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Fantasy - Möglichkeiten und Handwerk (Teil 2)

von Stefanie Bense

Was ist das Besondere an Fantasy? Fantasy erzählt vom Wunderbaren, Unbekannten, vom Unerklärlichen und Erstaunlichen, sie ist Mythos und Märchen nahe. Fantasy spricht von dem, was nie sein könnte. Sciencefiction fragt: "Was wäre wenn ...?" auf der Basis unserer logischen und universellen Gesetze. Fantasy aber setzt diese Gesetze außer Kraft und schafft neue. Hier funktioniert Magie innerhalb der Grenzen, die wir Autoren ihr geben.

- Magie

Welten oder Figuren ohne Grenzen ergeben keine Geschichte, denn es fehlen die Widerstände, Probleme, Konflikte und Reize. Alle Dinge sind begrenzt. Magie fordert ihren Preis vom Magier, von der Hexe, von der Welt, in der sie gebraucht wird. Soll Magie in deiner Welt eine Rolle spielen, frage dich, was sie den, der sie anwendet, kostet. Zahlt er mit Blut oder Lebenskraft für die Macht? Ein junger Magier hätte somit viel Kraft, aber wenig Erfahrung, während ein alter weise mit Magie umginge, aber wenig Potential besäße. Was ergibt das für Konsequenzen? Es könnten sich Gemeinschaften von Jungen und Alten bilden, in denen die Erfahrenen die Kraft der Jungen nutzen, bis diese selbst alt sind und neue Lehrlinge heranziehen. Was passiert, wenn nun ein Magier das Lebenselixier entdeckt, das ihn für immer jung und kräftig erhält?

Lerne, nach dem Warum und Wie zu fragen, lerne, die Art deiner Magie zu verstehen, zu begründen und für die Geschichte zu nutzen.

- Milieu

Gleich, ob du nun eine Milieu-, Ideen-, Charakter- oder Ereignisgeschichte als Schwerpunkt wählst, das Milieu ist in der Fantasy stets wichtig. Es zeigt dem Leser sofort, in was für einer Story er sich befindet. Und es schafft Atmosphäre.

Da keine weißen Flecken mehr auf dem Globus existieren (abgesehen vielleicht von der Tiefsee), die es zu entdecken gilt, müssen wir die inneren Landschaften der Phantasie für unsere Abenteuer nutzen. Milieu heißt dabei nicht nur Landschaften, Städte, Burgen, Festungen, Kreuzungen, Dörfer, Meere, Inseln, Höhlen, Feuerländer, Eistäler etc., sondern auch Kulturen, Sprachen, Historie, Rassen, Politik - kurz, eine ganze Welt. In der Fantasy ist sie meist vortechnisch, feudal, kriegerisch und/oder vorzeitlich, manchmal auch mythisch.

Wer diese Welt erschafft, muss sie rundum erfinden, sie begreifbar, riech- und schmeckbar machen. Alles, was in der Realität selbstverständlich ist, ist es in einer fremden Welt nicht. Und für jeden Leser ist deine Welt fremd! Die Autorin muss darum mehr erfinden, als der Leser später im Roman erfährt oder zu wissen braucht. Erst, wenn man aus dem Vollen schöpft, kann man das Konstrukt mit Leben füllen, es in sich logisch und glaubwürdig machen. Doch Vorsicht, du wärst nicht die Erste, die in Karten und Sprachmodellen versinkt, sich im Erfinden verliert, ohne zu der Geschichte zu kommen. Welten zu schaffen ist kein Selbstzweck!

- Beschreibungen

Wie das Weltenerfinden ordnet sich das Beschreiben der Geschichte unter. Alles, was du lebendig und nachvollziehbar beschreibst, bringt Atmosphäre in deine Story. Umso wichtiger ist es, alle Sinne (Riechen, Schmecken, Hören, Fühlen, Sehen, u. a.?) zu beteiligen und das besondere Detail an Figuren, Welt, Dingen und Wesen zu entdecken. Hier ist Realismus gefragt. Ein Widerspruch zu Fantasy? Nein, denn Fantasy braucht solide, plastische und vor allem glaubhafte Beschreibungen. Zeigen, nicht benennen heißt die Zauberformel.

Beispiel: Er war viel größer als sie und hatte blondes, wirres Haar. Seine Waffen waren schmutzig, seine Gesichtszüge entweder auch oder wild bemalt.

