The Tempest

Ausgabe 16-05 (20 Mai 2014)

    Editorial
    Hall of Fame
    Schreib-Kick
    Autorenwissen
        "Neue Perspektiven für auktoriale Erzähler"
        von Arwed Vogel
    Marketingideen
        "Neugierig machen und überzeugen:
        erfolgversprechende Pressemitteilungen"
        von Maike Frie
    Interview mit Nessa Altura und Regina Schleheck
    Spannung, der Unterleib der Literatur
        "Luca und Sophie"
        Text: anonym, Lektorat: Hans Peter Roentgen
    Interview mit Oliver Schütte

EDITORIAL:
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Liebe Autorinnen und Autoren,

unsere Marketingexpertin Maike Frie zeigt diesmal an einem
Leserbeispiel ganz konkret, wie man eine gute Pressemitteilung
erstellt. Arwed Vogel gibt Einblicke ins auktoriale Erzählen und was
man dabei beachten sollte. Hans Peter Roentgen lektoriert einen neuen
Text auf Spannung hin und hat auch Oliver Schütte zu diesem Thema
interviewt. Und Nessa Altura und Regina Schleheck stellen, ebenfalls
in einem Interview, ihr Briefprojekt "PostFürSie" vor.

Der Tipp des Monats Mai, diesmal von
http://www.facebook.com/Literaturkaninchen:

    In einem Thriller darf der Leser Hinweise erhalten, bevor
    der Protagonist sie erhält, niemals aber anders herum.
    Leser und Hauptfigur können gemeinsam im Dunkeln tappen
    und gemeinsam Geheimnisse herausfinden, aber die Hauptfigur
    sollte niemals mehr wissen als der Leser und dieses Wissen
    bewusst zurückhalten. Das ist Betrug am Leser.

Die Verlosung der beiden Schreibratgeber von Diana Hillebrand hat
Susanne Öhrig gewonnen. Herzlichen Glückwunsch! Und wer sonst noch
etwas gewinnen möchte – eine unserer Überraschungsverlosungen nämlich
–, der oder die braucht mir nur einen Schreibtipp, einen Schreibkick
oder einen Vorschlag für einen Beitrag zu schicken, und schon wandert
ihr in die Lostrommel.

Lasst euch vom Frühling mitreißen, frohes Schreiben wünscht das
Tempest-Team!

  Gabi Neumayer
  Chefredakteurin

~~~~~~~~~~~
Damit wir den Tempest auch in Zukunft weiterführen können, brauchen
wir eure Hilfe: Wer uns unterstützen möchte, überweise bitte einen
freiwilligen Jahresbeitrag (15 Euro haben wir als Richtwert gesetzt,
aber ihr helft uns auch schon mit 5 oder 10 Euro weiter) auf das
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Jürgen Schloßmacher
Kreissparkasse Köln
BIC: COKSDE33XXX
IBAN: DE23370502991142176163
Stichwort: "Beitrag 2014"

Wichtig: Das Konto läuft NICHT mehr auf den Namen "autorenforum",
sondern nur auf "Jürgen Schloßmacher"!

Neu:  Ihr könnt jetzt auch über unsere Website
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Für AuslandsabonnentInnen: Am 1. Juli 2003 wurden die
Auslandsüberweisungsgebühren gesenkt. Aber natürlich könnt ihr uns
euren Beitrag auch weiterhin per Post schicken (Adresse am Ende des
Tempest).

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ISSN 1439-4669  Copyright 2014 autorenforum.de. Copyright- und
               Kontaktinformationen am Ende dieser Ausgabe
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 INHALT DIESER AUSGABE:


TEIL 1:

    Editorial
    Hall of Fame
    Schreib-Kick
    Autorenwissen
        "Neue Perspektiven für auktoriale Erzähler"
        von Arwed Vogel
    Marketingideen
        "Neugierig machen und überzeugen:
        erfolgversprechende Pressemitteilungen"
        von Maike Frie
    Interview mit Nessa Altura und Regina Schleheck
    Spannung, der Unterleib der Literatur
        "Luca und Sophie"
        Text: anonym, Lektorat: Hans Peter Roentgen
    Interview mit Oliver Schütte
    Impressum


TEIL 2:

    Veranstaltungen
    Ausschreibungen
    Publikationsmöglichkeiten
         mit Honorar
         ohne Honorar
    Seminare
    Messekalender
    Impressum


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HALL OF FAME:
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                            (redaktion at team pt autorenforum pt de)

Die "Hall of Fame" zeigt die Erfolge von AbonnentInnen des Tempest.
Wir freuen uns, wenn ihr euch davon motivieren und ermutigen lasst -
dann werden wir euer neues Buch hier bestimmt auch bald vorstellen
können.

Melden könnt ihr aktuelle Buchveröffentlichungen (nur Erstauflagen!)
nach diesem Schema:

.......
AutorIn: "Titel", Verlag Erscheinungsjahr (das muss immer das laufende
oder das vergangene Jahr sein!), Genre (maximal 2 Wörter). Zusätzlich
könnt ihr in maximal 60 Zeichen (nicht Wörtern!) inklusive Leerzeichen
weitere Infos zu eurem Buch unterbringen, zum Beispiel eine Homepage-
Adresse.
.......
Ein Beispiel (!):

Johanna Ernst: "Der Fall der falschen Meldung", Hüstel Verlag 2009,
Mystery-Thriller. Dann noch 60 Zeichen – und keins mehr! Inklusive
Homepage!
.......

Ausgeschlossen sind Veröffentlichungen in Anthologien, Bücher im
Eigenverlag und BoDs (sofern sie im Eigenverlag erschienen sind) sowie
Veröffentlichungen in Druckkostenzuschussverlagen.

ACHTUNG!
Schreibt in eure Mail mit der Meldung immer auch hinein, dass ihr
bestätigt, dass die Veröffentlichung weder im Eigenverlag noch in
einem Verlag erschienen ist, bei dem der Autor irgendetwas bezahlt
hat! Als Bezahlung gilt auch, wenn er Bücher kostenpflichtig abnehmen
muss, Lektorat bezahlt o. Ä.

Schickt eure Texte unter dem Betreff "Hall of Fame" an

redaktion at team pt autorenforum pt de
.

Wir berücksichtigen ausschließlich Meldungen, die nach dem obigen
Schema gemacht werden und die Bestätigung zum Verlag enthalten.
Änderungsaufforderungen zu Meldungen, bei denen das nicht der Fall
ist, werden ab sofort nicht mehr verschickt!
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

Angelika Schütgens: "Traumflüge", Vandenhoeck & Ruprecht 2013,
Sachbuch. Fantasiereisen für die Grundschule, www.rechtschreibbaer.de

Jae: "Cabernet und Liebe", Ylva Verlag 2014, lesbischer Liebesroman.
E-Book und Taschenbuch. http://www.jae-fiction.de/

Ute Kissling: "Venusf@ll", Bookshouse-Verlag 2014, Kriminalroman.
http://www.bookshouse.de/autoren/Ute_Kissling/

Christiane Gibiec: "Else blau", Bergischer Verlag 2014, Biografischer
Roman. Über die Dichterin Else Lasker-Schüler www.cgibiec.de

Michaela Behrens: "Stadtgespräche aus Neukölln", Gmeiner Verlag 2014,
erzählendes Sachbuch. Persönliche Geschichten aus Berlins buntestem
Bezirk

Chris Lind: "Kein Gott wie jeder andere", Sieben-Verlag 2014, Urban
Fantasy. DIE griechischen Götter in Kassel. www.christianelind.de

Bettina Haskamp: "Azorenhoch", Verlag Marion von Schröder 2014.
Spannender Frauenroman um Trauerrednerin Lena auf den Azoren


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SCHREIB-KICK:
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                            (redaktion at team pt autorenforum pt de)


Unser Schreib-Kick für den Mai, diesmal von Anke Unger:

Löschen! Besonders schwierig war der gesamte Anfang des ersten Bandes,
in dem eigentlich nur drei "sehr gute" Kapitel, zwei "gute" und fünf
"mittelmässige" Kapitel waren, die ich aber für die fortlaufende
Handlung/Einführung von Personen etc brauchte. Ich habe zuerst viel
Zeit damit verschwendet, die langweiligen Kapitel und besonders das
Anfangskapitel zu verbessern. Das hat das Grundproblem aber nicht
gelöst. Das Anfangskapitel war zwar zuletzt in Ordnung, hat aber nur
eine Eigenspannung gehabt, die sich abrupt schon im nächsten Kapitel
wieder zersetzte.

