1) Ich bin Historikerin und schreibe an einem historischen Krimi - d.
h., eigentlich liegt er seit einiger Zeit brach. Mein Roman versinkt in
Fachwissen.
2) Ich traue mich nicht so recht, Dialoge sinngemäß in die
moderne Sprache zu "übersetzen".
3) Der Markt ist so dicht mit historischen Romanen - wie hat man da zur
Zeit eigentlich überhaupt eine Chance, beachtet zu werden?
4) Ist die Ich-Perspektive allgemein eine nicht übliche Perspektive
für historische Romane, oder ist es Zufall, dass die meisten mit
mehreren Perspektiven spielen? [...]
zu 1:
Den Rat, nur zu beschreiben, was die Geschichte voranbringt, hast du sicher
längst gehört, und er hilft dir nicht viel weiter. Immerhin
erwarten Leser bei einem historischen Roman ja, nebenbei viel über
die betreffende Zeit zu lernen. Sicher wird ein Großteil der Beschreibungen,
die du in deiner Mail erwähnst (Kleider, Häuser, Geschirr usw.)
den wissensdurstigen Leser geradezu entzücken, und zudem baust du
so eine Atmosphäre auf, die exotisch riecht und aussieht und schmeckt.
Nun hast du aber selbst das Gefühl, zu weit gegangen zu sein, zu
viel erklärt zu haben. Dafür gibt es meines Erachtens zwei Lösungen.
Erstens: Menschen! Frage dich beim Schreiben, was deine Protagonisten fühlen, gegen wen sie Abneigung verspüren, was sie in Zorn versetzt und was sie glücklich macht. Fürchtest du dich vor dem Urteil der Kritiker, die deinen Roman als kitschig bezeichnen könnten? Tu das nicht. Das Menschliche ist es, des Emotionale, das das Skelett des Romans erst mit Fleisch bestückt und ihm Leben einhaucht.
Zweitens: Erzählgeschwindigkeit! Womöglich ist dein Problem
gar keine Frage von zu viel "Lokalkolorit" (so nennen sie es
im Verlag), sondern eine Frage des Tempos. Du schreibst, dass dir Dialoge
nicht sonderlich liegen und dass du einen Weg suchst, ihnen auszuweichen.
Und dann, dass du viele Beschreibungen im Text hast. Das klingt für
mich sehr nach schwer Verdaulichem, nach einem langsamen, trägen
Erzähltempo. Dialoge bringen Geschwindigkeit aus drei Gründen:
einmal, weil sie häufig einen Schlagabtausch und eine Art raschen
Perspektivwechsel beinhalten, dann, weil der Leser effizient und rasch
die redenden Figuren kennen lernt, und nicht zuletzt, weil es häufig
Absätze gibt und kurze Zeilen - der Leser bekommt das Gefühl,
sich rasend schnell über die Seite fortzubewegen. Neben Dialogen
kannst du das Erzähltempo auch durch einen starken Fokus steigern
(keine "Weitwinkelaufnahme" mehr, sondern zielgerichtet nur
das entscheidende Detail beschreiben) und natürlich durch kürzere
Sätze. Dass sich langsame mit schnellen Szenen abwechseln sollten,
erklärt sich von selbst. Das einzige Buch, das dieses Thema treffend
und ausführlich behandelt, ist Rebecca McClanahans "Schreiben
wie gemalt" (Zweitausendeins); ich kann es sehr empfehlen.
zu 2:
Du fragst, ob Gesprochenes im historischen Roman dem Tonfall der damaligen
Zeit entsprechen sollte. Ich denke, einen kleinen Eindruck davon sollten
die Leser erhalten. Aber letztendlich ist nichts gewonnen, wenn sie die
alte Sprache als hölzern empfinden, während es für die
Protagonisten ein flüssiges, beinahe anzüglich freies Gespräch
ist - wie sollen die Leser ihre Empfindungen da richtig verstehen, wenn
sie immer noch interpretieren müssen: "Für mich hört
es sich hölzern an, aber für damals ist es eine Frechheit, so
mit dem Grafen zu sprechen."? Ich versuche, einen "altertümlichen
Touch" hineinzubringen, generell aber modern zu formulieren.
zu 3:
Dass zurzeit viele historische Romane erscheinen, hast du richtig beobachtet.
Allerdings brauchst du nicht zu fürchten, in einem überlaufenen
Genre unterzugehen. Menschen, die historische Romane lesen, sind zu einem
Großteil Vielleser, Leute also, die jeden Tag lesen und Bücher
regelrecht verschlingen. Deshalb verkaufen sich die Romane im Schnitt
sehr gut, und Verlage haben gern einige neue Bücher des Genres im
Programm.
zu 4:
Die Ich-Perspektive ist nicht nur bei historischen Romanen selten. Sie
bietet Vorteile, natürlich, man ist dem Protagonisten wie bei keiner
anderen Perspektivtechnik nahe. Aber die erzählte Geschichte muss
verdammt gut sein, um auch in einem ununterbrochen forterzählten
Strang spannend zu bleiben. Wenn du verschiedene Perspektiven abwechselst,
hast du die Möglichkeit, so genannte Cliffhanger einzusetzen: Du
brichst an einer aufregenden Stelle ab und erzählst aus der Perspektive
einer anderen Figur an einem anderen Ort weiter. Es ist wie beim Jonglieren,
nur dass du den Ball wechselst, wenn er auf dem Höhepunkt angekommen
ist. Abgesehen davon ist ja gerade das Schlüpfen in fremde Körper
ein Reiz des Romanlesens, und wenn ein Buch mehrere überzeugende,
fesselnde Körper bietet, ist es häufig unterhaltsamer, als wenn
es ein einziger Körper ist, der nach einer Weile genauso zu jucken
beginnt wie der eigene, in dem wir Tag für Tag feststecken.