Ich schreibe seit drei Jahren Gedichte, und gerade ist mein erster Gedichtband in einem kleinen Verlag erschienen. [...] Mein Verleger und ich machen uns nun Gedanken um die Vermarktung. [...] Zunächst wollen wir einige Literaturzeitschriften und Tageszeitungen anschreiben und fragen, ob wir ein Rezensionsexemplar schicken dürfen. Ich hatte dann noch eine andere Idee, nämlich, den Zeitschriften zwei oder drei Gedichte zu schicken und dazu eine fertige Rezension. Wir wollen nämlich nicht riskieren, dass die Rezensionsexemplare im Altpapier landen oder dass das Buch womöglich gar nicht rezensiert wird. Mit einer fertigen Rezension würden wir der Redaktion etwas liefern, was sie ansonsten Zeit und Personal kostet und möglicherweise willkommen ist. Was meinen Sie zu der Idee?
Leider ist es nicht so einfach für eine noch nicht so sehr bekannte Lyrikerin, Rezensionen für den ersten Gedichtband in einem noch nicht so sehr bekannten Kleinverlag zu bekommen. Das hat verschiedene Gründe: Eine "Lyrikkarriere" baut man eher langsam auf, das heißt, man veröffentlicht zunächst einzelne Gedichte in Literaturzeitschriften und Anthologien, man bewirbt sich bei Literaturwettbewerben und versucht, sich im Lauf mehrerer Jahre einen Namen im Literaturbetrieb zu machen. Im Idealfall knüpft man Kontakte zu anderen Schreibenden, veranstaltet gemeinsame Lesungen und baut sich ein Netz gegenseitiger Unterstützung auf.
Sie können es versuchen, aber ich fürchte, die Bereitschaft, Ihren Gedichtband zu rezensieren, wird sowohl bei den Redaktionen von Literaturzeitschriften als auch bei Tageszeitungen eher gering sein. Hinzu kommt, dass viele Literaturzeitschriften mit Rezensionsanfragen überhäuft werden und deshalb grundsätzlich keine Rezensionen drucken. Sie sollten sich also vor Ihrer Anfrage darüber informieren, ob in dem entsprechenden Medium überhaupt Rezensionen veröffentlicht werden. Bei dieser Anfrage könnten Sie durchaus ein oder zwei besonders gelungene Gedichte als Leseprobe beifügen.
Von Ihrer Idee, fertige Rezensionen des eigenen Gedichtbandes zu versenden, rate ich hingegen dringend ab. In Wahrheit handelt es sich bei dem Text, den Sie Rezension nennen, nicht um eine Rezension, sondern um einen Werbetext, also um reinste PR. Der blinde Abdruck eines Werbetextes hat jedoch nichts mit seriösem Journalismus zu tun. Das macht keine Literaturzeitschrift, die auch nur einen Funken Anstand hat. Dazu noch ein praktisches Problem: Welcher Name sollte als Urheber unter dem Text stehen? Etwa Ihr eigener? Oder der des Verlegers? Oder wollen Sie hier auch ein bisschen nachhelfen und den Namen einer nicht vorhandenen Rezensentin erfinden?
Sie erwähnen Zeit- und Personalkosten. Aber eine Literaturzeitschrift ist kein Wirtschaftsunternehmen. Literaturzeitschriften leben vom unbezahlten Engagement der Redaktion und der freien MitarbeiterInnen. Eine Rezension zu schreiben, die auf der gründlichen Lektüre eines Buches und auf dem Sachwissen beruht, das erforderlich ist, um das Buch einschätzen zu können, erfordert viel Lesezeit und ein Hintergrundwissen, das man sich oft erst durch jahrelange Arbeit aufgebaut hat und das ständig aktualisiert werden muss. Wer schon ohne Honorar rezensiert, sucht sich die Bücher deshalb selbst aus. Redaktionsmitglieder und freie MitarbeiterInnen wollen ihre Zeit sinnvoll und selbstbestimmt verbringen und nicht mit Pflichtaufgaben.
Mein Rat: Suchen Sie Kontakt zu einer Schreibgruppe, zum Beispiel über die Volkshochschule oder über ein Literaturbüro. Vernetzen Sie sich. Engagieren Sie sich selbst bei einer Literaturzeitschrift.