Zuletzt verfiel ich auf die sehr schmerzhafte und radikale Lösung, nur
die drei "sehr guten" Kapitel zu behalten und alles andere zu löschen.
Danach musste ich den ganzen Handlungsplan ändern und das
Anfangskapitel, das mich so sehr viel Zeit gekostet hat, ging auch
dabei drauf, aber jetzt habe ich endlich eine fortlaufende Spannung
bekommen und erst jetzt habe ich das Gefühl, die Story wird gut.


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AUTORENWISSEN:
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                            (redaktion at team pt autorenforum pt de)

             "Neue Perspektiven für auktoriale Erzähler"
                           von Arwed Vogel

Die auktoriale Erzählsituation ist seit einem Jahrhundert in Verruf
geraten. Sie ist vielen nur als Inbegriff des bürgerlichen Erzählens
im 19 Jahrhundert bekannt: Schwer und besserwisserisch verhinderten
allwissende Erzähler die Gestaltung schneller Handlungsabläufe und
verbreiteten pomadige Weisheiten über die Welt und wie sie sein
sollte.

Wir unterscheiden drei Erzählsituationen: die Ich-Erzählsituation, in
der ein Erzähler das Geschehen selber erlebt hat und von ihr
berichtet. Die personale Erzählsituation, bei der das Geschehen durch
eine oder wechselnde Figuren  in der "Er-" oder "Sie-Form" geschildert
wird, und eben jene auktoriale Erzählsituation, deren wesentliches
Element darin besteht, dass ein Erzähler dem Leser eine Geschichte
erzählt, die er nicht selber erlebt hat. Diese Idee führt dazu, dass
ein auktorialer Erzähler wesentlich größere Gestaltungsspielräume
anbietet als ein personaler Erzähler.

Daneben glauben viele, unterstützt von den gängigen Büchern über
literarisches Handwerk, dass in unserer schnellen Zeit ausschließlich
schnelles spannendes Erzählen gefordert sei. Die Dominanz der
Unterhaltungsliteratur – und dabei im Besonderen der Krimis –, die
immer mehr um sich greift, weil sie größere Aussicht auf
Veröffentlichung zu bieten scheint, bringt viele dazu, eher die
personale Erzählsituation zu wählen. Für autobiographische Texte wird
dann noch die Ich-Erzählsituation empfohlen. Mit der auktorialen
Erzählsituation, die als altmodisch empfunden wird, beschäftigt man
sich selten. Warum das schade ist, möchte ich im Folgenden zeigen.


         Merkmale der auktorialen Erzählsituation

Zuerst aber noch die wesentlichsten Merkmale der auktorialen
Erzählsituation.

1. Der auktoriale oder allwissende Erzähler hat die Geschichte nicht
selbst erlebt. Das unterscheidet ihn vom Ich-Erzähler. Aber er hat sie
erfunden oder gefunden, gehört, manchmal Augenzeugen der Handlung
gekannt. Hier zeigt sich bereits ein großer Gestaltungsspielraum, der
genutzt werden sollte.

Das klingt dann in einem Fantasy- oder phantastischen Roman vielleicht
so: "In den Schriften des heiligen Hains gibt es eine bemerkenswerte
Passage, die eine scheinbar unbedeutende Anekdote erzählt. Sieht man
aber genau hin, so bemerkt der aufmerksame Leser ..." Dasselbe
Erzählmittel hat übrigens auch Goethe in seinem "Werther" angewendet.

2. Der auktoriale Erzähler erzählt natürlich nicht beständig im
berichtenden Stil. Immer wieder tritt er zurück und lässt die Figuren
selbständig handeln. Die Perspektive nähert sich dem Geschehen, und
wir erleben zwischen den Passagen, die vom auktorialen Erzähler
berichtet werden, auch Szenen, die mehr oder weniger eigenständig
ablaufen.

Ein solcher Perspektivwechsel könnte so aussehen: "In all den Jahren
lief Blecher immer morgens zur Arbeit, beachtete nicht, dass der Bus
vor seiner Haustür hielt. Aber an einem Morgen im Frühling stand [hier
findet der Perspektivwechsel statt] Blecher an der Bushaltestelle und
fragte den Mann neben ihm: ‚Warten Sie jeden Morgen so lang?‘"

3. Da das Geschehen ja schon im Moment des Erzählens abgeschlossen
ist, wird die Spannung weniger durch die Frage "Was passiert?" erzeugt
als durch die Frage: "Wie ist es passiert?". Dabei kann und sollte der
Erzähler nicht dieselbe Meinung haben wie die Protagonisten.

Ein Beispiel: Der Protagonist schreitet voller Überzeugung zum
Traualtar, der Erzähler aber steht dem Heiraten skeptisch gegenüber:
"Hier sehen wir Blecher Schritt für Schritt mit voller Überzeugung
seinem Schicksal entgegenschreiten. Und all die Warnungen seines
Vaters fruchteten nichts. Blecher, tu es nicht, möchte man ihm
zurufen. Aber Blecher spricht mit zitternder Stimme, während ihm der
Schweiß vor Aufregung und Glück über die Schläfe rinnt, das
entscheidende Wörtchen aus."

4. Der auktoriale Erzähler dient der Beglaubigung von unglaubwürdigen
Ereignissen. So ist die Gespenstergeschichte ohne auktoriale Einschübe
kaum denkbar:  "Denn vieles, was du hier zu hören bekommst, ist
seltsam und schwer verstehbar. Aber solche Dinge kommen vor. Und wenn
der Wind die Fensterflügel gegen das Haus wirft und unerklärbare
Geräusche im Haus wandern, dann weißt du plötzlich, dass es nicht nur
erklärbare Dinge gibt."

5. Der auktoriale Erzähler ordnet ein unübersichtliches Geschehen und
kann leichter, als es in der personalen Erzählsituation möglich ist,
zwischen verschiedenen Schauplätzen und Zeitebenen springen und das
Geschehen steuern.

Ein Beispiel: "In diesen Stunden, während Blecher vor dem Traualtar
stand, ließ in einem ganz anderen Viertel der Stadt ein Mann
gewöhnlichen Aussehens etwas geschehen, was später noch schreckliche
Auswirkungen auf Blecher haben sollte. Davon ahnte Blecher natürlich
jetzt noch nichts, als er voller Glück der Braut den Arm reichte."

Anhand dieser Punkte wird deutlich, welche Chancen die auktoriale
Erzählsituation bietet.

Nebenbei sei hier eines der wesentlichsten Momente auktorialen
Erzählens erwähnt: Bei längeren Texten kommen wir gar nicht um
auktoriales Erzählen herum. Wenn ein Autor Zeiträume rafft und nicht
ausschließlich szenisch erzählt, was in den wenigsten Romanen
vorkommt, dann nutzt ein Autor automatisch auktoriale Funktionen. Der
auktoriale Erzähler ist also nur in Ausnahmefällen ein alter Mann im
Ohrensessel, sondern meist eher ein Gewebe von Möglichkeiten, mit
denen ein Autor seinen Erzählstoff besser in den Griff bekommen kann.


         Die Position des Erzählers

Dazu müssen wir uns Gedanken über das Erzählen und die Gestaltung des
Erzählers machen.  Zunächst bestimmen wir seine Position. Hierzu
stellt man sich folgende Fragen:

– Was weiß der auktoriale Erzähler von der Welt?
– Was hält er von dem, was er erzählt?
– Kann er überhaupt erzählen, oder ist er dafür eher ungeeignet?
– Welche Sprache nutzt er, und was ist ihm wichtig?

Durch diese Fragen gelangt man zu einer Position des Erzählers im
Rahmen der auktorialen Erzählsituation. Sie können für einen Leser
heute sehr spannend sein, und sie lassen sich auch beim Schreiben von
Unterhaltungsliteratur anwenden, führen dazu, dass wir mit
ungewöhnlichen erzählerischen Momenten unsere Texte bereichern.

