Editorial
Hall of Fame
Neues aus der Buchszene
Schreib-Kick
„Emotionen in emotionslosen Charakteren“
von Nora-Marie Borrusch
Autorenwissen
„Produktives Lesen, Kreatives Schreiben – oder: Wie wir von den 'alten Hasen' lernen können“
von Christine Reiter
„Infodump revisited - Teil 1“
von Hans Peter Roentgen
Impressum
Liebe Autorinnen und Autoren,
notwendige, spannend verpackte Infos - oder unlesbarer Infodump? Das ist ein Klassiker unter den Autor*innenfragen. Hans Peter Roentgen hat viele Aspekte dieses Themas in seinem neuen "Infodump"-Atikel für uns anhand von Beispielen zusammengestellt.
Wer viel schreibt, liest normalerweise auch viel. Und lernt von dem, was andere geschrieben haben. Wie man dieses Lernen von den "alten Hasen" für sich gewinnbringend umsetzen kann, das zeigt Christine Reiter in ihrem Beitrag.
Zwei Rubriken, die bei euch zu den beliebtesten zählen, sind natürlich auch wieder dabei: Nora-Marie Borruschs Schreib-Kick und Ramona Roth-Berghofers Fundstücke für Autor*innen aus den Weiten des Internets. Einige neue Seminare, Publikationsmöglichkeiten und Ausschreibungen findet ihr zudem wie immer in Teil 2 des Tempest (wenn ihr ihn abonniert habt).
Der klassische Tipp des Monats, diesmal von Lili St. Crow:
Discipline allows magic. To be a writer is to be the very best of assassins. You do not sit down and write every day to force the Muse to show up. You get into the habit of writing every day so that when she shows up, you have the maximum chance of catching her, bashing her on the head, and squeezing every last drop out of that bitch.
Wie ist es euch als Autor*innen bislang in Pandemie-Zeiten ergangen? Welche Tipps habt ihr für eure Kolleg*innen? Schreibt uns! Und lasst es euch möglichst gut gehen.
Gabi Neumayer
Chefredakteurin
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ISSN 1439-4669 Copyright 2021 autorenforum.de. Copyright- und Kontaktinformationen am Ende dieser Ausgabe
INHALT DIESER AUSGABE
TEIL 1
Editorial
Hall of Fame
Neues aus der Buchszene
Schreib-Kick
„Emotionen in emotionslosen Charakteren“
von Nora-Marie Borrusch
Autorenwissen
„Produktives Lesen, Kreatives Schreiben – oder: Wie wir von den 'alten Hasen' lernen können“
von Christine Reiter
„Infodump revisited - Teil 1“
von Hans Peter Roentgen
Impressum
TEIL 2 (in separater E-Mail, falls ebenfalls abonniert)
Veranstaltungen
Ausschreibungen
Publikationsmöglichkeiten
mit Honorar
ohne Honorar
Seminare
Messekalender
HALL OF FAME (
Die „Hall of Fame“ zeigt die Erfolge von AbonnentInnen des Tempest. Wir freuen uns, wenn ihr euch davon motivieren und ermutigen lasst - dann werden wir euer neues Buch hier bestimmt auch bald vorstellen können.
Melden könnt ihr aktuelle Buchveröffentlichungen (nur Erstauflagen!) nach diesem Schema:
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AutorIn: „Titel“, Verlag Erscheinungsjahr (das muss immer das laufende oder das vergangene Jahr sein!), Genre (maximal 2 Wörter). Zusätzlich könnt ihr in maximal 60 Zeichen (nicht Wörtern!) inklusive Leerzeichen weitere Infos zu eurem Buch unterbringen, zum Beispiel eine Homepage-Adresse.
.......
Ein Beispiel (!):
Johanna Ernst: „Der Fall der falschen Meldung“, Hüstel Verlag 2015, Mystery-Thriller. Dann noch 60 Zeichen - und keins mehr! Inklusive Homepage!
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Ausgeschlossen sind Veröffentlichungen in Anthologien, Bücher im Eigenverlag und BoDs (sofern sie im Eigenverlag erschienen sind) sowie Veröffentlichungen in Druckkostenzuschussverlagen.
