Im ersten Teil dieses Schreibkurses haben wir uns einen rein auf den Dialog gekürzten Textauszug aus Kirk Mitchells "Backdraft" angeschaut, um zu sehen, welche Wirkung schon der pure Dialog auf den Leser haben kann.
Unser Beispiel:
Stephen: "Du machst das ganz falsch."
Brian: "Halt den Mund!"
Stephen: "Falsch, falsch, falsch. - So geht das nicht."
Brian: "Doch es geht wohl."
Stephen: "Nein, tut es nicht. Ehrlich."
Brian: "Wer hat dich denn gefragt?"
Stephan: "Wenn du es nicht besser machst, geht der Mantel
in Feuer auf."
Brian: "Geht er nicht."
Stephen: "Doch, das wird er, und du wirst dich verbrennen.
Du wirst dann sterben. Genauso wie Carey. - Du wirst sterben."
Mann, der zur Tür hereinkommt. "Wer wird hier sterben?"
Stephen: "Dad. Er hat es falsch gemacht, wie immer."
Wir haben festgestellt, dass solch ein Dialog bereits eine Menge über die Figuren, die ihn führen, aussagen kann und dass der Dialog "das" Mittel ist, um eine Geschichte voranzutreiben, wenn der Autor es versteht, ihn als Zündstoff zu nutzen, der den Konflikt zwischen den Figuren entwickelt und schürt. Da ein reiner Dialog jedoch noch lange keinen Roman ausmacht, befassen wir uns heute mit jenen szenischen Textpassagen, die den Dialog unterstützen, ja in gewisser Weise untrennbar mit dem Dialog verbunden sind, weil sie dem Leser Informationen bieten, die, wenn sie im eigentlichen Dialog untergebracht wären, seine Funktion als vorantreibendes Element zerstören würden. Wir alle wissen, wie ermüdend ein "darstellender" Dialog sein kann, wenn der Autor ihn über Seiten hinweg verwendet, anstatt die darstellenden Passagen einfach als erzählenden Hintergrund einzubringen.
Beispiel:
D. blickte aus dem Busfenster und hörte
dabei dem Reiseleiter zu. "Der Vatikan ist ein Hügel
im Westen Roms", erklärte der Reiseleiter, "auf
dem sich im römischen Altertum der Zirkus des Nero befand,
die Martyriumsstätte Petri. Konstantin der Große
errichtete dort die Peterskirche. Der heutige Vatikanpalast,
die Residenz des Papstes, geht auf einen im 9. Jh. mit der
Peterskirche gegen die Sarazeneneinfälle ummauerten Bau
zurück. Erst nach dem Exil von Avignon ..."
Ein Monolog sollte unbedingt vermieden werden. In einem solchen Fall genügt der Hinweis auf einen längeren Vortrag. Den Rest erledigt dann der erzählende Text.
Beispiel:
"Der Vatikan ist ein Hügel im Westen
Roms", begann der Reiseleiter, der auf D. wirkte, als
wäre er so alt wie die Stadt Rom selbst. Der Bus drängte
sich durch die engen Straßen Richtung Westen auf den
Petersplatz zu und drohte in dem Gewühl von Autos und
Menschen für den Rest des Tages stecken zu bleiben.
Rom. Neros Zirkus hatte sich hier im römischen Altertum
befunden, die Martyriumsstätte Petri. Konstantin der
Große hatte hier vor über eintausend Jahren die
Peterskirche errichten lassen - und jetzt war D. hier, um
etwas noch Erhabeneres zu schaffen.
Diese Halbszene beinhaltet auf den ersten Blick die gleichen Informationen wie der Monolog zuvor, und doch bietet sie dem Autor durch den POV (Point of View, den Blick durch die Augen einer Figur) eine ungleich bessere Möglichkeit, seine Geschichte, die Geschichte seiner Hauptfigur, zu erzählen. Wir wissen jetzt nicht nur, dass D. aus dem Bus schaut, und wir hören nicht nur den Reiseleiter, wir sind jetzt ein Teil der Reise, wir sind jetzt ein Teil von D., und so hören und sehen wir nun seine geheimsten Gedanken. Wir befinden uns nicht mehr außerhalb der Geschichte und der Figur, sondern mittendrin, und deshalb wird uns auch klar, wie schicksalhaft diese Reise für D. sein wird, und genau diese Bedeutung war im Monolog überhaupt nicht zu sehen.