Die wenigsten wissen, dass eine der größten Krimi-Autoren, Friedrich
Glauser, ironische auktoriale Erzählmomente verwendet. Döblins "Berlin
Alexanderplatz" kann als Inbegriff einer ironischen Position des
auktorialen Erzählers genannt werden. Eine Variante bildet die
Position des abschweifenden Erzählers, der im 17. Jahrhundert die
Menschen vergnügte. Aber auch heute sehen wir bei Romanen wie "Die
Bücherdiebin", der ein Welterfolg wurde, die besondere Erzählposition
eines auktorialen Erzählers, die zum Erfolg des Buches maßgeblich
beitrug.


         Unwissenheit als Chance

Durch neue Erzählpositionen kann man auf leichte Weise neue
Erzählperspekiven finden. Zwei Positionen werden auch in der
zeitgenössischen Literatur verwendet: der unwissende auktoriale
Erzähler und der unzuverlässige auktoriale Erzähler.

Beide sind in unserer heutigen Welt, in der wir skeptisch und fragend
die Rolle des einzelnen Menschen prüfen, nachvollziehbare Positionen.
Unzuverlässige Erzähler, die an zwei Stellen eines Buches
unterschiedliche, oft gegensätzliche Behauptungen aufstellen, sind dem
Leser vielleicht unangenehm, spiegeln aber die Situation unserer
Medienwelt und damit unsere alltäglichen Erfahrungshorizonte.

Es müssen jedoch keine unzuverlässigen oder unwissenden Erzähler sein,
mit denen wir zu tun haben. Aber wir können mit einem Nachdenken über
auktoriale Erzählpositionen dem Einheitsbrei personalen Erzählens
wieder Horizonte hinzufügen, seien es unwillige oder übereifrige,
kühle oder einfühlende, eben besondere Erzählpositionen, die so eigen
und interessant sind wie das dargestellte Leben selbst.

                  **~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~**

Der Schriftsteller Arwed Vogel (Romandebüt: "Die Haut der Steine"
München 2003, zuletzt: "Erzähltechniken und Methoden des Schreibens",
Hamburg 2013) unterrichtet seit dreißig Jahren Schreiben und Poetik
bei verschiedenen Bildungseinrichtungen, bspw. an der LMU München. Er
arbeitet im Landesvorstand VS Bayern und ist Medienrat der BLM.
Weitere Informationen: www.literaturprojekt.com


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MARKETINGIDEEN:
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                            (redaktion at team pt autorenforum pt de)


                 "Neugierig machen und überzeugen:
               erfolgversprechende Pressemitteilungen"
                           von Maike Frie


         Grundlagen erfolgreicher Pressearbeit

1. Welches Mittel der Pressearbeit verwende ich? Standard ist eine
sachlich-informative Pressemitteilung rund um den Erscheinungstermin
eines Buches. Andere Aktionen wären Presseeinladungen zu einer Lesung
oder Veranstaltung und Angebote für Interviews mit Autoren.

2. An welches Medium wende ich mich? Was interessiert die Leser? Gibt
es einen lokalen Bezug zum Autor oder zum Buchinhalt? Gibt es einen
thematischen Bezug zu bestimmten Zeitungen, Zeitschriften oder
Internetseiten?

3. Wann verschicke ich meine Pressemitteilung? Ist gerade Sommerloch
und die Zeitungen suchen nach Themen? Oder geschieht gerade so viel,
dass alles, was nicht besonders hervorsticht, unter den Tisch fällt?
Passt das Thema? (der Spionageroman zur NSA-Affäre; der Gartenratgeber
zum Frühling; das Kinderbuch zum Thema Mobbing, wenn das gerade wegen
eines dramatischen Falls durch die Presse geht)

4. Schlicht und ergreifend: Man muss eine gute Pressemitteilung
schreiben.

Zu den Punkten 1 bis 3 gibt es kaum allgemeine Tipps, weil das
Geheimnis erfolgreicher Pressearbeit darin besteht, etwas
Individuelles auf die Beine zu stellen. Jeder Autor muss sich sein
Buch anschauen, um seine potentiellen Leser und Multiplikatoren (die
Medien, die es bekannter machen könnten) zu finden.

Auch eine gute Pressemitteilung lässt sich nicht durch Textbausteine
herstellen. Dennoch gibt es einige allgemeingültige Kriterien, die
auch in den Artikeln zum Selbstmarketing im Tempest-Archiv nachzulesen
sind.


         Am Beispiel lernen: Eine Pressemitteilung überarbeiten

Eine Autorin, die mir ihre PM geschickt hat, hat sich mit wunderbar
aufbereiteten Unterlagen an die Presse gewandt. Meine beiden
Hauptkritikpunkte sind: Ich merke dem Anschreiben nicht an, an wen sie
es geschickt hat, es ist also nicht individuell genug formuliert. Und
sie hat keine Pressemitteilung geschrieben, sondern ein ausführliches
Anschreiben und den Klappentext sowie ihre Biographie angehängt. Diese
Unterlagen sind alle sehr gut geschrieben und als
Hintergrundinformationen geeignet, treffen jedoch nicht den Kern einer
Pressemitteilung. Eine Redaktion möchte einen Text, der so neutral
formuliert ist, dass sie ihn selbst geschrieben haben könnte.


         Schneller weggeklickt, als Autoren hoffen

Das Anschreiben beginnt mit "mein Name ist XY und ich wohne in Z.
Gerade ist mein neuer Politthriller ABC bei VERLAG erschienen. Er
spielt natürlich in WO DIE AUTORIN WOHNT."

Nach diesem Einstieg würde ich mich als Redakteurin fragen: Müsste ich
von XY schon gehört haben? Wenn ich der Meinung bin, dass es nicht
mein Fehler ist, diese Autorin nicht zu kennen, stehe ich vor der
Frage, warum ich dieses Anschreiben weiterlesen sollte. Die Autorin
hat mir noch kein entscheidendes Argument dafür geliefert, allerdings
schon ein paar Minuten meiner sehr knappen Zeit beansprucht.

Diese Sätze klingen sehr hart – Sie mögen denken: Stell dich nicht so
an, es ist eine E-Mail von einer halben Seite, das kannst du ja wohl
mal eben durchlesen! Aber für Autoren ist es entscheidend, aus ihrer
eigenen Perspektive in die der Redakteurin zu schlüpfen – und das
zeichnet Autoren ja schließlich aus, dass sie viel Fantasie haben, um
sich in andere Charaktere hineinzuversetzen!

Aus der Perspektive der Redakteurin ist diese E-Mail eine von vielen,
und wenn ihr Nutzen nicht sofort klar wird, ist sie schnellstens
weggeklickt. Es gibt schließlich unzählige Autoren und
Neuerscheinungen, aus denen sich Artikel machen ließen, und vielleicht
ist gerade heute sowieso etwas ganz anderes spannender in meinem
Ressort.

Also beginnt das Anschreiben zum Beispiel besser mit einer Frage. Die
Autorin geht in den nächsten Sätzen darauf ein, wie viele Verlage
Scheu davor hatten, einen Roman über das "heiße Thema Neo-Nazis" zu
veröffentlichen. So könnte sie mit einer Frage einsteigen: "Sehr
geehrter XY, warum haben Verlage heutzutage noch immer Angst, sich an
einem Politthriller um Neo-Nazis die Finger zu verbrennen?" Mit einer
Frage wird der Redakteur auf jeden Fall kurz zum Nachdenken gebracht.
Er steckt dann schon mitten im aktuellen Thema des NSU-Prozesses, mit
dem der Redakteur sich durch einen guten Artikel profilieren könnte.

Allerdings ist dieser Einstieg auch eine kritische Gratwanderung, denn
jeder Redakteur könnte auch zu dem Schluss kommen, dass es nicht am
Thema, sondern am Manuskript gelegen hat, dass die Verlage es nicht
veröffentlichen wollten.

Eine Idee, die Aktualität des Themas hervorzuheben und die Chancen auf
eine Veröffentlichung zu erhöhen, wäre, sich mit anderen Autoren, die
ähnliche Romane geschrieben haben, zusammenzuschließen. Eine solche
Autorenrunde kann mit geballter Kraft Informationen an die Presse
geben oder zu einer gemeinsamen Lesung auch Medienvertreter einladen.


