Ich arbeite an meinem zweiten historischen Roman und bin mir etwas unsicher, was den Plot betrifft. Da die Ereignisse ja mehr oder weniger historisch festgelegt sind, fällt es mir schwer, mich auf ein Plot-Muster festzulegen. Fest steht, dass Leben und Entwicklung des Protagonisten im Vordergrund stehen, dies aber verbunden mit dem historischen Hintergrund. Haben Sie einen Tipp für mich?
Es ist natürlich nicht leicht, ohne genauere Kenntnis über Ihr Romanprojekt Vorschläge zu machen, aber vielleicht bringen die folgenden drei Anregungen Ihnen eine neue Idee, einen neuen Blickwinkel.
Müssen Sie das Leben Ihres Protagonisten aus seiner Perspektive schildern? Anscheinend engt sie die Lebensgeschichte Ihres Helden zu sehr ein, und Sie können nicht mehr kreativ werden - warum schreiben Sie die Dinge nicht aus der Sicht einer (scheinbar) ganz unwichtigen Person im Umfeld des bisherigen Protagonisten, der Haushaltshilfe, des Knappen, des Beichtvaters ...? Das verschafft die nötige Distanz und außerdem Freiheiten im Plot. Wichtig ist allerdings, dass Ihr neuer Protagonist wenigstens einmal Einfluss nimmt auf ein Ereignis mit größerer geschichtlicher Bedeutung, sonst besteht die Gefahr, dass der Plot in einer beliebigen Zeit angesiedelt sein könnte und die Geschichte an sich zu geringe Tragweite hat, um spannend und bedeutsam zu sein.
Womöglich hilft Ihnen das nicht weiter, und das Problem liegt gar nicht auf dem Papier, sondern in Ihnen drin. Wie sehen Sie Ihren Roman? Als zuverlässige Chronik, als Geschichtsbuch? Machen Sie sich bewusst: In jedem historischen Roman bilden die Fakten allenfalls das Skelett. Natürlich müssen Sie gut recherchieren, aber Ihre Freude am Schreiben sollte nicht allein durch das geschickte Aneinanderweben von gefundenen Fakten entstehen. Beschreiben Sie Details, bei denen Sie alle Freiheit haben: den Sonnenschein, die Gedanken des Protagonisten bei raschelndem Laub, beim Anblick einer gut aussehenden Frau, eines gut aussehenden Mannes, beim Herüberhallen von Kindergeschrei. Selbst wenn über Ihren Protagonisten für jede Woche seines Lebens bekannt ist, was er getan und gelassen hat, bleiben Ihnen die Stunden, die Sie mit Fantasie und viel Freiheit füllen können - und es sind nicht die Wochen, die zählen im Leben, sondern die Stunden, die Minuten, die Momente. Genießen Sie es, Momente zu beschreiben!
Und zu guter Letzt: Sie schreiben, dass die historischen Fakten Ihnen das Plotmuster schon vorgeben (wenn ich richtig verstanden habe). Sagen Sie nicht auch, dass in Ihrem Roman Leben und Entwicklung des Protagonisten im Vordergrund stehen sollen? Dann sollten Sie Ihren Plot nicht in erster Linie nach historischen Ereignissen ausrichten - es ist doch gut möglich, dass der Höhepunkt im Leben Karls des Großen gar nicht die Kaiserkrönung war, sondern ein Erlebnis während der Eberjagd. Wissen wir es? Sie haben die Freiheit, Schwerpunkte zu setzen, und dafür müssen Sie gar nicht historische Gegebenheiten verfälschen. Einfach dadurch, was Sie erzählen und wie Sie es erzählen, entscheiden Sie. Bleiben Sie am Ruder, indem Sie mehr auf den Menschen schauen als auf die Ereignisse.