Doch zurück zu Kirk Mitchells "Backdraft", zu Dialog und beschreibendem Text. Hier also nun der komplette Romanauszug:
Es fängt immer damit an, dass sein Bruder
Stephen sagt: "Du machst das ganz falsch." Stephen
ist größer, stärker, ungleich geschickter
und erfahrener als sein Bruder, und immer ist er es der die
Taschenlampe in der Hand hält.
Jetzt lässt Stephen den Lichtstrahl durch den vollgestopften
dunklen Raum wandern, in dem es nach altem Schweiß und
dem Rauch längst gelöschter Feuerstellen riecht.
Weiß reflektierende Streifen leuchten auf den schwarzen
Mänteln. Ein Dutzend grell gelber Helme, die aussehen
wie Riesenkäfer aus dem Amazonasgebiet, die die Wand
hinaufgekrochen sind, um hier ihren Winterschlaf zu verbringen.
"Du machst das ..."
"Halt den Mund!", hört Brian sich mit Kinderstimme
sagen. Sein Verdruss ist groß.
"Falsch, falsch, falsch." Stephens Finger schieben
die Gurte in die Schnallen, aber Brian stößt die
Hände seines Bruders von sich. Er wird es allein schaffen.
Irgendwann.
"So geht das nicht." Stephen lässt einfach
nicht locker.
"Doch, geht es wohl!"
"Nein, tut es nicht. EHRLICH."
Das Wort sticht wie eine Nadel in Brians Herz, bringt ihn
dazu aufzublicken. Er bemüht sich, das Gesicht seines
zwölf Jahren alten Bruders klar zu sehen. Aber das gelingt
ihm natürlich nicht. Ein Nebel liegt über der Vergangenheit,
nur nicht über der Katastrophe.
Nur an die Tode erinnert er sich deutlich.
"Wer hat dich denn gefragt?", hört Brian sich
fragen. Ein lachhaftes Knurren von einem hellen Kinderstimmchen.
Er ist wieder sieben Jahre alt. Gut ein Meter fünfzehn
groß. Achtundzwanzig Kilogramm Gewicht. Ein Teil seines
Bewusstseins wandert in eine ferne Zukunft, wo er teure Autors
sieht. Eine schwere Zugmaschine mit Dieselmotor rumpelt vorüber.
Und da sind andere Verkehrsgetöse. Highway-Geräusche.
Doch hinter seinen geschlossenen Augen ist Brian wieder sieben,
und Stephen sagt gerade: "Wenn du es nicht besser machst,
geht der Mantel in Feuer auf."
"Geht er nicht."
"Doch, das wird er, und du wirst dich verbrennen. Du
wirst dann sterben. Genauso wie ..." Stephen nennt einen
Namen, der Brian vage bekannt vorkommt, mit dem er aber im
Moment nichts anfangen kann. Und wenn er die Augen wieder
öffnet, wird er sich nicht
mehr an ihn erinnern. Macht nichts. Das Wichtige kommt erst
noch. Warme Erwartung durchströmt seinen Körper.
"Du wirst sterben", beharrt Stephen und zerschmettert
damit fast den Kern des angenehmen warmen Gefühls. Die
Tür öffnet sich langsam. Licht flutet hinein, dringt
in die Ecken.
Brian dreht sich um und lächelt bereits.
Ein Feuerwehrmann steht in der Tür, wird von hinten von
einer Lichtquelle bestrahlt, die blendender und unheimlicher
leuchtet als Tageslicht. Er ist unwahrscheinlich groß.
Er hat ein klar und gerade geschnittenes Gesicht, doch es
glänzt und ist schwarzweiß wie auf einem Foto.
"Wer soll sterben?", fragt der Feuerwehrmann.
"Dad", ruft Stephen. "Er hat es falsch gemacht,
wie immer."