ACHTUNG!
Schreibt in eure Mail mit der Meldung immer auch hinein, dass ihr bestätigt, dass die Veröffentlichung weder im Eigenverlag noch in einem Verlag erschienen ist, bei dem der Autor irgendetwas bezahlt hat! Als Bezahlung gilt auch, wenn er Bücher kostenpflichtig abnehmen muss, Lektorat bezahlt o. Ä.
Schickt eure Texte unter dem Betreff „Hall of Fame“ an d
Wir berücksichtigen ausschließlich Meldungen, die nach dem obigen Schema gemacht werden und die Bestätigung zum Verlag enthalten. Änderungsaufforderungen zu Meldungen, bei denen das nicht der Fall ist, werden ab sofort nicht mehr verschickt!
NEUES AUS DER BUCHSZENE (
Wir leben in turbulenten Zeiten, die Buchbranche ist in Bewegung wie nie zuvor. Ob es nun um neue Vertragsbedingungen mit Amazon geht, die zunehmende Digitalisierung des Marktes oder all die neuen Chancen und Möglichkeiten, die sich Verlagsautoren und professionellen Selfpublishern bieten: Eine Nachricht jagt die nächste. Damit ihr den Überblick behaltet und nichts Wichtiges verpasst, fassen wir hier alle interessanten Links zusammen, die uns jeden Monat ins Auge fallen - natürlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Buchhandel / Börsenverein
Kunden retten die Tübinger Buchhandlung Gastl.
Buch und Buchhandel in Zahlen während der Corona-Krise.
Nina Hugendubel: „Verstärkt in die Stadtteile gehen.“
Die Buchhandlung Machwirth im rheinhessischen Alzey wurde an Schmitt & Hahn verkauft. Der frühere Inhaber hat dafür gute Gründe.
„Thalia schafft mehr Aufmerksamkeit für die Impfung.“
Libri erweitert Geschäftsführung.
Verlage / Konzerne
Penguin Random House übernimmt frechverlag.
https://www.buchreport.de/news/penguin-random-house-baut-einen-neuen-zentralen-content-pool/
Kultur / Politik / Literaturszene
Star Trek: Eine Metapher für das Raumschiff Erde.
Weitersagen: Es gibt viele tolle Buchblogs!
Hitler und Herrenreiter: Warum Gebührengeld für Denis Scheck?
Literaturkritik: Von Rabauken empfohlen.
Preise / Auszeichnungen
Börsenblatt Young Excellence Award 2021: Tino Schlench gewinnt das Voting.
Shortlist für Deutschen Kinderbuchpreis steht.
Clemens J. Setz erhält den Georg-Büchner-Preis 2021.
Deutsch-Hebräischer Übersetzerpreis in Berlin verliehen.
Messen
So ist die physische Frankfurter Buchmesse geplant.
International
Buchhändler in Kabul will nicht schließen.
Who's Buying All These New Trump Books, Anyway?
Bookselling Profile: Brazos Bookstore.
Canadian Book Sales Recover in First Six Months of 2021.
SCHREIBKICK (
„Emotionen in emotionslosen Charakteren“
von Nora-Marie Borrusch
In der Psychologie gibt es den Unterschied zwischen Emotionen haben, Wahrnehmung der Emotionen und Ausdruck der Emotionen.
Im Schreiben kann man das einerseits durch die Perspektive lösen. Einen „deep point of view“ erreicht man durch Auslassung der Sinneseindrücke (hörte, spürte, sah, wusste) bei gleichzeitiger Formulierung direkter Gedanken (nicht „er hörte, dass es an der Tür klingelte“, sondern „Oh, es klingelt“).
Drei Nuancen:
- „Ich denke, dass ich dich liebe“: emotionslos, Gefühl wird analysiert
- „Ich fühle, dass ich dich liebe“: etwas mehr Emotion, aber immer noch Analyse des Vorgangs
- „Ich liebe dich“: Gefühl
Wenn Charaktere emotionslos dargestellt werden sollen bzw. sich ihrer Emotionen nicht bewusst sein sollen, kann man diese z. B. ins Setting verlagern. Die verletzte Figur setzt sich (in Wort und Gedanken) kommentarlos auf einen Stuhl, aber dieser knarzt jämmerlich, wehleidig, mitleiderregend oder klagend. Oder die Figur beschreibt die Gefühle anderer Figuren um sich herum, aber die Leserin bekommt dies gefiltert mit: Sie bekommt nur die Emotionen gezeigt, die die Figur gerade selbst hat und folglich in andere reininterpretiert.