         Ein Klappentext ist keine Pressemitteilung

Der Klappentext beginnt mit der Hauptfigur des Romans: ein ganz
normaler junger Jurist mit Freundin, der frohen Mutes einen Job bei
den "Guten", bei einer Umweltschutzorganisation, beginnt. Für einen
Klappentext ein guter Einstieg, doch ein Klappentext ist eine
vollkommen andere Textsorte als eine Pressemitteilung.

Mit der Hauptfigur wird zwar die Wer-Frage beantwortet, aber meiner
Meinung nach nicht die entscheidende. Wenn klar ist, dass dieser Roman
als aktueller Polit-Thriller in Zeiten des NSU-Prozesses an die Medien
"verkauft" werden soll, würde ich das auch als Aufhänger benutzen:
"Die längst aufgelöst geglaubte Nazi-Organisation ODESSA steht kurz
vor der Vollendung ihres großen Zieles: der Errichtung des Viertes
Reiches im Deutschland des Jahres 2013." Besser mit so einem
Paukenschlag beginnen und dann auf die persönliche Ebene eingehen, auf
der unser Jurist in die Machenschaften verstrickt wird. Eigenlob /
Wertungen wie "packender Thriller" oder "brisantes Thema" gehören
nicht in eine Pressemitteilung.

Wenn man an das Bild der umgekehrten Pyramide denkt, stehen die
Informationen zur Autorin sinnvoller Weise am Ende des Textes. Eine
Pressemitteilung sollte immer von hinten gekürzt werden können, damit
die Redaktion den Text mit möglichst wenig Arbeit in eine freie Stelle
einpassen kann. In dem Beispiel sind diese Informationen allerdings zu
lang und zu wenig sachlich für eine Presseinformation. Statt
"Pünktlich zum Sommeranfang 19xx wurde XY geboren und entdeckte schon
früh ihre Liebe zu Büchern" sind die zentralen Informationen: "Die xx-
jährige XY legt mit ABC ihren xten Roman vor. 2011 war sie für den Z-
Award nominiert. Sie engagiert sich in bei den Mörderischen
Schwestern, einer Vereinigung für Krimiautorinnen. Mehr zur Autorin
unter www.xy.de."

Am Schluss der Pressemitteilung bleiben die ganzen technischen
Informationen, die die Autorin angegeben hat: Buchtitel, Autorenname,
ISBN, Seitenzahl, Preis, Leser-Zielgruppe; außerdem Kontaktdaten von
Verlag und Autor.

Schön ist die Auflistung von Quellen, aus denen man weitere
Informationen beziehen kann: Autorenhomepage, Verlagshomepage,
Leseprobe im Internet, Buchtrailer auf youtube. Für Bildmaterial wäre
es ideal, das Buchcover und ein Autorenfoto – vielleicht gibt es ja
auch noch Beispielseiten, Illustrationen oder Fotos zum Thema? – als
kleine Dateien anzuhängen und anzugeben, wo die Redaktion sich diese
Bilder herunterladen kann. Da die Autorin in ihrem Anschreiben darauf
hinweist, dass das aktuelle Buch ihr "neues Buch" ist, wäre es gut,
bei diesen technischen Informationen auch kurz die vorherigen
Veröffentlichungen zu erwähnen (Titel, Jahr, Schlagwort).

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Maike Frie, Münsteranerin von 1976 mit Skandinavien-Begeisterung; nach
Stationen in Oslo und Hamburg heimgekehrt; tätig als Dozentin,
Texterin, Lektorin und Mutter; bietet für Autoren Korrektorat,
Lektorat und Manuskriptberatung sowie ein Seminarprogramm zum
Kreativen Schreiben – mehr unter http://www.skriving.de


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INTERVIEW:
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                            (redaktion at team pt autorenforum pt de)


    "Die Idee ist, die Leser direkt und persönlich zu erreichen"
          Interview mit Nessa Altura und Regina Schleheck

Individuelle Geschichten per Brief, das ist die Idee hinter
PostFürSie. Seit etwa einem Jahr liefen die Vorbereitungen für diesen
literarischen Service, seit Januar werden die Briefe mit der fiktiven
Familiengeschichte verschickt. Wir haben zwei der Autorinnen
interviewt.


Gabi Neumayer: Zuerst einmal: Was genau verbirgt sich hinter
PostFürSie, und wie funktioniert es?

Regina Schleheck: Die Initiative stammt von Nessa Altura. Sie hat
Daniela Dreuth, Gabriele Keiser und mich für diese innovative Idee der
Leseransprache begeistert. Wir schlüpfen dabei in die Rollen von vier
Frauen, die in Briefen über ihr – fiktives – Leben berichten. Diese
Briefe verschicken wir ganz real auf dem guten alten Postweg. Ein
halbes Jahr lang erhält die Abonnentin von uns vier in regelmäßigen
Abständen Briefe und Postkarten.

Ich finde die Idee spannend und sehr zeitgemäß. Bücher zu
veröffentlichen ist ja eine eher anonyme Form der Kommunikation. Die
Idee hier ist, die Leser direkt und persönlich zu erreichen – auf eine
Weise, die fast ausgestorben ist. Wir kommunizieren heute über eine
Fülle von Mails, mit denen wir flüchtig Fakten, Forderungen und
Befindlichkeiten austauschen – und jede Menge Spam. Der Briefkasten
neben meiner Haustür ist zur reinen Werbungsmülltonne verkommen, aus
der ich vereinzelt Rechnungen und andere Geschäftsbriefe
herausfiltere, selten eine persönliche Postkarte.


GN: Nessa, wie bist du auf die Idee zu diesem Projekt gekommen? In
Zeiten von E-Mails und Co. ist es ja geradezu revolutionär, zur guten
alten Briefform zurückzukehren ...

Nessa Altura: Ich glaube, dass es viele Ältere gibt, für die das
Internet und die E-Mail knapp zu spät gekommen sind. Die Jüngeren in
der Familie aber haben den guten alten Brief längst vergessen. Und so
ist die Kommunikation unterbrochen – und das ist besonders schade für
diejenigen, die jetzt endlich Zeit und Ruhe hätten, die Familienbande
zu pflegen, sofern sie denn Familie haben. Dazu kommt, dass Söhne und
Töchter oft weit entfernt wohnen. Das alles ist mir beim Besuch eines
Hauses mit betreutem Wohnen aufgefallen. Die Vorfreude, als die Post
verteilt wurde! (Und die Enttäuschung danach.) Dazu habe ich dann
einige Gespräche geführt.


GN: "Eine fiktive Familiengeschichte" erzählt ihr in euren Briefen und
Postkarten. Ist die in irgendeiner Weise mit der Person verknüpft, die
die Briefe bekommt?

NA: Die Empfängerin der Briefe wird mit ihrem echten Vornamen
angesprochen, die Verbindung zwischen ihr und den Absenderinnen wird
erklärt, ist aber natürlich fiktiv. Mit der Zeit aber, so unser
Gedanke, werden die fremden Personen, von denen da die Rede ist,
vertraut. Am Ende ist es ein bisschen wie bei einer TV-Serie


RS: Wir erzählen Familiengeschichten, die zwar individuell sind, aber
für Erfahrungen und Probleme bestimmter Generationen stehen. Da wir
von vier unterschiedlichen Leben aus vier unterschiedlichen
Perspektiven erzählen, gibt es auf jeden Fall Schnittmengen, die
unsere Leserinnen so oder ähnlich erlebt oder beobachtet haben. Die
Rückmeldung haben wir mehrfach bekommen, dass die Leser ihr eigenes
Leben Revue passieren lassen, indem sie die Briefe lesen. Auch wenn
der Fokus in erster Linie auf Frauen gerichtet ist, schließt er Männer
keinesfalls aus. Klar, wir sind Frauen, und die Mehrzahl der
Leserinnen ist weiblich. Gerade ältere Frauen haben oft das Problem,
dass AltersgenossInnen, mit denen sie sich austauschen können, weniger
werden. Das Bedürfnis ist aber da – und die Zeit. Die Briefe sind
näher an ihrem Leben dran als Romane.


GN: Was gehört alles zu eurem Service? Außer den Briefen gibt es ja
noch einige Extras, oder?

