sich binden kann. Für den Leser definiert sich die Beziehung dieses Paares durch seine Dialoge, nicht durch die Äußerungen des Autors.

Der Einsatz jeden Mittels

Anzumerken bleibt, daß beide Beispiel einen Machtkampf zeigen. Es geht um die Durchsetzung der Ziele eines Einzelnen gegenüber anderen Interessen. Die Mehrzahl von Romanszenen befaßt sich mit der Bewältigung von Konflikten: Gibt es Pizza oder Hamburger zum Essen? Jemand glaubt das Datum des Weltunterganges zu wissen. Ein Landstreicher entwickelt eine Strategie die außerirdischen Eindringlinge zu besiegen oder eine Partei möchte die erste Staatspräsidentin zum Wahlsieg führen.

Wir, als Leser, wünschen uns den Einsatz aller Mittel zur Austragung und Überwindung solcher Konflikte wie etwa pure Männlichkeit, zynische Intelligenz, subtil gesponnene sexuelle Beeinflußung, politische Courage, selbstmörderische Verzweiflung.

Je nachdem, wie die Story endet, sind wir als Leser geneigt, unser Resümeé zu ziehen: Diese "schiere Männlichkeit" gewinnt immer, politische Courage führt zu nichts und so weiter.

Wenn wir daraufhin unser vorherigen Beispiel analysieren, sieht das so aus:

Resümeé (Beispiel 4):
Nur durch den Einsatz von Mach-methoden und ein bischen Selbstmit-leid scheint Jerry den Machtkampf mit Judy zu gewinnen. Aber recht wenige Leser werden ihn wegen der Art und Weise, wie er sein Ziel erreicht, bewundern oder seiner Taktik auf lange Sicht eine Chance geben. Sie fragen sich allerdings, wie sich dieser Konflikt lösen wird.

Erzeugen von Spannung

Wäge sorgfältig ab, wenndu eine Szene entwickelst. Wenn Dein Held nur in Feuergefechten Punkte sammelt, wird es allmählich langweilig. Wenn Deine Heldin ständig in Tränen ausbricht, werden Deine Leser nicht der Versuchung widerstehen können, ihr ein Taschentuch (oder noch besser ein Badehandtuch) zu reichen und ihr zu sagen, sie soll sich nie wieder blicken lassen.

Idealerweise enthüllt der Autor seinen Lesern in jeder Szene ein neues, überraschendes Detail seiner Figuren und hinterläßt gleichzeitig den Hinweis, daß da noch mehr Überraschungen unter der Oberfläche der Geschehnisse schlummern, - wie die Unsicherheit, der der Leser unterliegt, wenn er Jerrys und Judys Gespräch im Coffeeshop verfolgt.

Stand: 2002-09-22

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