Ich bin selbst Krimiautorin, aber mir fehlen sehr viele Informationen aus dem Polizeialltag (eine meiner Hauptfiguren ist Pathologin, aber ich weiß zu wenig darüber, ebenso wie wenn ich meine Kommissarin ermitteln lasse). Könnten Sie mir dazu einige Fragen beantworten oder Literatur, Internetseiten etc. empfehlen?
Wie notwenig eine solide Kenntnis des Polizeialltags ist, hat mir kürzlich das folgende Gespräch gezeigt:
"Kennen Sie den neuen X-Roman vom Y-Autor?", fragte mich nach der Lesung meines
aktuellen Krimis die Redakteurin einer renommierten Tageszeitung.
"Ich kenne den Autor, aber nicht sein neues Buch", antwortete ich.
"Lohnt sich auch nicht zu lesen. Es ist schlecht."
"Y schreibt doch sonst gut." Ich war verwirrt.
"Das Buch ist schlecht; er beschreibt die Arbeit der Polizei so, wie sie in
der Realität nicht funktioniert. Glasklare Faktenfehler. Ich weiß, wovon ich
rede, denn ich war mehrere Jahre Polizeireporterin."
"Aber sein Stil ist doch gut, oder?"
"Wen interessiert der Stil, wenn die Fakten nicht stimmen! Wer unsauber
recherchiert, kann eine Geschichte auch nicht durch einen guten Stil aufwerten."
Es sind tatsächlich die Kleinigkeiten des polizeilichen Alltags, die Krimiautorinnen und -autoren in ihren Geschichten sehr ungenau oder auch falsch darstellen. Sobald Leser erkennen, dass der Autor auf gewissen Gebieten nicht "sattelfest" ist, werden sie auch gut recherchierte Darstellungen anzweifeln. Aus diesem Grunde halte ich das Studium von (kriminal)polizeilicher Fachliteratur für einen Kriminalschriftsteller für unerlässlich, wenn seine Protagonisten - in welcher Form auch immer - Kontakt mit der Polizei haben oder sogar selbst polizeiliche Ermittler sind.
Im deutschsprachigen Raum gibt es mehrere Verlage, die in ihrem Programm Fachliteratur für Polizei- und Kriminalbeamte, aber auch für private Sicherheitsdienste führen. Hier nur eine bescheidene Auswahl:
- Der Verlag Deutsche Polizeiliteratur (http://www.vdpolizei.de) hat sein Buchprogramm vor allem auf die Polizeibranche ausgerichtet. Fachleute (meist Beamte des gehobenen und höheren Polizei- und Kriminaldienstes) schreiben aus ihren Fachgebieten und setzen häufig ein bestimmtes Fachwissen voraus.
- Für polizeiliche Laien, die sich mit kriminalistischen Grundbegriffen, aber auch kriminaltaktischen Maßnahmen auseinander setzen wollen, empfehle ich als Standardwerk das Arbeitsbuch für die Schutz- und Kriminalpolizei von Meyer/Wolf: "Kriminalistisches Lehrbuch der Polizei". Dieses Werk wurde für die Ausbildung von Polizei- und Kriminalbeamten entwickelt. Es bietet eine systematisch aufbereitete Darstellung aller Aufgaben und Funktionen, der Methodik, Strategie und Taktik polizeilicher Maßnahmen. Insbesondere wird auf das kriminalistische Ermittlungsverfahren eingegangen, das in den Grundzügen jedem Krimiautor bekannt sein sollte. Aber auch die Kapitel zur Spurenkunde und zur Technik und Taktik der Vernehmung geben wichtige Informationen für jedes Krimi-Manuskript. Das 544 Seiten starke Lehrbuch kostet 49,90 DM.
- Bei den Hüthig Fachverlagen (http://www.huethig.de) ist der Kriminalistik Verlag angesiedelt. Dort wird das Kriminalistik-Lexikon von Burghard/Hamacher/Herold/Schreiber/Stümper/Vorbeck herausgegeben. Es enthält als "Nachschlagekatalog" auf 363 Seiten sämtliche kriminalistischen Fachbegriffe und erklärt sie meist auch so, dass sie für interessierte Laien verständlich sind. Das Lexikon gibt es nur als gebundene Ausgabe zum Preis von 38 DM.
- Nicht nur kriminalistische Stichworte, sondern auch andere polizeiliche Begriffe enthält das Polizei-Lexikon von Reinhard Rupprecht. Auf 605 Seiten können eine Unmenge von Informationen über die Polizei nachgeschlagen werden. Der Preis des broschierten Werkes beträgt 48 DM.
- Wer sich regelmäßig über neueste kriminalistische Errungenschaften, aber auch Verbrechen informieren möchte, kann die Zeitschrift "Kriminalistik" abonnieren. Das Magazin für die gesamte Wissenschaft und Praxis bietet Monat für Monat aus der Feder von Fachleuten Beiträge zu den Themen organisierte Kriminalität, europäische Zusammenarbeit, Kriminal- und Drogenpolitik und Kriminaltechnik. Allerdings sind die Artikel in der Regel für Fachleute verfasst, so dass ohne gewisse Nachschlagewerke (siehe oben) nicht viel Freude beim unbedarften Leser aufkommen wird. Die Kriminalistik-Zeitschrift ist jedoch immer hochaktuell und greift auch umstrittene Themen in der Polizeiorganisation auf. Aktualität hat seinen Preis: 228 DM (inkl. Versandkosten) für 12 Hefte pro Jahr. Ein Probeexemplar kann per Internet bestellt werden.
Für den Anfang sollten diese Informationen genügen, ganz nach dem pädagogischen Grundsatz "weniger ist mehr".
Noch ein Tipp: Lassen Sie Ihr Krimi-Manuskript grundsätzlich von Kriminalbeamten auf fachliche Richtigkeit prüfen, um sicherzugehen, dass Ihnen keine kriminalistischen Fehler unterlaufen sind. Es ist nichts peinlicher als eine Autorenlesung, in der ein penibler Zuhörer die Faktenrichtigkeit des Vorgelesenen anzweifelt.
Viel Spaß beim Studium der Kriminalistik!