Ich habe noch nie professionell geschrieben, weshalb ich meinen Roman nach "Rezept" schreibe (ich hab mich für die Schneeflocken-Methode von Randy Ingermanson entschieden).
Doch auch wenn ich nach "Vorlage" arbeite, so tauchen doch immer wieder Fragen auf, die man als Anfänger selbst nicht lösen kann. [...]
1. Ist es möglich, Fantasy und Science-Fiction erfolgreich miteinander zu vermischen, ohne dass es dem Leser auffällt? Bei mir spielt die Geschichte im zukünftigen Europa, doch Europa ist als solches nicht zu erkennen. Der Leser glaubt, sich in einer Fantasy-Welt mit magischen Wesen zu befinden. Dies soll auch so sein, doch: Ist es ratsam, dem Leser von Anfang an klar zu machen, dass der Roman in unserer zukünftigen Welt spielt, um ihn nicht zu verwirren? Denn meine Idee ist es, es dem Leser erst nach und nach zu enthüllen, jedoch wird er am Schluss nicht mit Sicherheit sagen können, ob sich das Ganze nun wirklich in unserer Welt abgespielt hat oder nicht.
2. Ist es für einen Anfänger wie mich möglich, den Roman aus drei verschiedenen Perspektiven zu erzählen? Wie mach ich das am Besten, ohne den Leser zu langweilen oder zu verwirren? [...]
3. Was ist für sie, als Fantasy-Expertin, Fantasy? Wie definieren Sie diesen Begriff? Und vor allem, wo vermischen sich Ihrer Meinung nach die Grenzen von Fantasy und Science-Fiction?
Zunächst einmal: Jede/r Autor/in schreibt nach einem „Rezept“ – zumindest nach ihrem eigenen. Alle suchen sich aus dem, was sie erfahren, sich erarbeiten und woanders abschauen, eine Werkzeugsammlung, die für sie funktioniert. Bei mir funktioniert eine Mischung aus Orson Scott Cards MICE-Methode, Campbells Heldenreise, Bickhams Scene-Structure-Methode und etliche Einzelstrategien wie z. B. die Geschwätzvermeidungsstrategie für den Dialog von Elizabeth George. Ingermanson stellt mit seiner Schneeflockenmethode ebenso einzelne Werkzeuge zusammen, die es bereits gab. Er macht (nur?) einen Ablauf daraus.
Da ich mich schlecht nur auf Charaktere oder Handlung konzentrieren kann, wachsen beide bei mir parallel statt nacheinander in der Planungsphase des Romans. Beim Schreiben kann sich dann noch einiges ändern, aber die groben Eckdaten, Spannungsbögen und Plotstrukturen liegen bereits fest.
Ein Werkzeugkasten ist keine Vorlage! Eine Vorlage würden Sie nutzen, falls Sie aus einem Fantasy-Roman die Struktur übernehmen, z. B.: Harry Potter – Ihr Held ist jung und wächst ungeliebt bei Verwandten auf, er hat eine besondere Fähigkeit und wird zur Ausbildung „eingezogen“. Er kommt in ein Institut, in dem er sich zurechtfinden und beweisen muss, und stört dabei einen mächtigen Gegner auf. In vielen Abenteuern lernt er seine Fähigkeit zu beherrschen und anzuwenden, lernt, mit dem Verlust seiner Eltern umzugehen, und wird eine eigenständige Persönlichkeit, die den Feind im Showdown bezwingt – kurz: eine Entwicklungsgeschichte vom Underdog zum Helden.
Nun zu den Fragen:
zu 1:
Klar, man kann Fantasy und Science-Fiction mischen. Gibt es auch schon: Marion Zimmer Bradley hat es in den Achtzigern mit ihren Darkover-Romanen getan: die ersten sind sehr fantasymäßig, die anderen werden schnell SF; aber die Grundlage ist klar Social-Science-Fiction (wie entwickelt sich eine abgeschnittete menschliche Kolonie unter Psi-Einfluss der Einheimischen?). Susanne Gerdom („Anidas Prophezeiung“) arbeitet damit, dass hinter einer Fantasy-Welt die Realität SF steht, also SF-Figuren mit hochtechnischen Waffen und Geräten im Fantasy-Ambiente auftauchen. Mich hat das beim Lesen sehr gestört, weil die Fantasy-Welt der Hauptheldin sehr intensiv gezeichnet wurde und ich es als Fantasy gekauft hatte.
Dem Leser wird eine solche Mischung immer auffallen. Es ist nur die Frage, ob der Leser die Mischung „schluckt“ bzw. ob es ihm gefällt, solche Mischgenres zu lesen. Mich, ehrlich gesagt, stört es, wenn ich einen Fantasyroman angefangen habe, dann eine SF-Lösung vorgesetzt zu bekommen. Es ist sehr viel schwieriger, SF und F glücklich und nahtlos miteinander zu verweben, als sich auf ein Genre zu beschränken.
Zur Unterscheidung: In einer Fantasy-Welt funktioniert Magie, sie ist sogar so essentiell, dass die Story zusammenbrechen würde, wenn man sie streichen müsste, eventuell gibt es Fabelwesen und Götter als selbständige Figuren, aber relevant sind sie selten; dagegen geht SF von einer technisierten Welt aus, extrapoliert von heutigen Entwicklungen, und auf keinen Fall funktioniert dort Magie, alles ist naturwissenschaftlich erklärbar.
Was Sie mit Ihrer Weltenkonstruktion beschreiben, ist keine SF, sondern ein post-apokalyptisches Szenario. Das kann Hintergrund für SF wie für Fantasy sein. Etwa: Moorcocks Elric von Melniboné lebt ebenso in einem apokalyptischen Land, doch durch sein Seelentrinker-Schwert, die Verwicklung mit Göttern (die aktive Figuren sind) und seine Magie ist es eindeutig Fantasy.