NA: Ja, Postkarten aus dem Urlaub oder zum Geburtstag, kleine
Überraschungsgaben wie Riechpapier oder Lesezeichen, Denksprüche zum
Aufhängen usw.


GN: Wer ist alles an PostFürSie beteiligt? Und wie sieht die
Arbeitsteilung bei euch aus?

RS: Wir sind zu viert. Nessa koordiniert alles und ist für das
Vertragliche zuständig. Alle tauschen sich aus, korrigieren,
kritisieren, geben Ideen rein, entwickeln sie weiter – im Rahmen ihres
jeweiligen Zeitbudgets. Daniela ist für das letzte Korrektorat
zuständig. Grundsätzlich sind die Rollen so angelegt, dass die
AutorInnen im Grunde austauschbar sind. Sollte es einer also einmal zu
viel werden, ist wie in jeder Soap ein Wechsel denkbar. Im Gegensatz
dazu ist man aber deutlich freier in der Gestaltung der jeweiligen
Figur, kann da viel mehr eigene Ideen einbringen.


GN: Welche Voraussetzungen, würdet ihr sagen, sind notwendig, um so
ein Projekt mit vier Autorinnen gemeinsam durchführen zu können?

NA: Man muss sich mögen. Sich absprechen. Kritik annehmen. Immer
wieder zu Korrekturen bereit sein. Wir haben dies alles virtuell
erledigt, bei der Fortsetzung würde ich dafür plädieren, an einem
(realen) Ort zusammenzutreffen für ein paar Tage und gemeinsam die
zweite Staffel zu schreiben. Da sind dann die Infowege einfach kürzer
– man muss doch vieles aufeinander abstimmen. Die größte Gefahr ist,
dass man sich in seinen eigenen unterschiedlichen Fassungen verwirrt.

RS: Offenheit und Flexibilität sind wichtig. Es ist nicht "meine"
Geschichte, die ich schreibe, sondern ich muss sie mit den Ideen der
anderen abstimmen und auf deren Einfälle eingehen. An vielen Stellen
mussten wir mehrfach umarbeiten. Das ist sicherlich nicht jedermanns
Sache, weil man es als Autor oft ganz anders machen würde als die
anderen. Aber genau so ist es ja auch im wahren Leben! Wir stellen
nicht die Fiktion einer Vorzeige-Familie her, sondern zwischen uns
knirscht es durchaus. Man teilt den Adressaten auch schon mal Dinge
mit, die man der Familie so nicht erzählen würde. Außerdem müssen wir
sehr gut organisiert sein. Wir verschicken aus unterschiedlichen Orten
Briefe und Karten an unterschiedliche Adressaten zu unterschiedlichen
Terminen in einer klaren chronologischen Abfolge. Man muss sich
aufeinander verlassen können.


GN: Seit Januar 2014 läuft PostFürSie, ihr habt also schon Erfahrungen
damit machen können. Wer sind eure Kunden? Wie ist das Feedback
bislang? Was habt ihr gelernt, was möchtet ihr vielleicht noch ändern
oder ausbauen?

NA: Wir haben noch nicht genug Kunden, um da fundiert antworten zu
können. Ich denke, man muss – wenn man PostFürSie verschenken will –
darauf achten, dass die oder der EmpfängerIn eine Person ist, die
nicht jetzt schon zu viel Post erhält. Wir haben zum Beispiel eine
Abonnentin, die wegen einer Gehbehinderung kaum mehr aus dem Haus
kommt. Die hat viel Freude an der Welt, die jetzt zu ihr kommt, sagt
sie.

RS: Das bisherige Feedback ist prima. Was im Moment noch schwierig
ist: potentielle Kunden zu erreichen. Viele finden die Idee toll,
geben aber den Preis zu bedenken. Solange wir mit Testlesern
gearbeitet haben, war das kein Thema. Aber natürlich kann man so ein
aufwendiges Projekt nicht als reines Benefiz betreiben. Neben dem
eigentlichen Schreiben gibt es Kosten für Druckerpatronen,
Büttenpapier, Briefmarken und Beigaben.

Spannend finde ich, dass die LeserInnen sich offensichtlich mit der
einen oder anderen Briefschreiberin stärker verbinden, sowohl was das
Inhaltliche angeht wie die Art zu schreiben – wie es eben auch im
wahren Leben Menschen gibt, die man mehr oder weniger interessant oder
sympathisch findet. Wir machen unterschiedliche
Identifikationsangebote, die auf verschiedene Einstellungen und
Erwartungen stoßen, diese aber auch verändern können.


GN: Last but not least: Was kostet euer Angebot? Wie sind die
Konditionen? Und kann man schon sagen, ob es sich (zumindest ein
wenig) rentiert?

NA: Wir haben das halbe Jahr mit 125 € eingepreist. Regina hat ja
schon beschrieben, wie viel Aufwand jenseits des Schreibens für jede
von uns zusätzlich noch anfällt. Weil wir das Ganze im Augenblick aber
auch als Literatur-Experiment betrachten, haben wir ein befristetes
Preis-Experiment eingestellt unter dem Motto "Zahlen Sie, was es Ihnen
wert ist!" Wir werden sehen und berichten, wie darauf reagiert werden
wird.


GN: Herzlichen Dank für das Interview, und viel Spaß und Erfolg
weiterhin!

Weitere Infos findet ihr hier: https://autorenexpress.de/


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SPANNUNG, DER UNTERLEIB DER LITERATUR:
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                            (redaktion at team pt autorenforum pt de)

Was macht Romane spannend, und vor allem: Was macht sie langweilig?

Wer Szenen hat, die sie oder er für spannend hält, oder Szenen, bei
denen er sich nicht sicher ist, oder solche, die eigentlich spannender
gestaltet sein sollten, doch die Frage ist: Wie? – wer solche Szenen
hat, kann sie mir schicken.

Ich wähle dann einige aus, die ich im Tempest bespreche. Schickt die
Szenen als E-Mail-Anhang im RTF-Format an: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Bitte nicht mehr als 7.000 Anschläge, also etwa vier Normseiten. Dazu
zählt auch der Vorspann! Da die Szenen aus beliebigen Stellen eurer
Manuskripte stammen dürfen, müsst ihr eventuell die Vorgeschichte der
Szene erklären. Diese Erklärung sollte 400 Anschläge nicht
überschreiten!
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

                              "Luca und Sophie"
                  Text: anonym, Lektorat: Hans Peter Roentgen

Die Mörder kamen am frühen Morgen.
Noch regte sich nichts im Haus. Ich lag dösend im Bett und lauschte
dem fröhlichen Gezwitscher der Sperlinge in der alten Kastanie vor dem
Fenster. Schon bald aber mischten sich Geräusche der erwachten
Hausbewohner unter den Vogelgesang. Mamma war wie immer die Erste auf
den Beinen. Ihre mit Klappern und Klirren verbundene Betriebsamkeit in
der Küche versprach ein baldiges, wenn auch karges Frühstück. Jemand
schlurfte über den Flur an unserer Tür vorbei zum Badezimmer. Der
hartnäckige morgendliche Husten verriet meinen Vater.
Wir, das waren mein Bruder Carmelo und ich. Unsere Schwester Flavia
hatte ein eigenes Zimmer, seit ihre sprießenden Brüste, inzwischen zu
reifen Früchten gereift, nicht mehr zu übersehen waren. Mit ihren
fünfzehn Jahren war sie schon beinahe eine richtige Frau.