Das ist statisch, distanziert und eine reine Aufzählung. Versuchen wir es noch mal:

Beispiel: Er bückte sich durch den Torbogen und sie schaute zu ihm hoch. Sein blondes Haar brauchte unbedingt eine Bürste, seine Waffen und er eine gründliche Reinigung. Klebte da noch Blut am Dolch? Was hatte er sich nur ins Gesicht geschmiert, oder sollte das eine Kriegsbemalung sein?

Erst solche Beschreibungen lassen erfundene Welten gewachsen, organisch und in sich wahr erscheinen. Egal, womit du deine Story beginnst, ob mit einer Figur im Konflikt, ob mit einem atmosphärischen Landschaftsbild oder mit konfliktträchtiger Handlung - es muss den Leser einfangen und mitreißen. Worte haben dazu die Macht.

- Figuren

Deine Charaktere müssen ebenso sorgfältig ausgestaltet werden wie deine Welt. Selbst wenn der Leser nie etwas von der Kindheit der Figur erfährt, musst du alles darüber wissen. Wer denn sonst, wenn nicht du? Wie anders könntest du begründen, wie die Figur später auf Kinder reagiert? Schreibe einen Lebenslauf, oder interviewe deine Figur gründlich. Dort legst du nicht nur fest, ob deine Heldin nun grüne oder graue Augen hat, sondern auch, welche Eltern sie hatte, wie sie erzogen wurde, was für Ansichten sie zu Tod, Leben und Liebe hat, welche Schwächen, Fehler, Stärken und Überzeugungen sie hat, wovon sie träumt ...

Wenn du sie beschreibst, dann zeige sie durch ihre Handlungen, nicht indem du Eigenschaften nennst und äußere Merkmale aufzählst. Vor allem, warum eine Figur etwas unternimmt, ihre Ziele, Wünsche, Ängste und Motive musst du kennen und anwenden.

Wer es gründlicher mag, z. B. für einen Roman, nutze Checklisten (Fritz Gesing: Kreativ schreiben, Köln, 1994) oder Charakterisierungsbögen (Crawford Kilian: Writing Science Fiction and Fantasy, Bellingham, WA, 1998; oder ausführliche Bögen für Haupt- und Nebenfiguren bei der Autorin dieses Artikels). Ich selbst schreibe lieber einen Teil der Vorgeschichte, wo die Charakterzüge der Figuren deutlich werden, aber für meinen Roman verwende ich die leichter nachschlagbaren Charakterbögen.

Die Namen deiner Figuren dürfen fremd klingen, aber keine Zungenbrecher bilden. Sie sollten einfach sein und passen. Wenn du sie dir laut vorsagst und dazu an deine Figur denkst, findest du schnell heraus, was passt. Keine Namen vorrätig? Dann schau mal in das Telefonbuch, verwende Nach- als Vornamen, nutze Filmabspänne, Namenslexika, lege dir eine eigene Kartei an ...

Gib dir besonders viel Mühe bei deinen Antagonisten, Gegnern und Bösewichtern. Diese Figuren glaubhaft zu zeichnen ist sehr schwierig. Das Böse darf keine hirnlose, gewalttätige Marionette sein. Es muss ein detaillierter, hoch motivierter Charakter entstehen, der intelligent und trickreich sowohl physische wie psychische Zerstörung plant. Selbst der grausamste, gefühlskälteste Folterer wird plausible, (für ihn) gute Gründe haben, um das zu tun. Und er wird sich nicht nur rechtfertigen können, er wird sein Handeln für das Beste und Angemessenste halten. Vielleicht wird er sogar andere davon überzeugen können, auf jeden Fall wird er selbst überzeugt sein.

- Archetypen

Jede Fantasystory hat mindestens einen Archetypen im Gepäck. Dazu gehören weise alte Männer oder Frauen, Helden/Heldinnen auf der Suche, Drachen, Einhörner, Feen, Körperwandler, verstoßene Kinder, vertriebene Herrscher/innen, rachedurstige Opfer oder Verführte, die mit Göttern oder Dämonen einen Handel eingehen.

Nicht nur Figuren, auch Leitmotive wie der Ring, die verzauberte Waffe oder der Schatz, ebenso wie Stoffe (Suche, Rache, verbotene oder unglückliche Liebe, Kampf gegen Götter oder Schicksal) können archetypisch sein. Ohne Jung anzuhängen, glaube ich, dass es einen gemeinsamen kulturellen Schatz, ein universell menschliches Erzählgut gibt, das sich in Märchen und Fantasy am deutlichsten widerspiegelt.

