Bislang schrieb ich vor allem Phantastik – dachte ich – und veröffentlichte sogar ein paar Kurzgeschichten. Doch kürzlich meinte ein (gutmeinender?) Bekannter, mich belehren zu müssen, Phantastik gäbe es eigentlich nicht, der Ausdruck beruhe auf einem Übersetzungsfehler, Fantasy sei das richtige Wort. Neudeutsch, zugegeben, aber so sei das nun mal.
Meine Geschichten handeln von Menschen, die zunächst ein scheinbar normales Leben führen, in das aber Übersinnliches einbricht. Das kann eine Geistererscheinung sein, eine Zeitreise, ein Gestaltwandler oder Ähnliches. Die Handlung ist nicht in einer anderen Welt angesiedelt, die Figuren sind keine Orks / Dämonen / Aliens. Welchem Genre ordne ich diese Geschichten nun korrekt zu?
Kategorien oder Genres und Subgenres zu definieren ist nie einfach. Zum einen verändert sich die literarische „Landschaft“ meist schneller, als die Literaturdefinitionen hinterher kommen. Zum anderen kommt es darauf an, wofür die Definitionen angewendet werden sollen.
1. Literaturwissenschaftlich gesehen ... ... ist Phantastik ein literarisches Genre. Wikipedia fasst es gut zusammen: http://de.wikipedia.org/wiki/Phantastik
Daher hat Ihr gutmeinender Bekannter unrecht. Fantasy, Science-Fiction etc. wären demnach Subgenres von Phantastik. Dennoch gibt es auch in der Literaturwissenschaft genug Begriffskonfusion und Schwammigkeiten. Ein guter Überblick ist die Vorlesungsreihe von Prof. Dr. Monika Schmitz-Emans, die Wikipedia direkt verlinkt. Aber das hilft nur Literaturwissenschaftlern weiter, selten Autoren.
2. Verlagstechnisch gesehen ... ... ist da Phantastik drin, wo der Verlag das Phantastik-Etikett draufklebt. Phantastik, Fantasy, Schauerroman, Thriller, Gothic ... sind alles Etiketten, mit denen der Verlag versucht, seine Bücher an Mann und Frau zu verkaufen, die nach solchen Büchern suchen. Selbst hier verschwimmen die Grenzen: Mal wird etwas als Fantasy bezeichnet, was eigentlich zum Horror gehört, mal steht einfach nur Roman drauf. Mag innerhalb eines Verlagsprogramms noch Klarheit herrschen, was der Verlag zur Fantasy rechnet, so legt der nächste Verlag die Bereiche schon wieder ganz anders fest.
Es gibt keine allgemeingültige Verlagsdefinition. Auch diese Einordnungen ändern sich gern mit der „Mode“.
3. Autorentechnisch gesehen ... ... ist es wichtig, zu unterscheiden: a) Ich will meinen Roman oder meine Kurzgeschichten verkaufen – also richte ich mich nach den Definitionen der Verlage bzw. Herausgeber oder Redakteure. b) Ich will meine Texte schreiben – also richte ich mich eher nach den Elementen der Subgenres und Genres. Auch das kann sich im Laufe der Zeit und Mode ändern.
Noch vor dreißig Jahren gehörten Vampirgeschichten in das Horror-Genre. Immer mehr zählen jetzt jedoch die romantischen Vampirgeschichten zur Fantasy.
Wenn Sie Geschichten schreiben, in denen das Unmögliche, Unglaubliche und Wunderbare in den Alltag einbricht, dann können das folgende Subgenres sein:
- Science Fiction: ein Zeitreisender in der Gegenwart, ein Mensch der Gegenwart reist in die Zukunft; hier zählt die technische Lösung oder die sozialutopische oder die paranormale (wie Psi-Kräfte), die sich psychophysiologisch (also wissenschaftlich) erklärt, damit ist es SF.
- Fantasy: Gestaltwandler (die sich nicht wissenschaftlich erklären) wie Werwölfe, mythologische Gestalten wie Hapyien, Götter, Dämonen etc., fiktive Gestalten wie Orks, Hobbits, Cheries etc. spielen eine wesentliche Rolle, Magie existiert, und nichts davon wird wissenschaftlich erklärt.
- Horror: ein zeitgenössischer Mensch wird von Teufeln, Vampiren, Monstern o. Ä. verfolgt, ein Geist sucht den Helden heim ... hier steht das Grausige, Angsteinflößende und Wahnsinnige im Mittelpunkt. Aber man bleibt im realistischen Setting.
Bei Wikipedia gibt es eine recht gute, wenn auch nicht vollständige Auflistung der Subgenres von Fantasy: http://de.wikipedia.org/wiki/Fantasy
Ich würde aus dem wenigen, mit dem Sie Ihre Geschichten beschreiben, schließen, dass Sie "Urban Fantasy" oder "Contemporary Fantasy" schreiben (die sich beide sowieso kaum trennen lassen): Fantasy, die das Reale und das Phantastische aufeinanderprallen lässt, indem das eine in das andere dringt. Meist bei Urban Fantasy mit einem städtischen Hintergrund.
Aber ganz ehrlich – wem dient die Definition? Schreiben Sie, was Sie (!) wollen, etikettieren Sie es als Phantastik oder Fantasy, wie Sie wollen – und bieten Sie es ggf. nach Verlagsbenennungen an, wenn Sie es verkaufen wollen. Oder lesen Sie möglichst in voller Bandbreite aus den Genres und Subgenres, und benennen Sie es mit "Phantastik in der Nachfolge von E. T. A. Hoffmann" oder "Fantasy mit Horrorelementen wie bei Lukjanenko".