Unter dem Dach wohnte seit zwei Wochen Familie Ranieri aus Prato,
junge Eltern mit einem Zwergerl, das gerade laufen lernte, und eine
seiner Omas. Sie gehörten zu den zahllosen Menschen, die in den
vergangenen Wochen aus Pisa, Lucca, Prato und weiteren Städten vor den
Bomben nach Sanara geflüchtet waren. Sie wähnten sich in Sicherheit in
unserem aus mehreren über die Hänge verstreuten Siedlungen bestehenden
Bergdorf im nördlichen Apennin. Die schmutzigen Finger des Krieges
würden nicht nach dem abseitigen und schlecht zugänglichen Landstrich
greifen, war die einhellige Meinung. Man sprach von an die tausend
Flüchtlingen Anfang August 1944 in Sanara. Das bedeutete eine
Verdreifachung der Einwohnerzahl gegenüber dem Stand vor Einsetzen der
Flüchtlingswelle. Genaue Zahlen gab es freilich nicht. In beinahe
jedem Haus hatten Menschen Zuflucht gefunden, viele Verwandte und noch
mehr Fremde. Die größte Herausforderung bestand darin, all diese
Menschen satt zu bekommen. Die Alteingesessenen hatten schon selbst
kaum genug zu essen. Wir lebten von dem, was der karge Boden hergab,
und von ein wenig Viehzucht: Kühe, Schafe und Hühner. Und neben den
Flüchtlingen mussten auch noch die Partisanen in den Wäldern ringsum
durchgefüttert werden. Trotzdem verhungerte niemand in Sanara. Was sie
hatten, teilten die meisten Einheimischen brüderlich mit Zugezogenen
und Partisanen im Geiste der Nächstenliebe. Das galt natürlich nicht
für die gottlob nicht allzu zahlreichen Faschisten, die dieses Wort
aus ihrem Wortschatz getilgt hatten.
Ich trat ans Fenster und atmete die noch kühle und belebende Bergluft
in tiefen Zügen ein. Der wolkenlose Himmel verhieß einen herrlichen
fünften August. Ich konnte es kaum erwarten, unsere Schafe auf die
Weide zu führen. Mit meinen dreizehn Jahren das jüngste der drei
Geschwister, war es meine Aufgabe in der schulfreien Zeit, die kleine
Schafherde zu beaufsichtigen.
Carmelo, der Erstgeborene und siebzehn, war ein Morgenmuffel. Das kam
nicht von ungefähr. Während alle anderen im Haus längst schliefen, las
er oft noch stundenlang bei Kerzenlicht in Büchern, die ihm sein
ehemaliger Italienischlehrer lieh. Carmelo war ein richtig guter
Schüler gewesen, seine Noten konnten einen vor Neid erblassen lassen.
Er wäre gern auf das Liceo gegangen, doch ein Gymnasium in
erreichbarer Entfernung gab es nicht. Ich trat an das Fußende seines
Bettes, griff beherzt unter die Decke und kitzelte meinen Bruder an
den Füßen.
»Aufstehen, Faulpelz«, sagte ich lachend.
»Mensch hau ab, du Kröte! Sonst gerb ich dir den Hintern.«
»VersuchŽs doch, versuchŽs doch. Fang mich, wenn du kannst«, neckte
ich Carmelo und fuhr ihm mit beiden Händen durch das lockige schwarze
Haar, was er überhaupt nicht leiden konnte.
»Na warte, du Teufel.« Carmelo schnellte viperngleich hoch und packte
mich am Arm. Doch ich konnte mich aus seinem Griff entwinden und
rannte durch die Türe in den Flur und polternd die knarzende
Holztreppe hinunter ins Erdgeschoss bis in die Küche.
»Hilfe, Hilfe, Carmelo will mich verhauen. Mamma, steh mir bei«,
schrie ich mit gespielter Panik.
»Macht gefälligst nicht so einen Lärm. Ihr weckt noch die Ranieris
auf«, ermahnte uns Mamma. »Setzt euch an den Tisch.«
Die Ranieris schliefen in der Regel etwas länger als wir, da
ausgemacht war, dass sie erst nach der Familie frühstückten. Vater
hatte dafür organisatorische Gründe angeführt. In Wahrheit, glaube
ich, wollte er keine Fremden am Frühstückstisch haben. Manchmal konnte
er schon recht eigen sein.
Mein Bruder, nur Augenblicke nach mir in der Küche, gab mir einen
leichten Klaps auf den Hintern und drohte: »Irgendwann drehe ich dir
den schlanken Hals um.«
Das war ein zigmal wiederholtes Spiel zwischen uns beiden, schon
beinahe ein Ritual. Ich liebte meinen großen Bruder, der mir in vielem
ein Vorbild war, und er liebte mich, auch wenn ich manchmal eine
rechte Nervensäge sein konnte.
Vater, Carmelo und ich saßen am Küchentisch. Ich schob einen der
letzten Brocken des Kanten trockenen Brotes in den Mund, das ich in
einer Schale mit lauwarmer Milch eingeweicht hatte. Die Milch stammte
von unserer Kuh, die ich Rosa getauft hatte. Rosa sicherte zusammen
mit unseren sechs Schafen unser Überleben in diesen Zeiten des
Mangels. Mamma hatte sich bereits erhoben und machte sich an der Spüle
zu schaffen.
»Wo bleibt eigentlich Flavia?«, fragte Vater, an mich und Carmelo
gerichtet.
Wir zuckten nur mit den Schultern.
»Wahrscheinlich kämmt Flavia ihr seidiges schulterlanges Haar und
befragt ihr Spieglein, wer die Schönste im Ort sei«, scherzte Mamma.
»Die morgendliche Toilette von hübschen jungen Damen nimmt naturgemäß
mehr Zeit in Anspruch als die Katzenwäsche von euch Männern.«
Euch Männern! Ich fühlte mich geadelt und nahm Haltung an.
»Dann soll sie früher aufstehen. Es gehört sich, dass alle
Familienmitglieder gemeinsam frühstücken. Sag ihr das bitte«,
grantelte Vater.
»Sag es ihr doch selbst, du Brummbär«, konterte Mamma. »Sind wir mit
dem falschen Fuß aufgestanden, Enzo?«
Nichts ließ die Tragödie erahnen, die sich in den folgenden Stunden in
Sanara ereignen sollte. Doch dann platzte ein Nachbar in die Küche,
dessen Name mir entfallen ist. Völlig aus dem Häuschen schrie er: »Die
Deutschen, sie kommen aus allen Richtungen über die Berge. Es wimmelt
nur so von Soldaten auf den Anhöhen ringsum. Sie werden bald hier
sein. Bringt euch in Sicherheit.«

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~

                   Lektorat von Hans Peter Roentgen


Wie immer die Frage: Ist das spannend?
Ich finde, ja. Es gibt einige Details, die man verbessern sollte, aber
am Konzept würde ich nichts ändern. Deshalb möchte ich zuerst
untersuchen, welche Mittel der Autor hier verwendet, um die Spannung
in die Geschichte zu bringen.


         Verwendete Spannungstechniken

In diesem Fall sind es sicher Thema, Zeit und Umfeld, die zur Spannung
beitragen. 1944, gegen Ende des zweiten Weltkriegs, ein kleines Dorf
in Italien, da assoziert der Leser Nazis, Waffen-SS und Kriegsgräuel.

Dennoch ist nicht jede Geschichte spannend, die in dieser Zeit spielt.
Auch wenn der Autor es leichter hat, weil die Leser dramatische
Ereignisse vermuten und folglich wissen wollen, welche das sind und
wie es ausgeht.

Schauen Sie sich die Struktur einmal an. Wann und wo erfährt der
Leser, dass sich bedrohliche Ereignisse über dem idyllischen
Appenindorf zusamenbrauen?

Im ersten Satz: "Die Mörder kamen am frühen Morgen", erfahren wir,
dass Mörder ins Dorf kommen werden, aber nicht, welche Mörder, und
erst recht nicht, in welcher Zeit das spielt. Danach schildert die
Erzählung einen idyllischen Morgen, die Vögel zwitschern, in der Küche
klappert die Mutter mit dem Geschirr, der Ich-Erzähler berichtet, dass
er zwei Geschwister hat.

Nicht sehr aufregend. Spannend wird es durch die Vorankündigung der
Mörder. Wir wollen wissen, wer die Mörder sind, wen sie ermorden
wollen. Offene Fragen sind immer eine gute Möglichkeit, Spannung
aufzubauen. Die Antwort hinauszuzögern ebenfalls. Das tut die Idylle.

Wäre diese idyllische Schilderung nur ein Infodump, würde der Autor
also einfach aufzählen, was er über die Situation weiß, dann würde es
nicht funktionieren.

.....
Die Vögel sangen, und meine Mutter war wie jeden Morgen in der Küche,
um Frühstück zu machen. Mein Vater ging ins Bad. Ich hatte zwei
Geschwister, einen Bruder und eine Schwester. Ich schlief mit meinem
Bruder in einem Zimmer, meine Schwester hatte ein eigenes.
.....

