The Tempest

Ausgabe 24-01 (20. Januar 2022)

   Editorial
   Hall of Fame
   Neues aus der Buchszene
   Schreibkurs
     „Der Szeneneinstieg“
     von Nora-Marie Borrusch
   Autorenwissen  
      „Überarbeitung und Lektorat: Der erste Absatz“
      von Hans Peter Roentgen
   Impressum


EDITORIAL 

Liebe Autorinnen und Autoren,

Folge 2 von Hans Peter Roentgens Erkenntnissen aus vielen Jahren Lektorat handelt vom so wichtigen ersten Absatz. Welche typischen Fehler machen Autor*innen dabei - und wie geht es besser? Dazu passt hervorragend Nora-Marie Borruschs Schreibkurs über die vielen Möglichkeiten, einen tollen Szeneneinstieg hinzulegen. Probiert die gesammelten Tipps der beiden doch gleich mal an eurem aktuellen Schreibprojekt aus!  

Und wenn ihr dann noch nicht genug habt, begleitet Ramona Roth-Berghofer doch auf ihrem Spaziergang durchs Netz, wo am Wegesrand jede Menge nützliche Infos für Autor*innen warten.

Der Tipp des Monats, diesmal von Belle Whittington:

Why do I love writing YA? Because I get a chance to re-live my youth knowing all I know now ...

Viel Spaß beim Schreiben, und habt einen guten Jahresbeginn! 

   Gabi Neumayer
   Chefredakteurin


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ISSN 1439-4669 Copyright 2021 autorenforum.de. Copyright- und Kontaktinformationen am Ende dieser Ausgabe


INHALT DIESER AUSGABE

TEIL 1

   Editorial
   Hall of Fame
   Neues aus der Buchszene
   Schreibkurs
     „Der Szeneneinstieg“
     von Nora-Marie Borrusch
   Autorenwissen  
      „Überarbeitung und Lektorat: Der erste Absatz“
      von Hans Peter Roentgen
   Impressum


TEIL 2 (in separater E-Mail, falls ebenfalls abonniert)

   Veranstaltungen
   Ausschreibungen
   Publikationsmöglichkeiten
     mit Honorar
     ohne Honorar
   Seminare
   Messekalender


HALL OF FAME (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.


Die „Hall of Fame“ zeigt die Erfolge von AbonnentInnen des Tempest. Wir freuen uns, wenn ihr euch davon motivieren und ermutigen lasst - dann werden wir euer neues Buch hier bestimmt auch bald vorstellen können.

Melden könnt ihr aktuelle Buchveröffentlichungen (nur Erstauflagen!) nach diesem Schema:

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AutorIn: „Titel“, Verlag Erscheinungsjahr (das muss immer das laufende oder das vergangene Jahr sein!), Genre (maximal 2 Wörter). Zusätzlich könnt ihr in maximal 60 Zeichen (nicht Wörtern!) inklusive Leerzeichen weitere Infos zu eurem Buch unterbringen, zum Beispiel eine Homepage-Adresse.

.......

Ein Beispiel (!):

Johanna Ernst: „Der Fall der falschen Meldung“, Hüstel Verlag 2015, Mystery-Thriller. Dann noch 60 Zeichen - und keins mehr! Inklusive Homepage!

.......

Ausgeschlossen sind Veröffentlichungen in Anthologien, Bücher im Eigenverlag und BoDs (sofern sie im Eigenverlag erschienen sind) sowie Veröffentlichungen in Druckkostenzuschussverlagen. 

ACHTUNG!

Schreibt in eure Mail mit der Meldung immer auch hinein, dass ihr bestätigt, dass die Veröffentlichung weder im Eigenverlag noch in einem Verlag erschienen ist, bei dem der Autor irgendetwas bezahlt hat! Als Bezahlung gilt auch, wenn er Bücher kostenpflichtig abnehmen muss, Lektorat bezahlt o. Ä.

Schickt eure Texte unter dem Betreff „Hall of Fame“ an dDiese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Wir berücksichtigen ausschließlich Meldungen, die nach dem obigen Schema gemacht werden und die Bestätigung zum Verlag enthalten. Änderungsaufforderungen zu Meldungen, bei denen das nicht der Fall ist, werden ab sofort nicht mehr verschickt! 