Kirk Mitchell beginnt seinen Roman mit dem konfliktreichen Satz: Es fängt immer damit an, dass sein Bruder Stephen sagt: "Du machst das ganz falsch." Mitchell steigt also nicht mit dem direkten Dialog in diese Szene ein, sondern setzt dem "Du machst das ganz falsch" eine entscheidende Aussage durch eine kurze erzählende Einleitung voran, was die Wirkung des eigentlichen Dialogs immens erhöht. Hätte Mitchel an dieser Stelle, also am Anfang seines Romans, alleine auf den Dialog gebaut und stattdessen geschrieben "Du machst das ganz falsch, wie immer" ,wäre das zwar inhaltlich auch korrekt gewesen, hätte aber nicht annähernd jene konfliktgeladene Wirkung auf den Leser gehabt. Erst die Wechselwirkung zwischen dem Dialogsatz "Du machst das ganz falsch" und dem vorangestellten Satz "Es fängt immer damit an " treibt gleich zu Beginn die Spannung durch Konflikt hoch. Auch erfahren wir in diesem Satz von vorneherein, dass es sich bei den beiden Jungen um Brüder handelt.
Nach dem Dialogsatz "Du machst das ganz falsch" versorgt Mitchell uns sogleich mit weiteren Informationen über Stephen. Stephen ist nicht nur der Bruder des Jungen, den er ermahnt, sondern er ist auch größer, stärker, ungleich geschickter und erfahrener - und immer ist er es, der die Taschenlampe trägt! Er ist der Supermann, der in ständiger Konkurrenz zum "kleineren, ungeschickteren" Bruder steht. Zumindest empfindet der kleinere Bruder es so. Auch verrät uns die Taschenlampe, das es meist keine gewöhnlichen Orte sind, an denen sich die beiden Jungen herumtreiben. Mit bloßem Auge kann man dort nicht sehr viel sehen.
In drei weiteren Sätzen lässt Mitchell uns jetzt diesen Ort erahnen, ohne dabei zu viel zu preiszugeben. Es riecht nach altem Schweiß und dem Rauch längst gelöschter Feuerstellen. Weiß reflektierende Streifen leuchten auf schwarzen Mänteln, und gelbe Helme sind zu sehen. Eine finstere, unheimliche Umgebung, ein Szenario, das den beiden Jungen aber seltsam vertraut ist, denn sie setzen ihren Streit in dieser düsteren Sequenz einfach fort: "Du machst das " Und sofort kontert der kleine Bruder, der sich mit Kinderstimme und großem Verdruss sagen hört: "Halt den Mund!" Unbeeindruckt von dem, was um ihn herum geschieht, fährt Stephen fort: Falsch, falsch, falsch", und Mitchell verstärkt dieses dreifache Falsch des Dialoges noch dadurch, indem er erzählt, dass Stephens Finger gleichzeitig die Gurte in die Schnallen schieben wollen, Brian die Hände des Bruders aber von sich stößt. Doch nicht nur durch diese Reaktion Brians lässt Mitchell uns wissen, was in dem kleineren Jungen vorgeht. Der Autor lässt uns auch in Brians Inneres schauen, zeigt uns seinen inneren Konflikt, denn Brian ist fest davon überzeugt: "er wird es alleine schaffen. Irgendwann."
Mitchell lässt Stephen nicht aufgeben: "So geht das nicht." Dann kommen zwei Dialogteile, bei denen es nach der bisherigen Einleitung völlig genügt, wenn sie ohne erzählendes Beiwerk dastehen, was noch authentischer wirkt:
"Doch, geht es wohl!"
"Nein, tut es nicht. EHRLICH!"
Jetzt hakt Mitchell nach. Nicht nur, dass er das Wort "ehrlich"
im Original kursiv schreibt, nein, er fährt im nächsten
Absatz sofort mit einem sehr konfliktreichen Satz fort, der
sich unmittelbar auf den vorherigen Dialog bezieht: Das Wort
"ehrlich" sticht wie eine Nadel in Brians Herz,
bringt ihn dazu, aufzublicken.
In den nächsten Sätzen erfahren wir dann, dass Stephen
12 Jahre alt ist, und Mitchell lässt uns schließlich
ahnen, dass es sich hier nicht um das gegenwärtige Erlebnis
zweier Brüder handelt, sondern um eine Erinnerung, um
das Heraufbeschwören der Vergangenheit durch den jüngeren
Bruder Brian.
