Ich habe in meiner Freizeit einen Roman geschrieben und möchte mir Meinungen dazu einholen. Allerdings würde ich es bevorzugen, zunächst Bekannte danach zu befragen und logische Brüche etc. weitestgehend auszuhebeln, bevor ich einen Lektor bemühe.
Nun sollte man zwar meinen, dass man seinen Freunden vertrauen kann, aber man kann schließlich nie sicher genug sein. Wie kann ich ausschließen, dass diejenigen, die mein Buch lesen, es als ihr eigenes deklarieren und veröffentlichen? Welche Sicherheiten gibt es für mich als Autor, wenn das Buch noch nicht veröffentlicht wurde? Ich möchte es außerdem jemandem geben, den ich nicht so gut kenne, der also eine etwas distanziertere Meinung hat und bei dem das Risiko noch größer ist, da ich ihm das Script per E-Mail zusenden müsste.
Sie können niemals sicher sein, dass kein anderer Ihre Ideen verwendet. Nicht einmal, wenn Sie Ihr Buch die nächsten Jahre in einem Tresor verwahren und niemandem zeigen. Dieselbe Idee, die Sie hatten, könnte auch ich entwickeln oder ein anderer Autor. Manche Ideen liegen einfach „in der Luft“. Ideen sind außerdem nicht urheberrechtlich geschützt.
Aber wie wahrscheinlich ist es, dass andere Autoren denselben (!) Roman schreiben (können) wie Sie?
Selbst wenn wir von derselben Idee, denselben Figuren und demselben Handlungsaufbau mit demselben Ende ausgehen würden, kämen dennoch zwei völlig unterschiedliche Storys dabei heraus. Sie würden vielleicht mehr Wert auf Action legen, ich auf Figurencharakterisierung, Sie eventuell auf Weltenbau, ich auf Spannungsaufbau. Von Umfang, Wortwahl, Arten der Beschreibung, Dialogfassungen, Kapitelaufteilung und Stil ganz zu schweigen.
Ich hoffe für Sie, dass Sie sehr wohl Freunde und Bekannte haben, denen Sie vertrauen. Aber das ist nicht unbedingt das beste Kritiker-Publikum. Suchen Sie sich lieber eine schreibhandwerklich orientierte Gruppe oder einen Lektor, die / der professionell an den Text geht. Diese Kritik ist zwar schmerzhaft und meist recht umfassend, bringt aber mehr, weil Leute, die selbst schreiben, besser den Finger auf die Schwachstellen legen und sie benennen können. Und in einer Gruppe, in der Texte auf Gegenseitigkeit gelesen und kritisiert werden, sollte Vertrauen selbstverständlich sein.
Abgesehen davon, sollten Sie den Roman nur in Textauszügen vorstellen. Am besten mit konkreten Fragen: „Wie wirkt der Dialog auf euch? Warum „hakt“ es hier? Die Figur erscheint mir so flach – habt ihr Ideen, wie ich das besser hinkriegen kann?“ – Da werden Ideen schnell zu freigiebiger Tauschware, denn ohne die Ideen und Kritiken der anderen entwickelt man sich selbst im Schreiben nur langsam weiter.
Ganz offen: Ich gebe seit zwanzig Jahren Seminare, habe mehrere Gruppen geleitet und bin selbst Mitglied in realen und virtuellen Schreibgruppen gewesen oder bin es noch und habe es in all den Jahren nicht ein einziges Mal erlebt, dass jemand einem anderen etwas „gestohlen“ hätte.
Sehr wohl gab es Anfragen: „He, das ist eine gute Idee, den Frosch statt in einen Prinzen in einen Stallburschen zu verwandeln – darf ich das auch benutzen?“ Ich habe jedes Mal "ja" dazu gesagt – und nicht ein einziges Mal erlebt, dass die Geschichte der anderen Autorin meiner auch nur ähnelte.
Ich weiß, dass unter jungen Autoren/innen die Furcht sehr verbreitet ist, dass der Ideenklau umgeht. Doch diese Angst ist unbegründet. Zum einen stehen Ideen nicht unter Urheberrecht, sondern nur die daraus entstehenden Werke, zum anderen gibt es so viele Ideen – warum sollte man da eine bereits „benutzte“ verwenden?
Bitte lesen Sie dazu meinen Artikel "Schreckgespenst Ideenklau" aus dem Tempest-Archiv 10-11 November 2008 und die Experten-Antwort auf eine Leserfrage 13-1 Januar 2011.