Man kann weiter nuancieren, indem man nicht oder doch deutlich macht, dass das nur eine Interpretation der Perspektivfigur ist.
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Nora-Marie Borrusch promoviert in Musikwissenschaft über Mittelalter-Rock, bearbeitet als Lektorin im VfLL am liebsten Fantasy-Romane, hat einen Papageienschwarm und schreibt das eine oder andere Geschichtchen. Wer mehr wissen will, findet Infos unter www.lektorat-agapenna.com
AUTORENWISSEN (
„Produktives Lesen, Kreatives Schreiben – oder: Wie wir von den 'alten Hasen' lernen können“
von Christine Reiter
Nein – wir wollen keinesfalls Geschichten der professionellen Autorinnen und Autoren kopieren! Aber wir können durch aufmerksame Lektüre viel von den „alten Hasen“ lernen – fangen wir doch gleich damit an.
Spannung aufbauen
„Ich weiß nicht, wie es hat geschehen können“ – so beginnt der Monolog eines Kellners in Heinrich Bölls gleichnamiger Kurzgeschichte. Und wir Leserinnen und Leser fragen uns sogleich: „Was ist geschehen?“ Um das zu erfahren, lesen wir natürlich weiter ... Der erste Satz ist also entscheidend, der erste Satz veranlasst uns, die Geschichte weiterzulesen – oder aber sie ungelesen wegzulegen.
Nun erfahren wir in Bölls Geschichte nicht sogleich, auf welches Ereignis der Ich-Erzähler sich bezieht. Zunächst lesen wir nur, dass besagtes Ereignis dem Kellner am Heiligen Abend die Kündigung beschert hat. Dann erzählt er uns erst einmal ausführlich, dass er am Heiligabend wie immer tadellos seinen Pflichten nachkam und einer großen Gesellschaft das Festtagsdinner ohne Zwischenfälle serviert habe. Ein Junge, der von dem Festtagsmenü nichts gegessen hat, besucht den Kellner nach Feierabend in seinem Zimmer und will mit ihm Murmeln spielen. Dann heißt es wieder:
„Ich weiß nicht, wie es hat geschehen können“, und weiter gesteht der Kellner uns: „ Aber ich hab’s getan, und als der Chef mich fragte: Wie konnten Sie das tun?, wusste ich keine Antwort.“
Nun ist die Spannung auf dem Höhepunkt, und wir wollen nun endlich wissen, was geschehen ist! (Das mag ich aber an dieser Stelle nicht verraten, damit Sie motiviert sind, die Kurzgeschichte zu lesen.) Wir fragen uns in dem Zusammenhang des produktiven Lesens vielmehr: Wie ist es Böll gelungen, eine derartige Spannung aufzubauen? Sie ahnen es schon: Es ist dieser kleine Satz „Ich weiß nicht, wie es hat geschehen können“, der sich als Leitmotiv durch die Geschichte zieht und das außerordentliche Ereignis andeutet, ohne es vorwegzunehmen.
Auch Peter Bichsel arbeitet in seiner Kurzgeschichte „San Salvador“ mit Leitmotiven und baut mit diesen nicht nur Spannung auf, sondern schafft gleichzeitig Textzusammenhang.
„Mir ist es hier zu kalt“, schreibt der Protagonist Paul in einem Abschiedsbrief an seine Ehefrau Hildegard. Während der Mann allein zu Hause ist – seine Frau ist bei einer Chorprobe – liegt der Brief auf dem Tisch, und wieder heißt es, dass auf dem Zettel steht: „Mir ist es hier zu kalt.“ Das stilistische Mittel der Wiederholung, der Repetitio, lässt uns erahnen, dass es Paul nicht nur um die Außentemperatur geht.