Das wäre ein Beispiel für solch einen Infodump. Unser Autor weiß aber,
was "Show, don’t tell" bedeutet. Er spricht nicht von Vögeln, sondern
von Sperlingen, die auch nicht irgendwo draußen zwitschern, sondern in
der alten Kastanie, die Mutter ist nicht einfach in der Küche, sondern
Klappern und Klirren verkünden ein baldiges Frühstück.

Ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig es ist, anschaulich und konkret
zu erzählen. Schildern Sie Szenen bildhaft, verwenden Sie möglichst
konkrete Wörter: Sperlinge statt Vögel.

Dann erfahren wir, dass noch eine Familie im Haus wohnt. Flüchtlinge.
Es gibt viele Flüchtlinge, und sie kommen nicht aus irgendwelchen
Städten, sondern der Autor benennt sie: Pisa, Lucca, Prato. Sie sind
vor den Bomben geflüchtet. Damit wissen wir, dass die Geschichte in
Italien spielt.

Die Bedrohung wird konkreter, aber nicht dadurch, dass der Autor sie
direkt benennt, sondern weil sie sich aus der Erzählung ergibt. Die
Frage: "Welche Mörder, und was werden sie tun?", beantwortet sich
genauer. Aber nicht vollständig, auch wenn wir mehr über die Zeit
erfahren: Es ist August 1944.

Doch das Dorf ist abgelegen und der Krieg wird hier nicht herkommen,
beruhigt uns der Autor. Sehr beruhigend ist das nicht, weil wir Leser
vermuten, dass er sehr wohl kommen wird – wurde nicht am Anfang von
Mördern gesprochen?

Immerhin, auch wenn Schmalhans Küchenmeister ist, verhungern wird
keiner in dem Dorf. Und es gibt auch nur ein paar Faschisten. Zurück
in der Idylle.

Dann freut sich der Ich-Erzähler, weil er als Jüngster die Schafe
hüten darf. Der Älteste ist ein Bücherwurm, und beide necken sich. Die
Brüder machen Krach, die Mutter mahnt zur Ruhe, wie es Mütter gerne
tun, die Tochter verbringt viel Zeit vor dem Spiegel, wie es junge
Mädchen gerne tun. Fast schon Klischee. Aber anschaulich erzählt.
Alles nicht so aufregend. Wenn da nicht das Hintergrundwissen um Krieg
und Mörder wäre.

Doch dann platzt der Nachbar in die Küche. Die Deutschen kommen,
schreit er. Gekonnt wird hier die Geschichte zwischen Idylle, Krieg
und Terror aufgespannt. Anschaulich erzählt, nie sofort die Fragen des
Lesers beantworten. Eine Drohung steht im Raum. Der Leser weiß etwas,
was die Personen der Geschichte noch nicht wissen. Er will es diesen
zurufen. Erinnern Sie sich an das Kasperletheater? Wie die Kinder
aufschreien, wenn das Krokodil auftaucht, Kasperle das Krokodil aber
nicht wahrnimmt? Es klingt zynisch, Kasperletheater mit Geschichten
aus der Nazizeit zu vergleichen. Aber beide funktionieren nach dem
gleichen Prinzip. Und vermutlich sind Geschichten deshalb so wichtig,
weil sie es uns erlauben, Schrecken zu verarbeiten. Deshalb wird es
immer wieder neue Geschichten aus dem Dritten Reich und dem Zweiten
Weltkrieg geben. Damit wir nicht vergessen.


         Klammern aus Artikel und Substantiv

Einige Details will ich aber noch anführen, die verbesserungswürdig
sind. Sehen Sie sich den Satz an:

.....
"Ihre mit Klappern und Klirren verbundene Betriebsamkeit in der Küche
versprach ein baldiges, wenn auch karges Frühstück."
.....

Was fällt Ihnen auf? Die Betriebsamkeit und das dazu gehörige
besitzanzeigende Fürwort stehen weit auseinander. Dazwischen ist eine
Beschreibung eingeklemmt, eine Partizipialkonstruktion. Das tut der
Lesbarkeit nicht gut, und der Satz wird so unübersichtlich.

Im Deutschen sind solche Konstruktionen keine gute Idee. Lassen Sie
das Fürwort und sein Substantiv beieinander. Dafür gibt es mehrere
Möglichkeiten. Eine wäre: "Ihre klappernde Betriebsamkeit ...", eine
andere, das Ganze in einen Halbsatz zu verwandeln: "In der Küche
klapperten Töpfe und Geschirr und versprachen ..."

Die obige Konstruktion findet sich häufig im Text:

.....
"Sie wähnten sich in Sicherheit in unserem aus mehreren über die Hänge
verstreuten Siedlungen bestehenden Bergdorf im nördlichen Apennin."
.....

Da stehen zwischen dem Fürwort "unserem" und dem Substantiv "Bergdorf"
insgesamt sechs weitere Wörter einer Partizipialkonstrukton. Lösen
ließe sich das durch einen Relativsatz:

.....
Sie wähnten sich in Sicherheit in unserem Bergdorf, das aus mehreren
Siedlungen im nördlichen Apennin bestand.
.....

Ganz dasselbe wäre es nicht. Das sich die Siedlungen über die Hänge
verstreut verteilen, findet sich in meinem Vorschlag nicht. Aber ist
das für die Geschichte notwendig? Eigentlich nicht, also können wir es
weglassen. Falls es später wichtig wird, kann man es dann einfügen.

Eine weitere Stelle mit solch einer Konstruktion findet sich in dem
Satz: "Das galt natürlich nicht für die gottlob nicht allzu
zahlreichen Faschisten." Zwischen Artikel und Substantiv stehen hier
vier weitere Wörter.

Ich empfehle Ihnen eine Übung: Lesen Sie den Text nochmals genau
durch, markieren Sie Stellen mit derartigen Partizipialkonstruktionen,
und überlegen Sie sich, wie sie diese Stellen umschreiben könnten.
Damit sie leichter verständlich werden.

                  **~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~**

Hans Peter Roentgen ist Autor der Bücher "Vier Seiten für ein
Halleluja" über Romananfänge und "Drei Seiten für ein Exposé".
Außerdem hält er Schreibkurse und lektoriert. Gerade ist sein neuer
Ratgeber "Schreiben ist nichts für Feiglinge" erschienen.


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INTERVIEW:
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                            (redaktion at team pt autorenforum pt de)


  "Das Entscheidende ist die Empathie, die der Protagonist auslöst"
                      Interview mit Oliver Schütte

Oliver Schütte gründete die Master School Drehbuch, war 1998
Mitbegründer der Development Agentur Script House und künstlerischer
Direktor des "Scriptforum", der deutschen Drehbuch- und
Stoffentwicklungskonferenz. Er ist u. a. Autor von "Die Kunst des
Drehbuchlesens" und "Schau mir in die Augen, Kleines" und Redakteur
bei http://www.stichwortdrehbuch.de, dem Podcast des Verbandes
deutscher Drehbuchautoren. Genug Gründe, ihn zu Spannung und
Dramaturgie zu befragen.


Hans Peter Roentgen: Sie haben auf der Leipziger Messe 2013 einen
Vortrag über Spannung gehalten, in der Lübbe Academy zusammen mit
Sebastian Fitzek einen Workshop zum gleichen Thema gehalten. Was macht
eigentlich Spannung aus?

Oliver Schütte: Spannung ist das, was Leser von einem Roman und
Zuschauer in einem Film erwarten. Es ist das Element, das den Leser
dazu bringt, weiterzulesen. Letztendlich basiert es auf dem allgemein
menschlichen Bedürfnis, die eigene Zukunft und den Fortgang des
Geschehens zu kennen. Jeder Mensch kennt das, weil wir mit diesem
Bedürfnis geboren werden. Wir sind neugierig auf das, was morgen
passieren wird. Das hat den Menschen früher und auch heute das Leben
gesichert. Ich weiß, morgen kommt ein Unwetter, und ich kann mich in
Sicherheit bringen. Geschichten nehmen aber dem Leser die Information
über den Ausgang der Handlung. Spannung bedeutet also, dem Leser
Informationen über die Zukunft vorzuenthalten.

Konflikt ist das einfachste und oft beste Mittel, um Spannung zu
erzeugen und aufrechtzuerhalten. Als Leser fiebert man darauf, zu
erfahren, wie das Ergebnis, die Lösung dieses Konflikts ist – sei es,
dass er rein psychologischer Natur oder ein stark handlungsgetriebener
ist.


