Editorial
Hall of Fame
Neues aus der Buchszene
Leser*innenbrief
Autorenwissen
„Drei Fassungen einer Szene“
von Hans Peter Roentgen
Buchbesprechung
„Handbuch Übersetzungslektorat“
besprochen von Nora-Marie Borrusch
Drei Fragen
... an Katja Keweritsch
Impressum
Liebe Autor*innen,
in der Juli-Ausgabe mit dem Artikel von Hans Peter Roentgen hatten wir euch ja gebeten, uns zur Debatte um das N-Wort zu schreiben. Kurz habe ich mich gefragt: „Sind Leser*innenbriefe im Tempest angesichts der ständigen und sekundenschnellen Kommentierungsmöglichkeiten im Netz überhaupt noch zeitgemäß?“
Ich denke: Sie sind wichtiger denn je. Denn bei einer Länge von mehr als einer Handvoll Zeichen und mit der zeitlichen Verzögerung haben alle die Möglichkeit, ihre unterschiedlichen Standpunkte erst zu durchdenken, dann zu formulieren und konstruktiv zu argumentieren - statt in heftiger Empörung eine unüberlegte und destruktive Kurzmitteilung rauszuhauen. Der heutige Leserbrief kritisiert eine Aussage im vorigen. Und auch wenn jemand diese Ansicht falsch oder unfair findet: Das sollten wir gut aushalten und durchdacht argumentativ reagieren können, ohne uns in Netzmanier aufgefordert zu sehen, „zurückzuschlagen“. So funktioniert demokratischer Austausch, oder?
And now for something completely different: Unsere „Drei Fragen“ haben wir diesmal Katja Keweritsch gestellt. Ramona Roth-Berghofer hält uns wie immer auf dem Laufenden über Entwicklungen und Diskussionen im Netz. Und Hans Peter Roentgen - der ja normalerweise eure Texte kritisiert und analysiert - legt diesmal einen eigenen Text vor, den er nach dem Feedback seiner Lektorin mehrmals überarbeitet hat.
Das Zitat des Monats, diesmal von Robert Graves:
There is no such thing as good writing, only good rewriting.
Genießt den (zumindest zeitweise) goldenen Herbst - und schreibt uns, wenn ihr etwas zum Tempest beitragen möchtet.
Gabi Neumayer
Chefredakteurin
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Damit wir den Tempest auch in Zukunft weiterführen können, brauchen wir eure Hilfe: Wer uns unterstützen möchte, überweise bitte einen freiwilligen Jahresbeitrag (15 Euro haben wir als Richtwert gesetzt, aber ihr helft uns auch schon mit 5 oder 10 Euro weiter) auf das Konto:
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Und wer nicht überweisen möchte, kann uns den Beitrag auch weiterhin per Post schicken (Adresse am Ende des Tempest).
ISSN 1439-4669 Copyright 2023 autorenforum.de. Copyright- und Kontaktinformationen am Ende dieser Ausgabe
INHALT DIESER AUSGABE
TEIL 1
Editorial
Hall of Fame
Neues aus der Buchszene
Leser*innenbrief
Autorenwissen
„Drei Fassungen einer Szene“
von Hans Peter Roentgen
Buchbesprechung
„Handbuch Übersetzungslektorat“
besprochen von Nora-Marie Borrusch
Drei Fragen
... an Katja Keweritsch
Impressum
TEIL 2 (in separater E-Mail, falls ebenfalls abonniert)
Veranstaltungen
Ausschreibungen
Publikationsmöglichkeiten
mit Honorar
ohne Honorar
Seminare
Messekalender
HALL OF FAME (
Die „Hall of Fame“ zeigt die Erfolge von AbonnentInnen des Tempest. Wir freuen uns, wenn ihr euch davon motivieren und ermutigen lasst - dann werden wir euer neues Buch hier bestimmt auch bald vorstellen können.
Melden könnt ihr aktuelle Buchveröffentlichungen (nur Erstauflagen!) nach diesem Schema:
.......
AutorIn: „Titel“, Verlag Erscheinungsjahr (das muss immer das laufende oder das vergangene Jahr sein!), Genre (maximal 2 Wörter). Zusätzlich könnt ihr in maximal 60 Zeichen (nicht Wörtern!) inklusive Leerzeichen weitere Infos zu eurem Buch unterbringen, zum Beispiel eine Homepage-Adresse.