Und wir lernen: Mit stilistischen Mitteln wie diesen bauen wir nicht nur Spannung auf oder erzählen anschaulich, sondern schaffen auch gleichzeitig Textzusammenhang.
Erzähler*in
Natürlich erzählen wir Autor*innen unsere Geschichte selbst. Doch wir haben mehrere Möglichkeiten, unsere Erzählung zu delegieren, wie wir an dem folgenden Beispiel sehen.
„Die Geschichte Hans Castorps, die wir erzählen wollen - nicht um seinetwillen (denn der Leser wird einen einfachen, wenn auch ansprechenden jungen Menschen in ihm kennenlernen), sondern um der Geschichte willen, die uns in hohem Grade erzählenswert scheint (wobei zu Hans Castorps Gunsten denn doch erinnert werden sollte, dass es seine Geschichte ist und dass nicht jedem jede Geschichte passiert) [...]“
Thomas Mann überlässt hier in seinem Roman „Der Zauberberg“ das Erzählen einem Erzähler, der nicht an der Handlung beteiligt ist. Es handelt sich um den sogenannten allwissenden oder auktorialen Erzähler, den der Autor/die Autorin mit uneingeschränkter Macht ausstattet. Dieser Erzähler weiß alles – im Gegensatz zu den handelnden Figuren: Er weiß, was bisher geschah, und er weiß, was in der Zukunft geschehen wird. Er kennt die Gefühle und Gedanken der handelnden Personen. Er springt in seiner Erzählung nach eigenem Ermessen in die Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft.
Borchert macht es in seiner Kurzgeschichte „Das Brot“ anders, er lässt den Erzähler sozusagen hinter den handelnden Personen stehen.
„[...] und dabei fand sie, dass er nachts im Hemd doch schon recht alt aussah. So alt wie er war. Dreiundsechzig. Tagsüber sah er manchmal jünger aus.“
Das sind die Gedanken der alten Ehefrau, als sie ihren Mann „erwischt“, der nachts heimlich in der Küche Brot isst (wir sind in der Nachkriegszeit und das Brot ist rationiert).
„Sie sieht doch schon alt aus, dachte er, im Hemd sieht sie doch ziemlich alt aus. Aber das liegt vielleicht an den Haaren. Bei den Frauen liegt das nachts immer an den Haaren. Die machen dann auf einmal so alt“, denkt er, als sie ihm in die Küche nachkommt.
Von diesem personalen Er-Erzähler erfahren wir nicht mehr als das, was die handelnden Personen sehen, denken, erleben.
Bölls Kellner benennt durch das „Ich“ bereits im ersten Satz seines Monologs deutlich die Perspektive seiner Erzählweise. Es wird sofort klar: Dieser Erzähler gehört direkt zu den Charakteren der Handlung. Er hat – wie für den Ich-Erzähler typisch – das Erzählte erlebt (oder zumindest aus „erster Hand“ erfahren). Wir realisieren: Schreiben wir aus der Ich-Erzählperspektive, so ist die Distanz zu dem Geschehen nicht mehr vorhanden, denn unser Erzähler gehört direkt in den Handlungszusammenhang hinein; er erzählt über die eigenen Erlebnisse und Empfindungen.
Für das eigene Schreiben halten wir fest: Wir Autor*innen entscheiden, wem wir das Erzählen überlassen. Haben wir uns aber für eine bestimmte Erzählperspektive entschieden, sollten wir diese natürlich im Normalfall auch konsequent beibehalten.
Allerdings kann der Wechsel der Perspektive auch ein beabsichtigtes stilistisches Mittel darstellen.
Textgattungen
Die Kurzgeschichte
Peter Bichsels Geschichte über den einsamen Ehemann, dem es „hier zu kalt“ ist, beginnt im Übrigen ohne Einleitung: „Er hatte sich eine Füllfeder gekauft.“ Ebenso findet sich in Borcherts Erzählung über das alte Ehepaar keine Einleitung: „Plötzlich wachte sie auf.“
Wir realisieren: Eine Kurzgeschichte beginnt mitten im Geschehen. Und wir lernen (oder erinnern uns): Sie endet auch, ohne der Leserschaft eine wirkliche Lösung anzubieten. Wir erfahren nicht, ob Paul auswandert. Wollen wir Autor*innen also dieser Textgattung gerecht werden, „springen“ wir ins Geschehen, lassen möglichst wenige Personen handeln (bei unseren Beispielen von Bichsel und Borchert agieren jeweils nur zwei Personen) und schaffen wenige Handlungsorte (in unseren Beispielen gibt es jeweils nur einen Handlungsort). So viel erst einmal zur Textgattung „Kurzgeschichte“.