HPR: Dann hieße das, dass zur Spannung ein Konflikt gehört, der auf
unterschiedliche Arten ausgehen kann, dessen Entwicklung für den Leser
also unvorhersehbar wäre?

OS: Der Konflikt ist sehr gut geeignet, dem Leser deutlich zu machen,
dass es ein Ergebnis geben wird, aber der Ausgang noch nicht geklärt
ist. Insofern ist in jedem Konflikt die Entwicklung nicht
vorhersehbar. Es sei denn, der Autor gibt zu viele Hinweise, wer
gewinnt. Und genau das ist dann langweilig und nicht spannend.


HPR: Bei vielen Romantypen ist der Ausgang des Konflikts festgelegt:
Im Whodunit-Krimi weiß der Leser, dass der Kommissar am Ende den
Mörder fangen wird, in der klassischen Liebesgeschichte weiß er, dass
die Liebenden am Schluss zusammenkommen werden. Wie verträgt sich das
mit der Forderung, dass ein spannender Konflikt nicht vorhersehbar
sein soll?

OS: Es ist ein interessantes Phänomen, dass Zuschauer und Leser
freiwillig während der Lektüre oder beim Betrachten der Handlung ihre
Lese- oder Seherfahrung hintanstellen. Jeder Zuschauer einer Romantic
Comedy weiß, dass die beiden am Ende zusammenkommen. Trotzdem lässt
sich der Zuschauer oder Leser gefangennehmen. Genau dafür liest er das
Buch oder sieht den Film. Es ist wie in einer Geisterbahn. Jeder weiß,
dass es nur Puppen sind, aber trotzdem erschrickt derjenige, der durch
die Dunkelheit fährt.


HPR: Konflikte sind also ein wesentliches Mittel, um Spannung zu
erzeugen. Welche Elemente benötigt man, um einen spannenden Konflikt
aufzubauen?

OS: Es bedarf vor allen Dingen eines Protagonisten, der Empathie
erzeugt. An zweiter Stelle steht ein Ziel oder ein Vorhaben, das diese
Figur anstrebt. Damit es dann zu einem Konflikt wird, braucht es noch
eine Gegenkraft. Es sind also drei Grundelemente, die die Grundlage
für einen Konflikt bilden.


HPR: Gibt es Konflikte, die sich besonders eignen, um Spannung zu
erzeugen? Und welche eigenen sich weniger?

OS: Das Entscheidende ist die Empathie, die der Protagonist auslöst.
Wenn diese beim Leser nicht vorhanden ist, dann wird er sich gar nicht
für den Konflikt interessieren. Aber natürlich ist es ebenso wichtig,
dass etwas auf dem Spiel steht, dass der Protagonist etwas zu
verlieren hat.


HPR: Eine Geschichte benötigt einen Spannungsbogen. Wie baut sich so
ein Spannungsbogen auf? Was sollte man beachten?

OS: Ab dem Moment, wenn ein Konflikt etabliert ist, empfindet der
Leser Spannung. Von da an geht es darum, diesen Konflikt in all seinen
Facetten auszureizen. Wichtig ist, dem Protagonisten Hindernisse und
Hürden in den Weg zu legen, die ihn oder sie herausfordern, schwächen
und stärken. Hierbei ist darauf zu achten, dass sich die
Herausforderungen steigern. Ansonsten wird es für den Leser
vorhersehbar oder langweilig und die Spannung lässt nach.


HPR: Sie arbeiten als Drehbuchlehrer, beurteilen Drehbücher und haben
darüber sogar ein Buch geschrieben: "Die Kunst des Drehbuchlesens".
Gibt es typische Anfängerfehler in der Dramaturgie, die die Spannung
einer Geschichte schädigen?

OS: Es kann leicht passieren, dass man keinen klaren Konflikt hat. Das
führt dazu, dass die Geschichte sich verzettelt und an Kraft verliert.
Es ist gut, wenn der Autor sich über den zentralen Konflikt seiner
Geschichte bewusst ist, um alles darauf auszurichten und die Spannung
zu halten.


HPR: Spannung ist im Film und im Roman wichtig. Gibt es Unterschiede
zwischen Roman und Film, was Dramaturgie und Spannung angeht?

OS: Der Roman hat die Möglichkeit, in die Gedanken der Figuren zu
schauen. Im Film muss alles in äußere Handlung und Bilder übertragen
werden. Das ist nicht immer einfach. Aber die dramaturgischen
Grundlagen sind ähnlich.


HPR: Im Drehbuchbereich wie beim Romanschreiben gibt es Regeln. Zum
Beispiel: Für die Spannung benötigt man einen Konflikt. Welche
Stellung haben solche Regeln? Kann man die Qualität eines Drehbuchs,
eines Romans danach messen, wie weit die Regeln beachtet oder
missachtet wurden?

OS: Ich bezeichne diese Fragen nicht als "Regeln". Es sind
Erfahrungen, die wir in den letzten Jahrtausenden gesammelt haben, was
das Erzählen von Geschichten betrifft. Aber es würde keinen
Fortschritt geben, wenn diese Erkenntnisse nicht immer wieder
hinterfragt würden. Es ist gut und wichtig, die bereits gemachten
Erfahrungen zu kennen und mit ihnen umzugehen. Aber ebenso wichtig ist
es, etwas Neues auszuprobieren. Allerdings sollte dies bewusst
passieren und nicht aus Unkenntnis um das bisher gesammelte Wissen
über die Kunst des Erzählens und ihre Wirkung.


HPR: Schreibregeln und Regeln für den Spannungsaufbau und die
Dramaturgie wird gerne vorgeworfen, dass sie gleichförmige Geschichten
erzeugten. Die WELT hat sogar behauptet, dass das Drei-Akt-Modell der
Grund dafür sei, dass Filme immer gleichförmiger und schlechter
werden. Hat sich Ihrer Meinung nach die Qualität der Filme und
Drehbücher verschlechtert in den letzten Jahren? Und erzeugen solche
Strukturregeln wie das Drei-Akt-Modell oder die Heldenreise
gleichförmige Geschichten?

OS: Das ist pauschal so gar nicht zu beantworten. Natürlich gibt es im
amerikanischen Kino derzeit viele formelhafte Filme. Allerdings werden
auch viele komplexe, spannende Serien geschrieben. In Deutschland ist
derzeit im Fernsehen wenig Innovatives, Tiefgehendes zu sehen. Und im
Kino sieht es ähnlich aus. Aber das hat weniger mit den Kreativen zu
tun, sondern mehr mit den Auftraggebern, die aus Angst immer wieder
das Gleiche fordern. Selbst wenn ihnen mal etwas Ungewöhnliches
begegnet, tun sie alles, um es sofort wieder in die ausgetretenen
Bahnen zu lenken – aus Furcht vor dem Risiko.


HPR: Wenn Sie ein Drehbuch beurteilen, wie gehen Sie vor? Was sind die
wichtigsten Kriterien für Ihre Beurteilung?

OS: In meiner Arbeit als Dramaturg für Drehbücher und Romane
"beurteile" ich die Werke nicht. Es geht mir darum, dass Autoren und
Produzenten ihre Vision gut umsetzen können. Ich helfe, das Werk zu
verbessern und möglichst wenig Umwege zu gehen. Dabei geht es darum,
die Erfahrungen, von denen ich vorhin sprach, auf das Werk anzuwenden
und Fragen zu stellen. Wichtig ist stets, herauszufinden, was die
Autoren erzählen wollen. Was ihre Motivation ist und der Motor dafür,
dass sie genau diese Geschichte und keine andere schreiben wollen.


HPR: Herzlichen Dank für das Interview.


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Bjørn Jagnow hat seine Fragen und Antworten zu den Themen
Urheberrecht, Verlagswesen und Vermarktung der letzten Jahre gesammelt
– thematisch sortiert und aktualisiert:

"Urheberrecht, Verlagswesen und Vermarktung für Autoren 2012", E-Book,
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Veranstaltungen, Ausschreibungen, Publikationsmöglichkeiten, Messen
und Seminare findet ihr im zweiten Teil des Tempest, der mit
getrennter Mail kommt
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