.......
Ein Beispiel (!):
Johanna Ernst: „Der Fall der falschen Meldung“, Hüstel Verlag 2015, Mystery-Thriller. Dann noch 60 Zeichen - und keins mehr! Inklusive Homepage!
.......
Ausgeschlossen sind Veröffentlichungen in Anthologien, Bücher im Eigenverlag und BoDs (sofern sie im Eigenverlag erschienen sind) sowie Veröffentlichungen in Druckkostenzuschussverlagen.
ACHTUNG!
Schreibt in eure Mail mit der Meldung immer auch hinein, dass ihr bestätigt, dass die Veröffentlichung weder im Eigenverlag noch in einem Verlag erschienen ist, bei dem der Autor irgendetwas bezahlt hat! Als Bezahlung gilt auch, wenn er Bücher kostenpflichtig abnehmen muss, Lektorat bezahlt o. Ä.
Schickt eure Texte unter dem Betreff „Hall of Fame“ an d
Wir berücksichtigen ausschließlich Meldungen, die nach dem obigen Schema gemacht werden und die Bestätigung zum Verlag enthalten. Änderungsaufforderungen zu Meldungen, bei denen das nicht der Fall ist, werden nicht mehr verschickt!
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Sandra Niermeyer: „Blutiges Weihnachtswochenende“, Kaufmann Verlag 2023, Adventskalenderkrimi mit Seiten zum Auftrennen
NEUES AUS DER BUCHSZENE (
Wir leben in turbulenten Zeiten, die Buchbranche ist in Bewegung wie nie zuvor. Ob es nun um KI geht, die zunehmende Digitalisierung des Marktes oder all die neuen Chancen und Möglichkeiten, die sich Verlagsautoren und professionellen Selfpublishern bieten: Eine Nachricht jagt die nächste. Damit ihr den Überblick behaltet und nichts Wichtiges verpasst, fassen wir hier alle interessanten Links zusammen, die uns jeden Monat ins Auge fallen - natürlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Verlage / Buchhandel
Umfrage: Jeder vierte unabhängige Verlag schätzt seine Lage als schlecht ein.
Media Control bescheinigt Hörbuch-Markt weiteres Wachstum.
Ingo Kretzschmar verteidigt Thalia in der „Zeit“.
Literaturagenturen
Christine Härle und Ulrike Schuldes gründen eigene Literaturagenturen.
Künstliche Intelligenz
Self-Publisher sollen KI-Einsatz offenlegen – wie sinnvoll ist Amazons neue Richtlinie?
Buchmessen
75. Jubiläum der Frankfurter Buchmesse.
Kultur / Literaturszene
Die Sonntagsfrage: Shortlists ohne Indies – braucht es die Initiative #indieszählen, Ludwig Lohmann?
„Er ist keiner von uns!“ – BookTok-Community gegen Denis Scheck bei den BookTok-Awards.
Preise / Auszeichnungen
Deutscher Kinderbuchpreis 2023 für „Karlchen hilft allen, ob sie wollen oder nicht“.
LESER*INNENBRIEFE (
Im Juli-Tempest hat Hans Peter Roentgen die Entscheidung in Baden-Württemberg diskutiert, nach der ein Text wegen des N-Worts aus der Abiliste entfernt wurde. Wir haben euch gebeten, eure Meinung zu dem Thema zu sagen - hier eine weitere Wortmeldung dazu. Schreibt uns gern weiter!
Philip Grigoleit:
Der letzte Beitrag von Christian Hornstein setzt Bemühungen um sprachsensible Literaturausgaben mit der Bücherverbrennung der Nationalsozialisten gleich. Natürlich ganz vorsichtig als Frage formuliert, um unangreifbar zu bleiben. Ist also (eventuell überzogene) Rücksichtnahme das Gleiche wie ein faschistisches Regime, in dem Intellektualität, Menschlichkeit und Mitgefühl ausgetilgt werden sollte? Diese Verkürzungen sind rhetorische Tricks der neuen Rechten, die sich als Opfer einer Cancel Culture sieht. Wenn Freud, Brecht und Arendt verbrannt werden, weil sie den Geist einer vermeintlichen Volksgemeinschaft entstellen, entspricht das wirklich dem Verzicht auf das N-Wort?