Die Novelle
Vielleicht wollen wir aber auch eine Novelle schreiben? Dazu schauen wir uns Theodor Storms „Immensee“ an. Diese Novelle beginnt nicht mitten im Geschehen, stellen wir fest:
Ein „alter wohlgekleideter Mann" kommt an einem Herbstnachmittag von einem Spaziergang nach Hause in sein Zimmer. „Noch kein Licht", sagt er im Vorübergehen zu der Haushälterin Brigitte. Er setzt sich in seinen Lehnsessel und erinnert sich wehmütig an seine Kindheit. Und diese Erinnerungen stellen nun die eigentliche Geschichte dar.
Also kein Einsetzen mitten im Geschehen – hier haben wir eine Rahmenerzählung, die uns erst einmal zu der eigentlichen Handlung, der sogenannten Binnenerzählung, hinführt. Der alte, wohlgekleidete Mann namens Reinhard konnte in seiner Jugend aus sozialen Gründen nicht mit seiner großen Liebe Elisabeth zusammenkommen: „Die Mutter hat’s gewollt/ daß ich einen andern nehmen sollt‘.“ Storm schafft zum Schluss klare Verhältnisse: Wir Leser*innen können nicht darauf spekulieren, dass die zwei Liebenden doch noch zusammenkommen; Reinhards Abschied ist ein Abschied für immer.
Der Unterschied zur Textgattung „Roman“ wird uns während unserer Lektüre der Novelle schnell bewusst: Während die Novelle einen entscheidenden Vorgang darstellt, den sie zügig und zielstrebig verfolgt, schildert der Roman dagegen ein Leben, eine Zeit, eine Gemeinschaft sehr umfassend.
Gattungskriterien selbst erarbeiten
Vielleicht wollen wir aber auch eine Fabel schreiben; in diesem Fall könnten wir beispielsweise Aesops „Das Lamm und der Wolf“ oder Lessings „Der Esel mit dem Löwen“ lesen, um die Gattungskriterien feststellen zu können. Oder ein Märchen? Oder eine Anekdote, einen Schwank ...
Hier ist nicht der Raum, um auf alle Textarten einzugehen; jedenfalls haben wir aber gesehen, dass wir uns anhand von Textbeispielen die Gattungskriterien selbst erarbeiten können. Und diese zu kennen, macht Sinn: Schließlich wollen wir ja wissen, was wir überhaupt schreiben.
Natürlich können wir von professionellen Autor*innen noch viel mehr lernen. An dieser Stelle ist es jedoch zuerst einmal wichtig festzuhalten, dass wir überhaupt durch aufmerksame Lektüre zahlreiche Anregungen für das eigene Schreiben erhalten.
Kurz zusammengefasst: Produktives Lesen als Basis für kreatives Schreiben!
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Die Autorin Dr. Christine Reiter ist Literaturwissenschaftlerin und Leiterin des Instituts CTM LeseKultur. Sie bietet in Trier, Kaiserslautern und online Seminare zu dem Thema „Produktives Lesen, Kreatives Schreiben“ an. Info: www.lese-kultur.com
AUTORENWISSEN (
„Infodump revisited - Teil 1“
von Hans Peter Roentgen
Informationen im Roman sind notwendig, Leser finden das toll, diese Meinung habe ich öfter gehört.
Sie ist richtig. Und falsch zugleich. Wenn es zu viele Informationen oder die falschen sind oder sie falsch erzählt werden, produzieren wir einen Infodump. Nicht jede Info in einem Roman ist aber ein Infodump.
Was unterscheidet also Infos im Roman von den berüchtigten Infodumps, die Leserinnen und Leser abschrecken? Schauen wir uns zwei Beispiele an, wie erfolgreiche Autoren Infos vermitteln.