Andrea Reder: „Dangerous Person - Die Verdammten” (Bd. 1) & „Der Aufbruch (Bd. 2)”, Hybrid Verlag 2020, Dystopie. Über die Macht des freien Willens. 


NEUES AUS DER BUCHSZENE (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.)


Wir leben in turbulenten Zeiten, die Buchbranche ist in Bewegung wie nie zuvor. Ob es nun um neue Vertragsbedingungen mit Amazon geht, die zunehmende Digitalisierung des Marktes oder all die neuen Chancen und Möglichkeiten, die sich Verlagsautoren und professionellen Selfpublishern bieten: Eine Nachricht jagt die nächste. Damit ihr den Überblick behaltet und nichts Wichtiges verpasst, fassen wir hier alle interessanten Links zusammen, die uns jeden Monat ins Auge fallen - natürlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit.


Interviews


Vorübergehende Lage oder strukturelle Verschiebungen? Interview mit Stefanie Schelleis, Herstellungsleiterin bei Hanser.

Es bleibt eine Herausforderung, noch gewinnbringend zu wirtschaften. Interview mit Iris Henscheid, Vorsitzende IGUS-Sprecherkreis.


Buchhandel / Zwischenhandel


Omikron. Wir schützen das Team - und hoffen, dass es reicht.

Analyse zu Zeitfracht und Buch Adler: Der Logistiker, der auch Bücher fährt.


Verlage


Verhaftung in New York: Rätselhafte Manuskript-Diebstähle offenbar aufgeklärt.


Kultur


Wie Shakespeare auf Deutsch beim Gendern hilft.

Rückblick auf eine Verleger-Legende. Klaus Wagenbach ist tot.


Preise / Auszeichnungen


Diogenes und Philipp Keel für literarisches Schaffen ausgezeichnet.

Max Frisch-Preis 2022 für Jonas Lüscher.

Jugendbuch: Ausschreibung für den 21. Peter-Härtling-Preis läuft.

Phantastische Literatur: Das sind die Nominierten für den Seraph 2022.


Messen


Findet die Leipziger Buchmesse statt? Oliver Zille: „Die Branche will diese Messe.“



 SCHREIBKURS (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.)


„Der Szeneneinstieg“

von Nora-Marie Borrusch

Einstiege sind wichtig, da man die Leserschaft packen und festhalten muss. Obwohl manche Dinge grundsätzlich spannender sind als andere, gibt es kein allgemeines Rezept, da man alles gut oder schlecht machen kann.

Schlecht ist zum Beispiel Infodump; die Informationen kann man in Settingbeschreibungen, Dialoge und Actionszenen einbauen.

Gut ist zum Beispiel, wenn man Dinge mit Handlung und/oder Emotionen verknüpft. Nicht: „Die Stadt hatte silberne Zwiebeldächer und weiße Marmortürmchen. Ekkehard lief durch die Straßen.“ Sondern: „Ekkehard blickte hoch zu den silbernen Zwiebeldächern, als er die Stadt trat. Wie Krönchen hockten sie auf den weißen Türmen und erinnerten ihn an die Zeit, als er noch die silberne Krone getragen hatte.“

Ebenfalls gut ist, wenn man es jedes Mal anders macht, denn Abwechslung bleibt spannend.

Möglichkeiten, gekonnt in eine Szene einzusteigen

1. Settingbeschreibung

Die Figur bewegt sich in einem Raum/einer Umgebung. Was tut sie mit den dort vorhandenen Utensilien? Angucken, anfassen, nach jemandem werfen, selbst auf Dinge geworfen werden ...

Beispiel:
Michi schob seine Zimmertür auf. Eine der herumliegenden Socken klemmte darunter und verhinderte, dass er die Tür ganz öffnen konnte. Er zog den Rucksack ab, quetschte sich durch den Spalt und warf den Rucksack aufs Bett, bevor er sich in den Schreibtischstuhl warf, der mit einem jämmerlichen Quieken nachgab.

