Ich habe bisher einige Kurzgeschichten geschrieben und traue mich nun an einen deutschsprachigen Roman heran. Es handelt sich um eine Fantasygeschichte, die in einem alternativen Universum in der Zukunft spielt. Die eigentlichen Ereignisse des Romans finden aber etliche Jahrhunderte nach sehr wichtigen Begebenheiten statt, die sich über zwei bis drei Jahrhunderte ziehen und von denen der Leser aber wissen müsste. Da ich viel Arbeit in die Hintergrundgeschichte gesteckt habe, und weil ich möchte, dass der Leser bereits vor dem ersten Kapitel, d. h. vor Beginn der eigentlichen Handlung, ein bestimmtes Gefühl einer allgegenwärtigen Bedrohung spürt – als direkte Konsequenz zu der erwähnten Vorgeschichte also.
Nun habe ich mich aber durch diverse Artikel und Literaturbücher dieses Thema betreffend durchgewühlt, und es scheint, dass Prologe mehr als fragwürdig sind. Ich hatte vor, eine Art Rückblende anhand von chronologisch aufgeführten Ausschnitten aus einem fiktiven "Geschichtsbuch" zu erstellen, anhand derer dem Leser auf einigen wenigen Seiten die markanten Abschnitte der besagten Jahrhunderte erzählt werden. Anhand dieser Retrospektive hätte ich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Der Leser wüsste über die Geschichte des Universums Bescheid und wie es zu der momentanen Situation kommen konnte; und das bereits erwähnte Gefühl aufkommenden Übels wäre von Anfang an präsent und der Leser würde die Aktionen der Figuren aus einem anderen Winkel betrachten, anders bewerten.
Ich habe mir überlegt, diese Informationen im Laufe des Romans durchsickern zu lassen, jedoch ist die Geschichte zu komplex, um sie in einem oder mehreren simplen Dialogen darzustellen. Außerdem könnte der Leser den Zusammenhang zwischen den Einzelteilen nicht mehr erkennen und möglicherweise den Überblick verlieren.
Gibt es eine andere Methode, dieses Problem zu umgehen, oder ist man manchmal wirklich auf Prologe angewiesen? Ich wäre eher dagegen, jedoch scheint es mir die naheliegendste Lösung zu sein, den Leser über die ersten paar Seiten mit gezielten Informationen auf das vorzubereiten, was ihn erwartet, anstatt dies tröpfchenhaft nachzuholen.
So wie ich deine Anfrage lese, hast du zwei Schwierigkeiten:
1. Wie verpacke ich meine Weltenbau- und Geschichtsinformationen? Als Prolog?
2. Wie vermittle ich von Anfang an eine bedrohliche Atmosphäre, die sich aus der Geschichte ergibt?
Du hast dich schon informiert: Prologe sind tatsächlich ein zweischneidiges Schwert, denn der Autor fängt aus Lesersicht zweimal mit der Story an, nämlich im Prolog und im folgenden ersten Kapitel. Das bedeutet für den Autor, dass man zweimal den "Haken auswerfen" muss, zweimal einen packenden, spannenden und lebendigen Anfang schreiben muss – und den Leser nicht gleich in die Geschichte werfen kann.
Frag dich selbst: Was möchtest du lesen, wenn du ein Fantasy-Buch aufschlägst? Chroniken, lange Listen der Figuren oder ihrer Abstammung, Weltenbeschreibungen, historische Abhandlungen oder lieber eine spannende Stelle, an der die Hauptfigur schon in Bedrängnis gerät und ein Abenteuer besteht?
Ganz ehrlich: Ich ertrage Prologe nur, wenn sie mir eine Geschichte erzählen. Aber auch dann vergesse ich während des Lesens, was im Prolog passiert ist. Und das umso schneller, je interessanter, lebendiger und spannender die eigentliche Geschichte ab Kapitel 1 ist. Prologe, die mir mit Informationen kommen, überblättere ich, da ich ja noch nicht mal abschätzen kann, ob mir die Figuren nahekommen, ob mir die Story zusagt ... – typisches Leserverhalten. Also: Mach es deinen Lesern leicht, in die eigentliche Story hineinzukommen, und verpacke die Informationen anders.
Zu 1:
Möglich sind Prologe, wenn sie ein figuren- und weltbewegendes Ereignis zeigen (!) (nicht einfach referieren), das in der Story ganz wichtig und aktuell wird. Dennoch ist es fraglich (aus o. g. Gründen), diese Szenen voranzustellen. Was sollen sie nützen?