Beispiel: Der Hochsitz
„Warte auf mich!“
Ulrike ist weit hinter mir. Kurz umgucken, den Lenker auf Spur halten, aber sie ist nicht zu sehen.
Warum muss sie auch immer so langsam fahren? Wenn man am Berg erst einmal einen bestimmten Rhythmus gefunden hat, dann muss man den durchhalten. Da kann man nicht einfach mal Tempo rausnehmen. Das weiß sie doch. Ich habe es ihr gesagt.
„Ich seh dich nicht mehr!“, ruft Ulrike jetzt.
Wenn sie nicht so viel schreien würde, hätte sie mehr Kraft, um ihr blödes Mädchenrad zu bewegen. In Rosa. Aber sie hat auch nicht so viel Schwein gehabt wie ich.
Da oben ist die Abzweigung schon.
Es wird noch einmal kurz steiler. Doch mit dem Bonanzarad ist das zu schaffen. Ich passiere das Kreuz am Straßenrand. Es ist voriges Jahr für den Sohn von Herrn Sang aus Ferschweiler aufgestellt worden. Ich kannte Herrn Sang nicht, aber wegen dem Unfall, bei dem sich der Sohn mit dem Auto überschlagen hat, ist viel über ihn geredet worden. Er war in der CDU, wie Papa auch, und hat sich kurz nach dem Tod seines Sohnes aufgehängt. Das habe ich auch nur erfahren, weil ich manchmal ganz genau hinhöre, wenn die Erwachsenen reden. Solche Sachen erzählen sie uns Kindern sonst nicht.
Ein Motor ist zu hören und wird lauter. Das Auto kommt von hinten angebraust, ist ganz schön nah beim Überholen und schon wieder weit weg. Noch ein paar Tritte, und ich bin am Weg angekommen. Einmal ganz genau nach hinten gucken, und dann nach links über die Straße rüber. Mit dem letzten Schwung auf den Weg rauf, noch einmal kurz im ersten Gang durchtreten, Hinterbremse drücken, Lenker rumreißen und schön die Wolke machen. Dann rolle ich zurück zur Teerstraße und verstecke mich hinter einem Busch. Ein kleiner Laster tuckert hinunter, und als er an der nächsten Kurve verschwunden ist, kann ich Ulrike sehen. Sie ist natürlich wieder abgestiegen.
„Sanne!“, ruft sie. Kein Grund, mich zu zeigen.
Wieder: „Sanne!“ Drei Wochen seit dem elften Geburtstag. Und ich weiß schon, was ich für ein Glück habe. Sie hätten mir alles Mögliche schenken können. Aber ich habe so lange genervt, dass selbst meine Eltern eingesehen haben, dass es keine Alternative zum Bonanzarad gab. Na gut. Kurz raus hinter dem Busch. Ulrike zuwinken. Sie winkt zurück und wird gleich noch langsamer.
Max Annas, Der Hochsitz, Rowohlt, 2021,
Leseprobe: https://www.book2look.com/book/9783498002084
Ein elfjähriges Mädchen erzählt uns, wie sie eine Steigung hochfährt. Und die Sprache verrät es uns auch, hier spricht die Erzählstimme eines Kindes. Einfache, knappe Sprache, viel Handlung, dazu Dinge, die einem Kind während der Erzählung einfallen.
Nötige Infos
Empfinden Sie das als Infodump? Ich nicht. Aber warum nicht? In dem Text stecken doch eine Menge Informationen!
- Die Erzählerin hat ein Bonanzarad.
- Die Freundin fährt ihr zu langsam.
- Man muss am Berg den Rhythmus finden und durchhalten.
- Sie ist gerade elf geworden und hat das Rad zum Geburtstag bekommen.
- Mit dem Bonanzarad kann sie leichter fahren.
Infodump
Warum ist es dann kein Infodump?
- weil es nicht einfach Tatsachen aufzählt, sondern sie in eine Handlung einbaut.
- weil die Erzählstimme des Mädchens durchgehalten wird, wir uns die ganze Zeit im Kopf und den Gedanken des Mädchens befinden.
- weil es konkret bleibt. „Show, don't tell“ nennt man das.