Ich schreibe euch nicht, weil ich die richtige Haltung zu sprachsensibler Literatur biete. Aber die Relativierung, Neukontextualisierung von Naziverbrechen erscheint mir doch geschichtsvergessen. Heinrich Heine hatte ja eine Vorahnung, als er prophezeite: Wo Bücher brennen, brennen bald auch Menschen. Herr Hornstein soll nicht zu viel unterstellt werden, nur der Beitrag irritierte mich sehr.
AUTORENWISSEN (
„Drei Fassungen einer Szene“
von Hans Peter Roentgen
Auch Lektoren benötigen Lektorate und Testleser. Und was dabei herauskommt, möchte ich euch an einem Beispiel zeigen. Ich hatte eine Szene für mein Romanprojekt „Stimmen“ geschrieben, eine Geschichte über einen Jungen, der depressiv wird. Und die erste Fassung sah so aus:
1
Das Krankenhaus war ein riesiger Betonklotz mit einem bisschen Grün davor. Und einem Eingang mit Glastüren. Opa musste hier gestorben sein, aber damals durfte ich nicht mit. „Das ist nichts für Kinder“, meinte Mama, obwohl ich bettelte. „Nachher hast du nur Alpträume.“ Erwachsene denken immer, sie müssten alles von Kindern fernhalten.
Zur Beerdigung durfte ich mit. Dabei hätte ich ihn gerne noch mal lebendig gesehen. Ein Trauerredner erzählte über Opa, einer, der er ihn nie gekannt hatte. Eine Blaskapelle spielte und später sagte Mama, dass sie „Ich hatt‘ einen Kameraden“ gespielt hatten. „Alles alte Kriegskameraden“, fügte sie hinzu und schüttelte sich. „Dabei ist der Krieg fünfzig Jahre vorbei.“
Am Grab konnte ich nicht weinen. Überhaupt nicht, und ich war auch nicht traurig. Das war nicht normal, dass ich nicht am Grab weinen konnte, das wusste ich, ich hatte ein schlechtes Gewissen deswegen. Dabei hatte ich Opa geliebt!
Das Totenessen war in Opas Haus. Alle Leute saßen an dem Tisch im Esszimmer. Opas großer Lehnstuhl, auf dem er immer am Tischende gesessen hatte, war fort, damit mehr Platz am Tisch war. Viele Menschen, die meisten kannte ich nicht, drängten sich um den Tisch. Da, als sein Stuhl weg war, an dem er immer saß, da bin ich aufs Klo gerannt und habe geweint. Weil ich plötzlich gemerkt hatte, er ist jetzt fort und ich werde ihn nie wiedersehen. Und die Leute waren am Grab ernst und jetzt wurden sie fröhlich. Und ich saß auf dem Klo und weinte.
Und jetzt habe ich eine Aufgabe für Sie.
Übung:
Nehmen Sie Bleistift und Papier, und schreiben Sie auf, wie dieser Text auf Sie wirkt. Ohne lange zu überlegen. Ohne Ausflüge in die Literaturwissenschaft.
Meine Lektorin Sonja Puras schrieb mir dazu: „So, wie du die Opa-Situation beschreibst, wirkt sie auch einfach nicht. 'Bin aufs Klo gegangen zum Heulen' berührt schon deshalb nicht, weil 'Heulen' ein abwertendes Wort ist. Details könnten das spannend machen, menschlich wie literarisch.“
Zu karg also. Weckt wenig Bilder. Ich höre auf meine Lektorin. Jedenfalls meistens. Und deshalb gab es einen zweiten Entwurf:
2
Das Krankenhaus war ein riesiger Betonklotz mit einem bisschen Grün davor. Und einem Eingang mit Glastüren. Opa musste hier gestorben sein, aber ich durfte nicht mit.
„Das ist nichts für Kinder“, meinte Mama, obwohl ich bettelte. „Nachher hast du nur Alpträume.“
Erwachsene denken immer, sie müssten alles von Kindern fernhalten, und sie haben immer Sprüche, um das zu begründen. Irgendwo muss es einen Sprücheladen geben, aus dem sie ihre beziehen.