Was erfahren wir hier? Michi ist unordentlich und vermutlich unter 18. Sein Zimmer ist nicht sehr groß, beinhaltet aber zumindest Bett, Schreibtisch und Schreibtischstuhl. Der Stuhl ist abgenutzt, man ist also entweder nicht gut betucht oder ökologisch-nachhaltig orientiert.

2. Ein vorherrschender Sinn

Meist ist der erste Sinn das Sehen. Aber vielleicht sind Klänge oder Geräusche in dieser Szene wichtiger, vielleicht auch ein Geruch oder ein Gefühl? Ein Gefühl, dass beim Betreten eines Raumes plötzlich feindliches Schweigen herrscht? Oder das Gefühl, wenn man mit der Wange auf einem unerwarteten Untergrund aufwacht?

Beispiel:
„Die Trommeln schwiegen.“ (T. S. Orgel, Orks vs. Zwerge)

Was erfahren wir? Es ist nicht einfach still. Es ist WIEDER still. Irgendwas passiert. Alle Trommler haben anscheinend zusammen aufgehört zu trommeln. Wer hat den Befehl gegeben? Warum? Warum haben sie getrommelt, und was soll jetzt anstelle des Trommelns passieren? Wie verhalten sich die Figuren im Nachhall? Wie unterscheidet sich die angespannte Stille nach dem Trommeln von einer anderen Stille? Niemand wird hier an eine „normale“ Stille denken. Jeder wird stattdessen sofort den Klang der Trommeln im Ohr haben – und wie er verhallt.

3. Dialog

Hier wirft man den Leser direkt rein, man startet nicht beim „Hallo“, sondern bei relevanten Dingen. Klaus ist fremdgegangen und muss es Wilhelmine beichten. Wenn man in einer der vorigen Szenen erfahren hat, dass Wilhelmine sich Hoffnungen auf einen Antrag macht, und die Szene nun beginnt mit: „Ich muss dir was beichten. Ich habe mit Elfriede geschlafen“, dann hat man die Leserschaft sofort am Haken.

4. Innerer Monolog

Gedankengänge als Reaktion auf Äußerliches. Diesen Aspekt verknüpft man am besten mit einem von den anderen Punkten oder mit der vorangegangenen Szene, sonst ist es sehr leicht, ihn zu abstrakt und damit langweilig zu gestalten.

Beispiel:
Der Geruch von Minze schlug Benna wie eine Sommerbrise entgegen, als sie die Zeltplane zurückschlug. Erst danach prallte sie gegen eine Mauer aus Blutgeruch, fiebriger Hitze und dem Stöhnen von Sterbenden.
Oh Gott. Das war Fions Stimme. Oh Gott.
Nein, nein, nein, das durfte nicht sein! Nicht heute, nicht so! Plötzlich liefen ihre Füße wie von allein, rannten durch die mit Tüchern abgetrennten Gänge, nach links, den weiteren Gang entlang. Ein Heiler richtete sich vom Bett auf, versperrte ihr die Sicht. Was sollte das? Warum ließ er sie nicht zu Fion? Warum hob er jetzt die Hand und strich ihr mitfühlend über die Schulter?
Sie war zu spät. Oh Gott, sie war zu spät.

Anti-Beispiel (langweilig und verwirrend):
Nein, ich kann da jetzt nicht reingehen. Wenn ich da was finde, das ich nicht finden will? Nein, das mache ich nicht. Ich bleibe einfach hier. Ich halte mir die Ohren zu, dann muss ich die Geräusche nicht hören.

Worin unterscheiden sich die Beispiele? In Situation 1 reagiert die Figur auf den Geruch und die Geräusche, die Assoziationen wecken. Handlung gibt es in dem Absatz nicht wirklich, Figur Benna geht in ein Krankenzelt. Trotzdem kann man sich die Szene vorstellen, hat Bilder vor Augen, aber eben primär die Gedanken der Figur.

In Situation 2 haben wir schlichtweg keinen Plan, was passiert, wo man ist und so weiter.