- weil die Handlung aktiv erzählt wird.
- weil nicht beliebig viele Informationen erzählt werden.
- weil mit jeder neuen Info neue Fragen aufgeworfen werden.
Die Infodump-Variante
Kann man den gleichen Text in einen Infodump verwandeln? Versuchen wir es mal:
Ulrike ist nicht schnell, das weiß ich, seit vielen Jahren wird bei unseren Fahrradfahrten von ihr das Tempo nicht gehalten. Ich soll auf sie warten, wird mir von ihr nachgerufen, womit sie das Problem des Langsamer-Fahrens vergrößert, denn bei sportlichen Betätigungen ist es nach anerkannter Meinung aller Fachleute wichtig, den Atem nicht für Tätigkeiten, die die Betätigung hindern, zu vergeuden, sondern für die eigentliche Betätigung, die wichtiger ist, aufzusparen. Diese Erkenntnis habe ich ihr in der Vergangenheit vielfach vorgetragen, doch sie hat sie nie internalisiert.
Inhaltlich besteht hier kein Unterschied, doch bei Texten kommt es immer auf das Wie an.
Erzählstimme und aktiv erzählen
Hier erzählt ganz klar kein Kind die Geschichte, sonder der Autor, dessen Erzählstimme nicht zu der eines Kindes passt. Obendrein wird passiv, statisch erzählt, und eine Menge völlig unwichtiger Details werden aufgeführt.
Ach ja, noch etwas ganz Wichtiges: Alle Einzelheiten in der Originalerzählung haben später in dem Roman eine Bedeutung. Der russische Schriftsteller Anton Tschechow sagte dazu: „Man kann kein Gewehr auf die Bühne stellen, wenn niemand die Absicht hat, einen Schuss daraus abzugeben.“
Infos, die keine Bedeutung in der Geschichte haben, sollte man streichen.
Aufgabe
Nehmen Sie einige Bücher aus Ihrem Regal, möglichst Ihre Lieblingsbücher. Lesen Sie die ersten vier Seiten, schreiben Sie auf, welche Informationen dort vermittelt werden. Und stellen Sie mit Tschechow fest, was damit im Laufe der Geschichte geschieht.
[Im nächsten Tempest geht es mit dem allwissenden Erzähler mit und ohne Infodump weiter.]
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Hans Peter Roentgen ist Autor der Bücher „Vier Seiten für ein Halleluja“ über Romananfänge, „Drei Seiten für ein Exposé“, „Schreiben ist nichts für Feiglinge“, „Klappentext, Pitch und weiteres Getier“ und „Was dem Lektorat auffällt“. Außerdem hält er Schreibkurse und lektoriert.
UNSERE EXPERTINNEN UND EXPERTEN
Bitte schickt den Expert*innen nur Fragen zu ihrem Expertenthema - keine Manuskripte zur Beurteilung. Bitte verseht jede Anfrage mit einem aussagekräftigen Betreff. Sonst kann es sein, dass die Mail vorsichtshalber gelöscht wird.
Fragen (anonymisiert) und Antworten werden in der Regel hier im Tempest veröffentlicht, damit auch andere Autor*innen davon lernen können. Wer das aber nicht möchte, schreibt das bitte ausdrücklich dazu.
Drehbuch | Oliver Pautsch | |
Fantasy | Stefanie Bense | |
Heftroman | Arndt Ellmer | |
Historischer Roman | Titus Müller | |
Kinder- und Jugendbuch | Sylvia Englert | |
Kriminalistik | Kajo Lang | |
Lyrik | Martina Weber | |
Marketing | Maike Frie | |
Recherche | Barbara Ellermeier | |
Sachbuch | Gabi Neumayer | |
Schreibaus- und -fortbildung | Uli Rothfuss | |
Schreibhandwerk | Ute Hacker | |
Science-Fiction | Andreas Eschbach |
Veranstaltungen, Ausschreibungen, Publikationsmöglichkeiten, Messen und Seminare findet ihr im zweiten Teil des Tempest, den ihr separat abonnieren müsst.
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Herausgeber
Gabi Neumayer (
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Stefan Schulz (
Thomas Roth-Berghofer (
Jürgen Schloßmacher (
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