Zur Beerdigung durfte ich mit. Dabei hätte ich ihn gerne noch mal lebendig gesehen. Stattdessen lief ich in einer langen Reihe schwarz gekleideter Gestalten hinter der Urne mit seiner Asche her. Ich war auch ganz in Schwarz, Mama hatte mir am Tag vorher einen neuen Anzug gekauft. Obwohl der alte blaue mir noch gepasst hätte, den ich immer in die Kirche trug. Diese kleine Urne war alles, was von Opa geblieben war. Von dem Mann, der mir die Welt erklärte, wenn ich es wollte, aber nicht auf mich einredete, wenn ich es nicht wollte.
Ein Trauerredner erzählte über Opa, einer, der er ihn nie gekannt hatte. Eine Blaskapelle spielte, sie spielte langsam und immer langsamer, und es waren ja auch alles alte Männer. Später sagte Mama, dass sie „Ich hatt‘ einen Kameraden“ gespielt hatten.
„Alles Kriegskameraden“, fügte sie hinzu und schüttelte sich. „Dabei ist der Krieg fünfzig Jahre vorbei.“
Am Grab konnte ich nicht weinen. Überhaupt nicht, und ich war auch nicht traurig. Mama weinte, Papa schnäuzte sich immer wieder und wischte sich die Augen. Meine Tante weinte und andere auch. Nur ich nicht. Dabei hatte ich Opa geliebt! Das war nicht normal, dass ich nicht am Grab weinen konnte, das wusste ich.
„Du hast geweint“, sagte ich auf dem Rückweg zu Mama.
„Ja“, sagte sie. „Und du nicht.“
„Jungs weinen nicht“, sagte Papa und schnäuzte sich.
Das Totenessen war in Opas Haus. Alle Leute saßen an dem Tisch im Esszimmer. Opas großer Lehnstuhl, auf dem er immer am Tischende gesessen hatte, war fort, damit mehr Platz am Tisch war. Viele Menschen, die meisten kannte ich nicht, drängten sich um den Tisch.
Da, als sein Stuhl weg war, an dem er immer saß, da bin ich aufs Klo gerannt und habe geweint. Weil er fort war und ich ihn nie wiedersehen würde. Den Mann, der mich letztes Jahr gefragt hatte: „Was wünschst du dir zu Weihnachten?“
Und ich sagte: „Die schwedische Schnellzuglokomotive.“
„Das ist ja ein großes Geschenk“, sagte er. „Das kann man nicht auf einmal bekommen. Da gibt es erst mal die Räder, die sind bei Lokomotiven ja riesig.“
Ich musste lachen, aber fragte mich, würde er sie mir schenken?
Zwei Wochen später bekam ich eine Erkältung: Und im Bett versuchte ich mir aus Pappe Räder, Sichtfenster und anderes auszuschneiden, weil ich daran dachte, was er mir gesagt hatte.
Und die Leute, die am Grabe geheult oder ernst geschaut hatten, wurden beim Essen fröhlich. Und ich saß auf dem engen Klo und weinte. Ich war nicht normal. Opa hatte mir mal erzählt, dass er hier ab und zu geraucht hätte, als der Arzt ihm das Rauchen verboten hatte und er nicht widerstehen konnte.
Übung:
Nehmen Sie wieder Bleistift und Papier, und schreiben Sie auf, wie Fassung 2 auf Sie wirkt. Ohne lange zu überlegen. Ohne Ausflüge in die Literaturwissenschaft.
Sie ahnen es vermutlich schon: Meine Lektorin ist nie zufrieden und sagte: „Ja, das ist schon viel besser. Es wird zwischen den Zeilen deutlich, dass du nicht nur um den Opa weinst, sondern auch, weil du so allein bist. Die anderen weinen und essen gemeinsam, du stehst außerhalb und spürst, dass du deinen Opa nur sehr ausschnitthaft kanntest. Das überträgt sich und könnte verstärkt werden, indem du den verschwundenen Lehnstuhl durch ein, zwei beschreibende Details 'anleuchtest'.
Grundsätzlich erzählst du für meinen Geschmack zu detailarm. Was hattest du an auf der Beerdigung, war es schwarz, unbequem, roch nach Mottenkugeln? Wie viele Leute sind auf der Beerdigung, wie viele Bläser? Wie viele Kränze liegen da? Ist es ein Sarg oder eine Urne? Was gibt es zu essen, kannst du was essen? Wie sieht das Klo bzw. Bad aus?