Auf keinen Fall solltest du reine Informationen im Prolog vermitteln wollen. Deine Rückblende chronologischer Ausschnitte aus einem fiktiven Geschichtsbuch wäre so ein Infodump. Egal wie gut du das aufbereitest, es bleibt Information, keine Szene, keine Handlung. Stell dir vor, du müsstest diese Informationen auf eine Theaterbühne bringen. Könnte man sie in Handlung umsetzen? (Ich wette: schwerlich.) Oder wäre es eher ein monologisierender Vortrag? (Wie gesagt: reine Info.)
George R. R. Martin benutzt wohlweislich szenische Prologe in seinem Zyklus "Feuer und Eis": Im ersten Buch begleitet der Leser Will (eine der Hauptfiguren) auf einer Patrouille der Nachtwache, während er, ein junger Lord und ein altgedienter Wächter Todesfälle untersuchen, die so nicht hätten vorkommen dürfen. Und: Diese Welt und die historischen und soziologischen Verflechtungen sind komplex, kompliziert und nicht leicht zu verstehen. Trotzdem steht das eigentliche Geschehen im Vordergrund. Es gibt keinen Infodump.
J. R. R. Tolkien fängt in seinem Epos "Herr der Ringe" mit viel Infomationen über Auenland, Hobbits und die Welt an – ganz ehrlich: Die ersten 80 Seiten sind recht langweilig, bis die Geschichte endlich losgeht, indem Gandalf bei den Hobbits auftaucht. Aber verlass dich nicht auf das, was ich meine, sondern vergleiche es selbst.
Trau deinen Lesern bitte mehr zu! Sie können diese Geschichtsinformationen während der eigentlichen Geschichte aufnehmen. Und zwar jenseits eines Dialogs mit "Wusstest du schon, dass ..." Dazu hast du mehrere Möglichkeiten:
– Du stellst jene (wenigen) Informationen, die die Figuren und Leser benötigen, jeweils in einen winzigen Geschichtsbuch-Ausschnitt (maximal ein Absatz) an den Anfang eines Kapitels. Dennoch rechne damit, dass dies nicht alle Leser lesen oder parat haben werden. Das bedeutet, dass du im Prinzip alle Informationen nochmals in die Story verpacken musst, wenn du willst, dass der Leser sie zu diesem Punkt hat. Und wenn du das schon machst, wozu benötigst du dann den vorangestellten Ausschnitt?
– Du verknüpfst die Informationen mit den Figuren. Das heißt, die Figuren haben geschichtliche Hintergründe, etwa einen (Ur-)Großvater, der in der Schlacht von X mitgekämpft und genug vom Krieg gesehen hat, um den kampflustigen Enkel zu schelten, oder eine Magierin, die Kontakt zu einer verstorbenen Großmeisterin pflegt, um von ihr den Kampf gegen Dämonen für die erneut drohende Schlacht zu lernen, obwohl Nekromantie verboten ist, oder ein Bettlerjunge, der herausfindet, dass seine Familie reich wäre, wenn nicht während der letzten hundert Jahre eine feindliche Familie sie systematisch ruiniert hätte. Solche Konstellationen bringen Konfliktstoff und beleben gleichzeitig das Hintergrundwissen. Der Leser muss es jedoch zusammen mit der Figur herausfinden, und es muss die Figur etwas kosten, das alles herauszufinden, es muss etwas auf dem Spiel stehen.
– Du verknüpfst die Informationen dort mit der Handlung, wo sie relevant für die Handlung werden. Beispiel: Der Bettlerjunge zieht aus, fernab der Feind-Familie ein Vermögen zu machen und seine Familie zu retten, gerät an einen Händler, der unter der Hand mit roten Edelsteinen handelt, doch das sind Blutsteine, die im Krieg gegen XYZ eingesetzt und magisch negativ besetzt sind. Der Bettlerjunge wird mit diesen Blutsteinen von Magiern gefangen genommen, der Händler hat sich längst aus dem Staub gemacht, man verhandelt gegen den Bettlerjungen wegen Hochverrats – hier sind die Infos wichtig, warum die Blutsteine verfemt sind und was sich daraus für Probleme für die Hauptfigur ergeben. Und man kann sie wunderbar in der Auseinandersetzung mit den Magiern, vor Gericht etc. anbringen.
Figuren können auch etwas Ungewöhnliches, zunächst Unlogisches tun, das sich nur durch den geschichtlichen Hintergrund erklären lässt. Dadurch verbindest du Motivationen der Figuren mit den Informationen. Natürlich dürfen sich die Figuren nicht einfach erklären: "Weil Urgroßvater damals bei den Goldenen Fürsten gekämpft hat, ihr wisst schon, als die Dämonenschlacht bei XYZ tobte, muss ich jetzt ...", sondern es muss Stück für Stück erarbeitet werden. Etwa, indem eine andere Figur die Informationen herauskitzelt oder indem die Figur etwas davon preisgeben muss, um eine weitere Katastrophe zu verhindern.
