Ich beschäftige mich derzeit mit dem Schriftsteller und Philosophen Pavel Florenskij und seinen Briefen über "der pfeiler und die grundfeste der wahrheit". Ich möchte Florenskijs Gedanken in eine lyrische Form bringen. Wie weit darf man sich dem Werk eines anderen nähern bzw. Bezug darauf nehmen? Ist das etwa eine Gratwanderung oder doch ein "schlechter Stil"?
Ich habe den Eindruck, es geht Ihnen hier nicht um die urheberrechtliche Seite, sondern um eine Einschätzung aus literarischer Sicht. Aus literarischer Sicht halte ich das Projekt für bedenklich. Wer die Gedanken eines andern in eine lyrische Form bringt, muss mit dem Vorwurf rechnen, nichts Eigenes, nichts Neues geschaffen zu haben. Die LeserInnen Ihrer Gedichte könnten auf die Idee kommen, statt Ihrer Gedichte die Briefe Pavel Florenskijs zu lesen, und sie könnten diese Briefe interessanter finden als Ihre Arbeit.
Wer philosophische Gedanken in eine lyrische Form bringen möchte, muss sich den grundlegenden Unterschied von Philosophie und Poesie klar machen: Philosophie arbeitet mit Begriffen und Abstrakta, die Poesie mit Sinnlichkeit und Anschaulichkeit. Philosophie zielt auf unseren Verstand, die Poesie auf unser Gefühl.
Aus meiner Sicht lohnt es sich nicht, diese Arbeit mit dem Ziel einer Veröffentlichung anzugehen. Vielleicht wäre es eine Alternative für Sie, sich nur einige besonders faszinierende Gedankenanregungen aus den Briefen Florenskijs zu holen und etwas ganz Eigenes daraus zu machen.