Was nicht bedeutet, dass Archetypen plump, klischeehaft, stereotyp oder flach sein müssen. Sie kehren nur immer wieder - und besser ist es, sie bewusst zu nutzen, als nur darüber zu stolpern. Wo findet man diese Archetypen? In Mythenlexika, Sagenbüchern und z. B. im Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Berlin, erstmals 1927-1942, jetzt bei Zweitausendeins in der Ausgabe 1987 (das ist eine unerschöpfliche Quelle für Geschichten, allerdings nicht gerade preiswert, daher empfiehlt es sich, eine Bibliotheksausgabe zu nutzen).

Gibt es die typische Fantasystory?

Nein, es gibt so viele Geschichten, wie Autoren/innen und Ideen existieren. Aber es gibt typische Storystrukturen wie Abenteuerfahrten, Rache, Underdog, Weltenchaos. Eine oft genutzte Plotstruktur ist die Suche, die ich näher betrachten möchte (eine gute Übersicht bietet Ronald B. Tobias: 20 Masterplots, Zweitausendeins, 1999).

Die Suche oder Quest (von lat. quaerere = in Erfahrung bringen) läuft meist nach demselben Schema ab. Der Held oder die Heldin erhält einen Auftag bzw. Ruf oder erlebt etwas, das ihn oder sie aus ihrer gewohnten Umgebung löst (s. Beispiel mit Jevon).

Er/Sie muss auf die Reise gehen, wobei das Ziel ganz unterschiedlich aussehen kann. Die Suche nach einem Schatz oder anderen materiellen Dingen ist eher vordergründig, actionorientiert und ändert die Figur nicht (z. B. Indiana Jones). Vielleicht sucht der Held aber auch nach einer Frau, die Heldin nach einem Mann. Vielleicht wird ein Kind vermisst oder entführt. Wollen die Figuren einen Ring oder den Gral finden, wird das Ziel bereits weniger handfest. Mancher Gegenstand ist eher ein Symbol. Die Suche kann aber auch allegorisch sein, z. B. die nach dem ewigen Leben oder dem Sinn des Lebens (s. Gilgamesch).

Aber Held oder Heldin laufen nicht gleich los, sie wollen meist gar nicht, sträuben sich, leisten Widerstand. Doch die Gegenwehr hilft nicht, sondern macht das Problem nur dringender. Auf ihrer Reise begegnen sie vielen Gefahren, stehen Prüfungen durch, widerstehen Versuchungen und kämpfen gegen ihre eigenen Schwächen. Sie werden von einem Helfer begleitet oder treffen auf hilfreiche Mächte. Gegner, Feinde und Schicksalsschläge stellen sich ihnen in den Weg, vielleicht auch Naturmächte, Dämonen und Götter.

Nach allen Prüfungen und Abenteuern erreicht der Held oder die Heldin das Ziel, verfehlt es oder entscheidet, dass es die Mühe nicht wert war. Doch die Reise hat ihn/sie verändert. Nun kehrt er/sie zurück, entweder um die Erlösung, den Triumph oder das Gesuchte zurückzubringen oder um seine Geschichte zu erzählen. Wobei Rückkehr nicht immer den Ort meint, von dem die Figur aufbrach. Manchmal finden Held und Heldin auch eine neue Heimat.

Die Suche ist eine Reise, auch für den Leser, das bedeutet: Du brauchst dafür eine entwicklungsfähige Figur (nicht umsonst sind viele Helden anfangs halbwüchsig oder naiv). Und du musst dem Leser gleich von Anfang an deine Figur nahe bringen, so dass er mit ihren Abenteuern und mit der Storyfrage "Wird er/sie finden, was gesucht wird?" mitfiebert. Über das reine Geschichtenmuster der Suche hinausgehend, befasst sich Joseph Campbell mit dem Heldenmythos (Der Heros in tausend Gestalten, Frankfurt am Main, 1999).

Es mag schematisch klingen, die einzelnen Abschnitte einer Suche aufzuzählen, aber es bleiben viele Wahlmöglichkeiten. Ob nun Milieu-, Ereignis-, Charakter- oder Ideengeschichte, jede Suche ist wieder ein neues Abenteuer und ergibt eine individuelle Geschichte.

Und warum bleibe ich bei Fantasy?