Du könntest alles noch deutlich lebendiger machen. Den Film ablaufen lassen. Denk an Nabokovs göttliches Detail.“
3
Das Krankenhaus war ein riesiger Betonklotz mit einem bisschen verhungertem Grün davor. Und einem Eingang mit Glastüren. Opa musste hier gestorben sein, aber damals durfte ich nicht mit hinein. „Das ist nichts für Kinder“, meinte Mama, obwohl ich bettelte. „Nachher hast du nur Alpträume.“
Erwachsene denken immer, sie müssten alles von Kindern fernhalten, und sie haben immer Sprüche, um das zu begründen. Irgendwo muss es einen Sprücheladen geben, aus dem sie ihre beziehen. Ein Sprücheladen nur für Erwachsene, die sie benötigen, um Kinder still zu halten. Noch heute reagiere ich allergisch, wenn jemand solche Sprüche benutzt.
Zur Beerdigung durfte ich mit. Dabei hätte ich Opa gerne noch mal lebendig gesehen. Ein Trauerredner erzählte über Opa, einer, der er ihn nie gekannt hatte. Eine Blaskapelle spielte, sie spielte langsam und immer langsamer und es waren ja auch alles alte Männer. Später sagte Mama, dass sie „Ich hatt‘ einen Kameraden“ gespielt hatten.
„Alles Kriegskameraden“, fügte sie hinzu und schüttelte sich. „Dabei ist der Krieg fünfzig Jahre vorbei.“
Am Grab konnte ich nicht weinen. Überhaupt nicht und ich war auch nicht traurig. Mama weinte, Papa schnäuzte sich immer wieder und wischte sich die Augen. Meine Tante weinte und andere auch. Nur ich nicht. Dabei hatte ich Opa geliebt! Das war nicht normal, dass ich nicht am Grab weinen konnte, das wusste ich.
„Du hast geweint“, sagte ich auf dem Rückweg zu Mama.
„Ja“, sagte sie. „Und du nicht.“
„Jungs weinen nicht“, sagte Papa und schnäuzte sich.
Das Totenessen war in Opas Haus. Alle Leute saßen an dem Tisch im Esszimmer. Opas großer Lehnstuhl, auf dem er immer am Tischende gesessen hatte, war fort, damit mehr Platz am Tisch war. Viele Menschen, die meisten kannte ich nicht, drängten sich um den Tisch.
Da, als sein Stuhl weg war, an dem er immer saß, da bin ich aufs Klo gerannt und habe geweint. Weil er fort war und ich ihn nie wiedersehen würde. Den Mann, der mich letztes Jahr gefragt hatte: „Was wünschst du dir zu Weihnachten?“
Und ich sagte: „Die schwedische Schnellzuglokomotive.“
„Das ist ja ein großes Geschenk“, sagte er. „Das kann man nicht auf einmal bekommen. Da gibt es erst mal die Räder, die sind bei Lokomotiven ja riesig.“
Ich musste lachen, aber fragte mich: Würde er sie mir schenken?
Zwei Wochen später bekam ich eine Erkältung. Im Bett versuchte ich mir aus Pappe Räder, Sichtfenster und anderes auszuschneiden, weil ich daran dachte, was er mir gesagt hatte. Und ich versuchen wollte, mir eine Lokomotive und Wagen zu bauen. Das schaffte ich natürlich nicht.
Die Leute, die am Grabe geheult oder ernst geschaut hatten, wurden beim Essen fröhlich. Und ich saß auf einem engen Klo und weinte. Ich war nicht normal. Opa hatte mir mal erzählt, dass er hier ab und zu geraucht hätte, als der Arzt ihm das Rauchen verboten hatte und er nicht widerstehen konnte. Das Klo hatte ein kleines Kippfenster.
Übung:
Nehmen Sie Bleistift und Papier und schreiben Sie auch für die dritte Fassung auf, wie sie auf Sie wirkt.Und ich habe noch eine Übung für Sie:
Drucken Sie alle drei Fassungen aus. Markieren Sie die Stellen, die unterschiedlich sind. Und schreiben Sie auf, was diese Unterschiede Ihrer Meinung nach bewirken.