Das zeigt auch, warum man nicht nur innere Monologe schreiben kann, sondern auch etwas drumherum braucht. Umgekehrt zeigt es auch, warum und wann man inneren Monolog braucht, denn eine Szene wie diese, in der eine Figur zu ihrem sterbenden Partner geht, wäre ohne Gedanken und Emotionen unglaubwürdig – sofern man nicht anders vermittelt bekommt, dass die Figur wegen des Ereignisses geschockt ist und emotional taub wird.

5. Action

Gerade wenn Action am Beginn steht, muss man aufpassen, dass man den Leser packt. Gemetzel packt heute niemanden mehr, aber wenn man die Leserschaft sofort in die Gefühlswelt der Figur zieht, am besten noch mit „Deep Point of View“ View (die ungefilterte Gedankenwelt der Figur), kann man ihr die Gefahr, die Angst und die Problematik begreiflich machen, und – schwupps – ist es direkt spannend.

6. Zitat (real oder erfunden)

Hier hilft bereits die Optik, um Aufmerksamkeit zu erregen, da Zitate ja meist abgehoben sind vom restlichen Text – kursiv, rechtsbündig, in einem Kasten, andere Schriftart ... Aber Achtung: Durch ihre exponierte Stellung sind sie sehr auffällig, wenn sie also den Kapitelinhalt auf den Punkt bringen sollen o. Ä., achten Sie drauf, dass sie das auch tun.

7. Grafiken

... die eine Verbindung zwischen Leserschaft und Gelesenem/dem geschriebenen Wort schaffen. Schauen Sie doch mal, wie „Die Unendliche Geschichte“ anfängt.

8. Die Leserschaft direkt ansprechen

Kann sehr wirkungsvoll sein, passt aber natürlich nur, wenn Ihnen diese Art der Perspektive bzw. der expliziten Erzählerinstanz zusagt (oder zu Ihrer Geschichte passt).

Beispiel:
Du. Ja, genau du. Du Verschlinger*in dieser Zeilen. Du glaubst, ich schreibe das für 1.000 andere, nur nicht genau für dich? Du irrst dich. Genau für dich sind diese Zeilen. Eine Geschichte willst du? Das ist dein Pech. Vielleicht habe ich keine Lust, dir die Geschichte zu erzählen, die du lesen willst. Du willst es spannend und dramatisch, mit hohen Risiken und Verlusten und am Ende gewinnen die Guten ... Na gut, darin stimmen wir überein. Aber ich würde dir lieber eine Geschichte erzählen von Blümchen und Vögelchen, in der niemand krank wird und man jeden Morgen geweckt wird, weil einen ein Sonnenstrahl an der Nase kitzelt. Aber in dieser Geschichte gibt es allerhöchstens über dem Feuer gegrillten Auerhahn, die Vegetation besteht aus Sumpfpilzen, Moosen und Schlingpflanzen, und wegen der Ungeheuer spielt die Geschichte auch überwiegend nachts. Aber ich nehme an, das ist genau das, was du jetzt lesen willst ...

Bei allen diesen Möglichkeiten gilt natürlich: Es ist immer besser, die Leserschaft einfach mitten reinzuwerfen, als bei der Erfindung des Rades, der Geburt oder dem Aufwachen anzufangen!

Beginnen Sie die Szene erst da, wo es interessant wird. Sie müssen natürlich nicht immer mit der Explosion beginnen – wenn jedes Kapitel mit einem solchen Einstieg anfängt, wird das auch langweilig. Mal können Sie mit einem Dialog an der brisantesten Stelle beginnen, mal mit sehr schüchternen Worten, und die Explosion kommt dann am Kapitelende (und sorgt vielleicht sogar für einen Cliffhanger).

Denken Sie daran: Varianz, Handlung und Emotionen.

Übung
Nehmen Sie eine Szene, die Ihnen nicht gefällt. Vielleicht finden Sie sie zäh oder langweilig, oder Sie haben das Gefühl, Sie haben sich damit nur warmgeschrieben. Wählen Sie einen anderen Szeneneinstieg, und schauen Sie, ob es besser funktioniert.