Dann schürt Mitchell den Text weiter, schafft eine Atmosphäre von Gegenwart, durch Dialog: "Wer hat dich denn gefragt?", lässt er Brian sagen. In den nächsten Sätzen erfahren wir dann etwas mehr über Brian. Er ist sieben Jahre alt, gut ein Meter fünfzehn groß, mit achtundzwanzig Kilogramm Gewicht. Der fünf Jahre ältere Bruder muss fast wie ein Erwachsener auf Brian wirken. Und dann erfahren wir mit wenigen Worten etwas von der tatsächlichen, gegenwärtigen Umgebung Brians: teure Autos, Zugmaschinen mit Dieselmotor, Highway-Geräusche wieder unterbrochen durch einen kurzen Dialog, eine weitere Belehrung von Stephen:
"Wenn du es nicht besser machst, geht
der Mantel in Feuer auf."
"Geht er nicht."
"Doch, das wird er, und du wirst dich verbrennen. Du
wirst dann sterben. Genauso wie ..."
Auch hier wieder ein Stück Dialog ohne erklärenden Text, da der Dialog an dieser Stelle alleine völlig genügt.
Ein paar Zeilen weiter lässt Mitchell die Tür zu dem düsteren Raum aufgehen. Licht flutet hinein und bringt Brian dazu, sich lächelnd umzudrehen. Ein Feuerwehrmann steht in der Tür und liefert uns als Leser damit ein weiteres Stückchen des Mosaiks.
"Wer soll sterben?", lässt Mitchell den Feuerwehrmann fragen, und er lässt uns mit Stephens Antwort nicht nur wissen, dass der Feuerwehrmann der Vater der beiden Jungen ist, sondern auch, dass Brian in Stephens Augen - und wohl auch in den Augen des Vaters - wie immer versagt hat.
In diesem Romananfang steckt alles, was einen Leser (sofern er dieses Genre mag) bei der Stange hält: lebendige Figuren, Spannung durch Konflikt, ein faszinierendes, alles andere als alltägliches Setting und Ereignisse (die heraufbeschworenen Erinnerungen Brians), die ihre Schatten weit vorauswerfen und die Phantasie und Neugierde des Lesers schüren.
Wir sehen also, wie wichtig ein guter, lebensecht wirkender Dialog ist und wie man seine Wirkung durch ein Dazutun oder auch Weglassen von erzählendem Hintergrund stärken kann. Wichtig ist es, das Handeln und Denken der Figuren während des Redens durch eine angemessene Schilderung im Erzähltext zu unterstreichen - was aber nicht heißt, dass man dabei jede Geste, jedes Drumherum, jede Bewegung, jeden Blick und jeden Gesichtsausdruck der Figuren bis ins Kleinste festhalten muss. Auch der Leser braucht Raum für seine Phantasie, Raum für sein aktives und kreatives Mitgestalten, um von einer Geschichte wirklich gefangen zu sein. Und deshalb sagt eine scheinbar beiläufige Andeutung oftmals mehr als eine wortreich detaillierte Beschreibung.
Ein Beispiel:
"Halt den Mund!", sagt Brian mit
Kinderstimme und starrt seinen Bruder mit dunklen Augen verdrießlich
an.
"Falsch, falsch, falsch." Stephen begegnet kurz
dem düsteren Blick des Bruders und schiebt die Gurte
mit seinen viel größeren und geschickteren Händen
in die Schnallen, aber Brian stößt seine Hände
von sich und wendet sich demonstrativ ab, denn er wird es
alleine schaffen. Irgendwann.
Das Original:
"Halt den Mund!", hört Brian
sich mit Kinderstimme sagen. Sein Verdruss ist groß.
"Falsch, falsch, falsch." Stephens Finger schieben
die Gurte in die Schnallen, aber Brian stößt die
Hände seines Bruders von sich. Er wird es allein schaffen.
Irgendwann.
Das Original bedarf keiner zusätzlichen umschreibenden Worte. Alles, was gesagt werden muss, ist im Original gesagt, während das erläuternde Beispiel die Phantasie des Lesers mit seinem Zuviel an beschreibendem Text erstickt. Alles, was für den Hintergrund dieser Passage wichtig ist, hat Mitchell in den übrigen Erzähltext getan, ohne den direkten Dialog damit unmittelbar zu belasten.
Und es gibt zwei Wege, diese Kunst durch Beharrlichkeit zu erlernen und stetig zu verbessern: Lesen, Lesen, Lesen und Schreiben, Schreiben, Schreiben!
Im nächsten Artikel dieser Reihe
- Der Dialog vermittelt das Roman-Geschehen
- Der Dialog vermittelt dem Leser ein Gefühl für Raum und Zeit