Nein, ich will Sie nicht quälen. Aber am meisten lernen Menschen (auch ich) durch Beispiele anderer.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg beim eigenen Überarbeiten und dass Sie tolle Testleser und Lektorinnen finden mögen.
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Hans Peter Roentgen ist Autor der Bücher "Vier Seiten für ein Halleluja" über Romananfänge, "Drei Seiten für ein Exposé", „Schreiben ist nichts für Feiglinge“ und "Klappentext, Pitch und weiteres Getier". Außerdem hält er Schreibkurse und lektoriert.
BUCHBESPRECHUNG (
„Handbuch Übersetzungslektorat“
besprochen von Nora-Marie Borrusch
Das Handbuch Übersetzungslektorat ist in vielerlei Hinsicht ein interessantes Projekt. Auf Anfrage des BdÜ (Übersetzer*innen) beim VfLL (Lektor*innen) haben rund dreißig Lektor*innen ein Handbuch geschrieben, das eine Leerstelle auf dem deutschen Markt füllt.
Die Vielfalt macht diesen Sammelband zu einem ganz besonderen Schmankerl. Da wären zum Ersten die Textsorten, die zwischen Erfahrungsbericht und (populär)wissenschaftlicher Darstellung changieren. Auch die behandelten Themen decken zahlreiche Gebiete ab, vom Übersetzungslektorat unterhaltender Genres (Phantastik, Kinderbuch, Anleitung für Spiele aller Art) über Besonderheiten von Lyrikübersetzungen und deren Lektorat bis hin zum Umgang mit übersetzter Fachliteratur. Dabei liefern die Autor*innen Einblicke ins Übersetzungslektorat vieler Sprachen, nicht nur des Englischen.
Die Bandbreite der behandelten Themen wird ergänzt um Artikel zur Zusammenarbeit von Übersetzer*innen und Lektor*innen, zum Übersetzungslektorat maschineller Übersetzungen und zur Vor- und Nachbereitung eines Übersetzungslektorats – etwa durch Honorarkalkulation, Empfehlungen zu weiterführender Literatur oder möglichen Fortbildungen. Eine Liste hilfreicher Tools rundet das Ganze nutzbringend ab.
So ist das Buch einerseits geeignet, um Übersetzer*innen und Übersetzungslektor*innen den Zugang zum Übersetzungslektorat zu schaffen und schmackhaft zu machen, es erläutert aber gleichzeitig auch Fortgeschrittenen das Prozedere und die Besonderheiten der Arbeitsschritte, Textsorten und Sprachen.
Die Vielfalt sorgt allerdings auch für den einzigen Makel aus meiner Sicht: In vielen Texten kann das Thema nicht erschöpfend behandelt werden, und man hätte gern mehr darüber erfahren.
Nichtsdestotrotz möchte ich das Buch wärmstens empfehlen. Denn aufgrund seiner Vielseitigkeit wird es für alle gewinnbringend sein, die sich mit Übersetzungslektorat beschäftigen oder beschäftigen möchten, sei es als weiteres Standbein neben dem Schreiben oder um den Bearbeitungsprozess der Übersetzung eigener Texte nachvollziehen zu können.
VfLL e. V. (Hrsg): „Handbuch Übersetzungslektorat“, BdÜ Fachverlag 2023, 190 Seiten, 43 Euro
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Nora-Marie Borrusch ist freie Lektorin beim VfLL, gibt Seminare zu Fantasy-Lektorat und Monsterkonzeption und promoviert über Mittelalter-Rock. Mehr unter www.lektorat-agapenna.com.
DREI FRAGEN (
Mehr als zweitausend Tempest-Leser*innen – da liegt ein enormer Erfahrungsschatz verborgen, ob es nun ums Schreiben selbst geht oder um das Finden eines Verlags. Diesen Schatz möchten wir ausgraben und mit unserer neuen Rubrik zugänglich machen. Gewaschen, geschliffen und poliert, fürs sofortige Tragen ... äh ... Umsetzen.