– Du gibst den Hauptfiguren ein Motiv, um selbst nach den Informationen zu suchen, die du vermitteln willst. Wenn es für sie bedeutsam ist (und für die Story), was auch immer herauszufinden und zu nutzen, dann ist es auch für den Leser interessant. Dabei dürfen die Figuren nicht einfach aus Interesse historische Bücher lesen oder in einem Archiv herumstöbern, sondern es muss etwas auf dem Spiel stehen, wenn sie die Informationen finden bzw. nicht finden.
– Die Figuren gehen ganz selbstverständlich mit den Informationen um. Sie sind ja nur für den Leser neu, nicht für die handelnden Figuren. Das bedeutet, dass sie sich nicht erklären, keine Rücksicht darauf nehmen, was der Leser weiß oder nicht weiß, und dass sie manchmal Unverständliches tun.
Trick: Es gibt eine Figur, die in diesem Zusammenhang (Land, Stadt, Magierkonvent) neu ist und eingeführt werden muss. Der Leser lernt zusammen mit dem Neuling, worum es geht. Am besten dadurch, dass der Neuling sich in Schwierigkeiten bringt, weil er die Gegebenheiten nicht kennt und ihn jemand heraushauen muss. Heißt: Setz die informative Einführung in Handlung um, nicht in statischen Dialog oder Monolog.
In den meisten (guten) Geschichten nutzen die Autoren eine Mischung all dieser handwerklichen Techniken.
Zu 2:
Eine bedrohliche, unheimliche Atmosphäre entwickelt sich nicht (!) aus Informationen, sondern aus Erleben von Situationen. Nur, weil du weißt, dass die Steuerfahndung hinter dir her ist, fühlst du dich nicht unmittelbar und konkret bedroht. Aber wenn du im Büro stehst und es „überfallen“ dich vierzehn Mann und tragen die Akten und Computer raus, nehmen dir sogar das Smartphone ab ... - das ist konkret, bedrohlich und beängstigend. Das heißt: Bedrohung ergibt sich aus dem szenischen Erleben, aus der Perspektive der Figur (vielleicht musst du die Steuerfahndung ja nicht einmal fürchten, weil alles korrekt versteuert wurde; dann lachst du dir eins, wenn sie dein Büro plündern, oder überlegst dir, die Finanzbehörde anzuzeigen) und aus der Interpretation der Umgebung.
Wissen denn deine Figuren sofort aus ihrem geschichtlichen Hintergrund, woraus sich "das Übel" ergibt? Haben sie denn den Überblick, den du dem Leser verschaffen willst? Oder möchtest du – mal ehrlich – nicht nur dem Leser zeigen, wie gründlich, gut und detailreich du diese Geschichte vorbereitet hast? – Besser nicht!
Auch hier könntest du eine Figur nutzen, die erst die Informationen (zusammen mit dem Leser) herausfinden muss. Und zwar gegen Widerstände, Konflikte, unter Gefahr oder großen Mühen. Damit machst du die Informationen für die Figur (und den Leser) wertvoll. Beide werden sie so schnell nicht vergessen.
Stell dir vor, deine Figuren müssen die Bedrohung, das aufkommende Übel erst erkennen lernen, dann versuchen sie es zu identifizieren, einzuordnen und zu bekämpfen. So hast du alle Gelegenheiten, die du benötigst, um Informationen von ihnen ausgraben zu lassen.
Falls sie jedoch schon alles wissen und parat haben, muss es ja einen Grund geben, ein Motiv, warum sie es ständig parat haben. Gibt es einen Mahner, der ständig daran erinnert? Gibt es eine Schuld abzutragen? Gegnerische Gruppen, die alles leugnen? – Kurz: Sieh dir an, wie Einzelpersonen, Gruppen, Völker, Staaten etc. mit Katastrophen umgehen: der Holocaust, Seuchen, Tornado-Schäden, 9/11 oder andere Terroranschläge ... Was bleibt davon im Gedächtnis? Wie wird es wachgehalten? Fühlt man sich von historischen Ereignissen bedroht? Oder nicht doch eher von den Neonazis, die vor deinem Supermarkt einen Ausländer krankenhausreif prügeln, oder von Gestalten, die eine Gepäcktasche unter der Sitzbank verstecken und dann weggehen?
Fazit: Mach die Bedrohung konkret, lege sie ins Erleben deiner Figuren – damit bringst du den Leser viel eher dazu, die Bedrohung zu fühlen, das kommende Übel zu erahnen. Wenn jedoch der Leser mehr wissen soll als deine Figuren, dann gib ihm die Möglichkeit, eher den Überblick zu gewinnen, die Informationen eher verknüpfen zu können (wie beim Krimi).