Man kann damit nicht reich werden, ja, meist nicht einmal davon leben, doch mir geht’s nicht ums Geld. Es ist das weiteste Feld, der größtmögliche Spielraum für meine Phantasie - und warum sollte ich sie eingrenzen? Dabei hat das nur sehr wenig mit Flucht aus der Realität zu tun, sonst käme ich nicht so gut mit dem Alltag zurecht. In einer Geschichte muss ich meine Phantasie lenken, steuern, um die Möglichkeiten auszuloten. So entsteht keine realitätsferne Scheinwelt, in der ich alle Probleme umschiffe oder per Handstreich lösen kann.

Im Gegenteil, meine Phantasie trägt mich gerade in dunkle Ecken, kaum auszuhaltende Situationen, sogar ins Unterbewusste. Ich staune und erschrecke manchmal über das, was ich in mir finde, aber ich lerne mich dadurch sehr genau kennen. Mit jeder Geschichte verändere ich mich, finde neue Situationen, Alternativen und kehre verändert in die Außenwelt zurück. Vielleicht ist das meine persönliche Art von Katharsis oder Bewältigung der Wirklichkeit.

Eine Freundin meinte: "Ich schreibe Fantasy und Sciencefiction, weil ich nicht nur das Schauspiel, sondern auch gleich noch die Kulissen erfinden kann." Das gilt auch für mich. Die Lust, etwas Eigenes zu (er-)finden, eine ganze Welt neu zu gestalten - das ist unvergleichlich. Da vergesse ich oft die Zeit, die kalten Füße, die verspannten Muskeln. Ist das nicht der ursprüngliche Wortsinn von Kreativität? Etwas zu erschaffen?

Es ist eine Reise in ein Land, das nur in mir existiert. Aber sobald ich es aufschreibe und beschreibe, kann ich so viel davon nach außen bringen, dass ich andere dahin mitnehme. Wenn die Geschichte gut ist, kann ich den Leser regelrecht entführen, so dass er am liebsten immer wieder in meine Welt zurückkommen würde.

Doch es macht nicht nur Spaß, zu erfinden und zu schaffen, sondern auch zu erzählen, zu fabulieren. Ich freue mich über einen guten Satz, eine gute Story, eine glaubwürdige Welt der Worte. Und in der Fantasy ist die Sprache nicht nur das Medium, um das Erdachte darzustellen! Sie ist zudem das Elixier, das Zaubermittel, das die Fantasywelt verändert, sei es durch einen Zauberspruch oder das Wort, das die Dinge bei ihrem wahren Namen nennt. Worte haben Macht. Worte sind magisch.

Deswegen schreibe ich Fantasy. Und selbst, wenn das nie jemand außerhalb meines Kreises lesen sollte, meine Worte tragen mich, meine Geschichten geben mir Kraft.

Ursula K. LeGuin meint: "Fantasy ist wahr, nicht faktisch, aber wahr. Kinder wissen das. Erwachsene wissen das auch, und genau deshalb haben viele von ihnen Angst vor Fantasy. Sie wissen, diese Wahrheiten greifen alles Falsche, alles Unnötige, Unechte und Triviale im Leben an, ja, bedrohen das, was sie sich haben aufzwingen lassen. Sie haben Angst vor Drachen, weil sie die Freiheit fürchten." (In: Language of the night, Ed.: U. K. LeGuin, New York, 1989, rev. ed., S. 36; übers. von S. Bense)

Deshalb: Schreibe keine Fantasy, wenn du dich vor dir selbst fürchtest!

Literatur zur Fantasy

Es gibt keine deutschen Werke, die das Handwerkliche der Fantasy aufgreifen. Hier ein eher analysierendes, wissenschaftliches, jedoch lesbares Buch:

Helmut W. Pesch: Fantasy, Theorie und Geschichte, Passau: Erster Deutscher Fantasy Club e. V., 1990, 3. Auflage (dort direkt bestellbar, i. d. R. nicht über den Buchhandel erhältlich)

Aber es gibt einige englisch-amerikanische Werke, die zeigen, wie man gute Fantasy schreibt (aufgereiht nach meiner persönlichen Hitliste):

- Orson Scott Card: How to Write Science Fiction and Fantasy, Cincinnati, Ohio: Writer’s Digest Books, 1990
- Sarah LeFanu: Writing Fantasy Fiction, London: A&C Black, 1996
- Crawford Kilian: Writing Science Fiction and Fantasy, Bellingham, WA: Self-Counsel Press, 1998
- Christopher Kenworthy: Writing Science Fiction, Fantasy and Horror, Oxford, UK: How to Books, 1997

 
Stand: 2002-09-22

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