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Nora-Marie Borrusch promoviert in Musikwissenschaft über Mittelalter-Rock, bearbeitet als Lektorin im VfLL am liebsten Fantasy-Romane, hat einen Papageienschwarm und schreibt das eine oder andere Geschichtchen. Wer mehr wissen will, findet Infos unter www.lektorat-agapenna.com
 


 AUTORENWISSEN (Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.)


„Überarbeitung und Lektorat: Der erste Absatz“

von Hans Peter Roentgen

Wenn ich einen neuen Text erhalte, mache ich, was Leserinnen in der Buchhandlung oder beim Online-Händler auch tun: Ich lese den Anfang. Wenn der nicht packt, gibt es ein Problem.

Nicht nur der erste Satz ist da wichtig. Der ganze erste Absatz sollte den Leser zum Lesen einladen. Das heißt: keine Erklärungen der Autorin. Rein in die Handlung. Gebt dem Leser einen Eindruck, was ihn im Buch erwartet. Und was für Fähigkeiten er von der Autorin erwarten kann: bezüglich Spannung, Stil, Personen und, und, und.

Also den oder die ersten Abschnitte überarbeiten?

Kommt darauf an. Dass es so oft Probleme mit dem Einstieg gibt, hat einen einfachen Grund. Autorinnen müssen selbst erst einmal den Einstieg finden. Sie mäandern um ihr Thema, erklären sich selbst ihre Geschichte, um ihr näher zu kommen. Sie bauen erst einmal eine Art Gerüst, um dann mit dem Bau der Geschichte beginnen zu können.

Dementsprechend gibt es meist eine einfache Lösung des Problems: Bauen Sie das Gerüst wieder ab, wenn die Geschichte steht. Streichen Sie den ersten Absatz. Möglicherweise auch den zweiten.

Wird der Einstieg damit handlungsreicher? Zieht er den Leser besser in die Geschichte? Vermittelt ihm einen Eindruck, auf welche Art von Buch er sich da einlassen wird?

Manchmal muss man eine ganze Reihe Absätze am Anfang streichen. Ein sicheres Zeichen ist es, wenn erst ein späterer Absatz mit der eigentlichen Handlung beginnt. Den nehmen Sie! Denken Sie daran, am Anfang müssen Sie dem Leser nicht alles erklären. Ganz im Gegenteil: Sie müssen ihn neugierig machen: Warum handelt die Person hier so seltsam?

Die gestrichenen Absätze können Sie aufbewahren. Möglicherweise können Sie sie später verwenden. Aber lange Beschreibungen am Anfang wecken keine Neugier.

Es war Frühling, die Blumen blühten, die Bäume schlugen aus, die Hummeln summten und im Café saßen die ersten Gäste, noch in Mäntel gehüllt. Ein Eiswagen fuhr klingelnd vorbei. Enten quakten im See, der leichte Wellen schlug. Die Sonne spiegelte sich im Wasser. Frösche quakten.

Was sagt ein solcher Anfang einem interessierten Leser? Rein gar nichts, so ein Frühlingsanfang ist überall gleich. Könnte ein Krimi sein, ein historischer Roman, ein Liebesroman, Fantasy ...

 

Mit der Handlung beginnen

 Wie anders sieht es aus, wenn Sie die erste Handlung wählen:

Lady Gavidia genoss die ersten Sonnenstrahlen auf der Veranda, als ihr Butler Sir Galwan meldete. Der wartete gar nicht die Erlaubnis zum Eintreten ab, sondern drängte James zu Seite und ...

Oder so:

Die Lehrerin Gina Botig genoss die Frühlingssonne im ICE-Speisewagen. Plötzlich krachte es. Der Schaffner warf sich auf den Boden ...

Oder so:

Immer im Frühjahr überkommt mich die Lust, einen leichten Rucksack zu packen, nur mit einem Paar Unterwäsche zum Wechseln und einem Schlafsack, und durch die Landschaft zu streifen.