Jeden Monat beantworten hier Autor*innen, die bereits in einem Verlag veröffentlicht haben, drei Fragen, und zwar kurz und knapp. Wenn du dich auch beteiligen möchtest: Kopier dir die drei Fragen aus dem Text, und schick sie mit deinen kurzen (!) Antworten an:
„Katja Keweritsch“
1. Wie hast du bei deiner ersten Veröffentlichung einen Verlag gefunden? Und falls es über eine Agentur war, wie hast du sie von deinem Manuskript überzeugt?
Ich habe meinen ersten Roman an viele Agenturen rausgeschickt, gezittert und gehofft. Schließlich hat Dorothee Schmidt von der Literarischen Agentur Schmidt mich unter Vertrag genommen, weil sie Potenzial in meinem Schreiben gesehen hat. Die Geschichte selbst haben wir nie bei einem Verlag unterbringen können, aber ich habe in dieser Zeit viel gelernt und mich weitergebildet. Bei meinem zweiten Manuskript hat sich die Lektorin von Diana dann an meinen Namen und meinen Schreibstil erinnert und mich unter Vertrag genommen.
2. Was ist dein ultimativer Schreibtipp oder deine liebste Kreativ-Übung?
Gehen. Mir hilft es gar nicht, mit glühendem Kopf vor dem Bildschirm zu sitzen und zu grübeln. Am besten funktioniert ein Spaziergang, bei dem nicht nur ich, sondern auch die Gedanken in meinem Kopf in Bewegung kommen.
3. Nenne deinen wertvollsten Schreibratgeber (als Buch, Person oder Internetseite).
Ich mag „Rette die Katze“ von Blake Snyder. Es geht zwar ums Drehbuchschreiben, aber ich denke beim Schreiben von Büchern ja genauso in Bildern. Darüber hinaus glaube ich: Um schreiben zu lernen, hilft nur schreiben. Am besten täglich.
Zur Autorin
Ich bin Ethnologin und Journalistin und habe inzwischen zwei belletristische Romane veröffentlicht: „Die wundersame Reise der Bienen“ und „Agnes geht“. Meine Website https://katjakeweritsch.de , Instagram: @katjakeweritsch
UNSERE EXPERTINNEN UND EXPERTEN
Bitte schickt den Expert*innen nur Fragen zu ihrem Expertenthema - keine Manuskripte zur Beurteilung. Bitte verseht jede Anfrage mit einem aussagekräftigen Betreff. Sonst kann es sein, dass die Mail vorsichtshalber gelöscht wird.
Fragen (anonymisiert) und Antworten werden in der Regel hier im Tempest veröffentlicht, damit auch andere Autor*innen davon lernen können. Wer das aber nicht möchte, schreibt das bitte ausdrücklich dazu.
Drehbuch | Oliver Pautsch | |
Fantasy | Stefanie Bense | |
Heftroman | Arndt Ellmer | |
Historischer Roman | Titus Müller | |
Kinder- und Jugendbuch | Sylvia Englert | |
Kriminalistik | Kajo Lang | |
Lyrik | Martina Weber | |
Marketing | Maike Frie | |
Sachbuch | Gabi Neumayer | |
Schreibaus- und -fortbildung | Uli Rothfuss | |
Schreibhandwerk | Ute Hacker | |
Science-Fiction | Andreas Eschbach |
Veranstaltungen, Ausschreibungen, Publikationsmöglichkeiten, Messen und Seminare findet ihr im zweiten Teil des Tempest, den ihr separat abonnieren müsst.
Einsendeformalien
Einsendungen sind zu allen Rubriken von autorenforum.de - nach Rücksprache - erwünscht. Das Urheberrecht verbleibt bei der Autorin bzw. beim Autor.
Einsendungen bitte im RTF-Format und per E-Mail, und zwar an:
Herausgeber*innen
Gabi Neumayer (
Ramona Roth-Berghofer (
Stefan Schulz (
Thomas Roth-Berghofer (
Jürgen Schloßmacher (
„The Tempest“ ist ein kostenloser Newsletter für Autor*innen. Abonnent*innen sind herzlich aufgefordert, den Newsletter weiterzugeben oder nachzudrucken, solange alle Urheberrechte beachtet werden (Näheres s. http://www.autorenforum.de/ueber-uns) und der VOLLSTÄNDIGE Newsletter weitergegeben wird. Ansonsten bitten wir darum, mit der Redaktion Kontakt aufzunehmen.
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