Wie vermittle ich dem Leser Sympathien für meinen Hauptcharakter? Ich bin derzeit an einem Buch, das von einem römischen Soldaten handelt [...] Problem dabei: Meine Hauptperson ist in einer mehr oder weniger adligen Familie untergebracht. Wie zu dieser Zeit üblich, haben Adlige Sklaven, die für sie schuften. Der moderne Leser ist Sklaverei aber eher abgeneigt. Muss ich deshalb meiner Hauptperson ebenfalls eine Abneigung gegen Sklaven verschaffen? Wenn nein, wie schaffe ich es dann Sympathien für meine Figur zu erschaffen?
Sympathien für den Hauptcharakter damit rührst du an eine der Kernfragen des Romanschreibens.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass mein erster Impuls mich in eine Falle lockt. Ich will Protagonisten haben, die schön, stark, hartnäckig, konsequent und begehrt sind. Für die Leser bedeutet das, dass sie diese Romanfiguren bestaunen, vielleicht auch beneiden. Beides schafft Distanz. Wir wollen aber Nähe erreichen, die Leser sollen sich identifizieren. Perfekte Menschen empfinden wir als unangenehm, weil wir selbst nicht perfekt sind. Identifikation hingegen beruht auf Gleichartigkeit. (Wen suchen wir uns als Freunde? Leute, die wir verstehen können und die uns verstehen.) Gib deinem Protagonisten Schwächen, dann können sich die Leser mit ihm identifizieren. Mitleid für die Schwächen des Protagonisten verwandelt sich leicht in Sympathie und Sympathie in Identifikation.
Ich würde den römischen Soldaten schon aus Gründen der historischen Genauigkeit wie selbstverständlich mit den Sklaven umgehen lassen, so wie wir heute wie selbstverständlich mit der Armut umgehen, obwohl es traurig ist, dass es so etwas in unserem reichen Land gibt. Daran denken wir kaum je einmal, und auch dein Protagonist sollte wenig darüber nachdenken, wie sich die Sklaven fühlen. Vielleicht zwingt es ihm ein krasser Vorfall vor Augen, und er versteht für einen kurzen Augenblick ihre Sicht auf die Welt. Dann aber sollte er innerlich kapitulieren, weil er als Einzelner unmöglich das System umkrempeln kann.
Wenn du willst, dass die Leser sich mit ihm identifizieren, sollte er Sehnsüchte haben, die sich so widersprechen, dass sie ihn mit sich selbst in Widerstreit bringen. Dadurch ist sein Handeln nicht mehr voraussagbar, weil man sich als Leser nicht sicher ist, welche seiner Seiten gewinnt. Beispielsweise könnte er einerseits seinen Feldherrn verehren und dessen Anerkennung erwerben wollen, andererseits einer bezaubernden Kritikerin Scipios verfallen sein, die ihn dazu bringen will, Scipio zu hintergehen.
Er sollte eine "Leiche im Keller" haben. Lass ihn Ängste haben, Hemmungen, Schuldgefühle, Phantasien. Die Leser werden ihn dafür lieben.