Aus Ihrer Beschreibung der Weltkonzeption habe ich keine Fantasy-Elemente herauslesen können. Nur exotische Tiere oder Wesen reichen nicht, um etwas zur Fantasy zu machen. Welche Art von Magie funktioniert in Ihrer Welt? Wo ist sie entscheidend für die Story?
Vampire z. B. sind keine Magier, sie sind unsterblich (fast) und sicherlich besonders stark und anziehend – aber es sind Figuren aus dem Horrorgenre, nicht der Fantasy. Sie benötigen keinerlei Magie, um zu funktionieren. Auch wenn jetzt die Definitionen durch Verkaufsstrategien der Verlage und unsaubere Etikettierungen aufgeweicht werden und Vampirromane unter „Dark Fantasy“ oder „Romantic Horror“ vermarktet werden.
zu 2:
Drei Perspektiven zu verwenden kann eine Erleichterung sein, wenn z. B. die Story in verschiedenen Ebenen (geografisch, zeitlich o. a.) spielt. Dann kumulieren die drei Perspektiven zum Schluss, damit sie die Lösung der Story ergeben. Drei Perspektiven können jedoch auch schwierig sein, wenn die Struktur der Story sie nicht verlangt, z. B., wenn alle eine gemeinsame Heldenreise unternehmen, denn alle drei Perspektivfiguren brauchen eine eigene Stimme, eigene Motive, Ziele, Wünsche und Handlungsweisen. Außerdem verteilt man das Leserinteresse von einer Figur auf drei – das ist haarig, weil man sich leichter mit einer Figur als mit dreien identifiziert; also kann der Leser eher eine Lieblingsfigur wählen und ungeduldig werden, wenn die anderen Perspektiven erzählt werden.
Als Erstes machen Sie sich klar, wozu Sie drei Perspektiven benötigen. Müssen Dinge erzählt werden, die nicht aus der Sicht der Hauptfigur erzählt werden können, weder durch Informationen im Dialog noch durch eigenes Erleben? Könnte man das anders lösen?
Falls drei Perspektiven absolut unabdingbar sind, entwerfen Sie unterschiedliche Figuren, geben Sie ihnen eine relevante Aufgabe in der Story, legen Sie deren Motive, Stärken, Schwächen, Handlungsweisen und Erzählstimme fest. Achten Sie darauf, dass die Stimme nicht zu übertrieben gerät (Dialekt, unlesbare Verstümmelungen oder Weitschweifigkeit ...). Achten Sie auch darauf, dass jede Figur etwas Relevantes leisten muss, damit man sie nicht ersatzlos streichen kann. Etwa: Wenn Figur A nicht lernt, Magie anzuwenden, kann sie Figur B nicht retten – und B würde sterben.
Wenn Sie die Figuren ausgearbeitet haben, stricken Sie die Verknüpfung. Was haben die Figuren miteinander zu tun? Wo entstehen Bündnisse, Gegner- und Feindschaften, Lieb- und Freundschaften? Wo kreuzen sich Stärken und Schwächen, ergänzen sich oder heben sich auf? Wie, wie oft, in welcher Reihenfolge und zu welchen Spannungspunkten in der Story sollen sie sich treffen, mit welchem Ziel und welchem Ergebnis?
Dann entwerfen Sie für jede Perspektive – die ja auch Erzählstränge sind – einen Spannungsbogen. Figur A will dies, muss etliche Hindernisse überwinden, kämpft mit XYZ, wird gefangen und erreicht schließlich ihr Ziel. Figur B will etwas anderes, muss sich gegen JKL durchsetzen, muss sich einige Hilfsmittel erkämpfen und … Figur C will die Welt retten, muss sich erst aus dem Sklavendasein kämpfen, muss fliehen, muss sich gegen RST wehren, findet ihre Fähigkeiten, und mit ihrer Hilfe ...
Diese drei Stränge müssen dann zu einem Strang verwoben werden. Es muss ein Ganzes ergeben. Die drei dürfen sich nicht einfach nur zum Showdown treffen, es sei denn die Story braucht es so. Das heißt, dass Sie Verknüpfungen schaffen müssen, ohne die die Story nicht funktioniert.
Beispielsweise: Figur A bringt ihren Gegner dazu zu fliehen, dadurch stößt der Gegner in einer anderen Stadt auf Figur B, die dabei ist ..., während Figur C dem Gegner hilft, weil ... Es können Überschneidungen, kausale Abhängigkeiten und Konsequenzen, Parallelen (eine Figur reitet über Land, die andere wird in der Stadt vom Pferd niedergetrampelt), Abfolgen oder Verschränkungen sein. (Das wird eine Menge Arbeit!)
Noch ein Tipp: Machen Sie sich zwischendurch immer mal klar, wenn Sie eine Perspektive schreiben, was die anderen beiden gerade tun / erleben. Es mag Sie aus Ihrer Schreib-Perspektive reißen, ist aber notwendig, um die Abläufe möglichst gut aufeinander abzustimmen.
Wenn ich hier mal Reklame für ein Produkt von „einer von uns“ machen darf: Gabi Neumayer hat drei Perspektiven in ihrem SF-Roman „Als die Welt zum Stillstand kam“ verwendet: ein Mädchen, zwei Jungen – alle recht unterschiedlich, mit eigener Stimme, alle auf ein Ziel zusteuernd, jede/r mit eigener Story und eigenem Verhalten, jede/r muss etwas lernen, etwas ablegen, etwas erkämpfen, damit sie letztendlich zur Lösung beitragen können.