Schauen wir uns mal zwei Anfänge erfolgreicher Romane an:

„Leck mich am Arsch, denkt O, als sie zwischen Chon und Ben auf einer Bank am Main Beach sitzt und potenzielle Partnerinnen für die beiden ausguckt.
„Die da?“, fragt sie und zeigt auf eine typische BB (Baywatch-Blondine), die über die Strandpromenade schlendert.
Chon schüttelt den Kopf.“

(Don Winslow, Kings of Cool, Suhrkamp)

Das ist der Beginn eines Hardcore-Thrillers, er beginnt mit Handlung. Aber nicht mit Action. Und weckt Neugier. Warum guckt eine Frau für Ihre zwei Begleiter mögliche Partnerinnen aus? Ganz unauffällig ist in die Handlung eine Beschreibung eingewebt: Wir sind an einem Strand in den USA.

Zeruya Shalev schreibt keine Hardcore-Thriller, sondern Bücher über Beziehungen. So fängt ihr neuestes Buch an:

„Schweigend stand sie vor der geschlossenen Tür. Wozu noch klingeln oder klopfen, seine Mutter hatte sie ja schon lange gehört. Hinter dem offenen Küchenfenster gewahrte sie den Schatten einer Bewegung, lautlos wie ein Augenzwinkern. Ein riesiger Topf köchelte auf dem Petroleumkocher, bestimmt versteckte sich dahinter die klein gewachsene Frau mit dem Holzlöffel in der Hand ...“

Ein ganz anderer Anfang, ein ganz anderes Buch, ein ganz anderer Stil und andere Personen. Und doch haben beide Bücher etwas gemeinsam: Sie beginnen mit Handlung, in die kurz (kurz!) und unauffällig eingewebt ist, wo wir uns befinden.

Fazit

Schauen Sie sich bei der Überarbeitung Ihren Beginn genau an. Fangen Sie mit Beschreibungen oder Erklärungen an? Dann streichen Sie diese bis zum ersten Absatz, der eine Handlung enthält.

Sie müssen dem Leser doch noch erläutern, wer die Personen sind? Wo die Geschichte spielt?

Nein, müssen Sie nicht. Jedenfalls nicht am Anfang. Werfen Sie den Leser in die Handlung. Soll er sich doch fragen, wer da vor verschlossener Tür steht oder wer da für zwei Freunde Partnerinnen aussucht! Denn dazu muss er weiterlesen.

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Hans Peter Roentgen ist Autor der Bücher „Vier Seiten für ein Halleluja“ über Romananfänge, „Drei Seiten für ein Exposé“, „Schreiben ist nichts für Feiglinge“, „Klappentext, Pitch und weiteres Getier“ und „Was dem Lektorat auffällt“. Außerdem hält er Schreibkurse und lektoriert.  


UNSERE EXPERTINNEN UND EXPERTEN


Bitte schickt den Expert*innen nur Fragen zu ihrem Expertenthema - keine Manuskripte zur Beurteilung. Bitte verseht jede Anfrage mit einem aussagekräftigen Betreff. Sonst kann es sein, dass die Mail vorsichtshalber gelöscht wird.

Fragen (anonymisiert) und Antworten werden in der Regel hier im Tempest veröffentlicht, damit auch andere Autor*innen davon lernen können. Wer das aber nicht möchte, schreibt das bitte ausdrücklich dazu.
 

Drehbuch  Oliver Pautsch Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
Fantasy Stefanie Bense Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
Heftroman  Arndt Ellmer Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
Historischer Roman  Titus Müller Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
Kinder- und Jugendbuch Sylvia Englert Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
Kriminalistik Kajo Lang Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
Lyrik Martina Weber Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
Marketing Maike Frie Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
Recherche  Barbara Ellermeier Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
Sachbuch Gabi Neumayer Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
Schreibaus- und -fortbildung  Uli Rothfuss Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
Schreibhandwerk Ute Hacker Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
Science-Fiction Andreas Eschbach Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

 


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Ausgabe 26-11 (vom 20. November 2024)

TEIL 1 (Schreiben und Veröffentlichen):

   Editorial
   Hall of Fame
   Neues aus der Buchszene
   Autorenwissen
     „Die ersten Romanseiten‟
     von Hans Peter Roentgen
   Buchbesprechung
      „Paris, ein Fest fürs Leben"
      besprochen von Tanja Wirnitzer
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